von Gert-Ewen Ungar
Nach den Präsidentschaftswahlen in Weißrussland im Jahr 2020 kam es unmittelbar zu Protesten. Die Wahlen seien gefälscht, hieß es. Nicht der langjährige Amtsinhaber Lukaschenko sei der wiedergewählte Präsident, sondern seine Kontrahentin Tichanowskaja, die laut offiziellem Ergebnis etwa zehn Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte.
In der Folge kam es zu Demonstrationen in allen Landesteilen Weißrusslands. Tichanowskaja ging ins Exil und forderte von dort aus Sanktionen gegen Weißrussland mit dem Ziel, die Wirtschaft dort zu treffen. Der wirtschaftliche Niedergang und die sich daran anschließende ausbreitende Armut sollten der schwächer werdenden Oppositionsbewegung neues Leben einhauchen.
Ein bereits 2018 eröffneter Kanal auf dem Messengerdienst Telegram mit dem Namen NEXTA Live wurde unmittelbar nach der Wahl in Weißrussland zum Sprachrohr und zum zentralen Koordinator der Proteste. Zeitnah berichtete der Kanal, wo sich Menschen ansammelten und wo sich Sicherheitskräfte befanden. Kurz: Wo jene, die sich zur Opposition zählten, zur Unterstützung der Proteste hinbewegen konnten und welche Orte sie besser zu meiden hätten. Er fütterte die Proteste mit viel manipulativer Falschinformation, mit Bildern von angeblich Gefolterten, stachelte auf, eskalierte. Zugute kam dem Kanal, dass sich Telegram als Plattform nicht blockieren lässt. Telegram ist zwar von einer kompletten Abschaltung des Internets betroffen. Es lässt sich jedoch im Gegensatz zu vielen anderen Messenger-Diensten nicht einzeln blockieren.
Schnell saßen die Macher des Kanals in der EU, inzwischen in Polen, und arbeiten aus der sicheren Distanz. Die EU gewährt diesen Schutz. Dabei weiß sie nicht nur von der aktiven Beteiligung des Kanals an den Putsch-Versuchen in Weißrussland. Man kann davon ausgehen, dass die EU den Redakteuren von NEXTA nicht nur eine Zuflucht und neue Heimat bietet, sondern den Kanal aktiv finanziert.
Im Rahmen der Unterstützung der weißrussischen Opposition sagte die EU Gelder zu, die auch zur Finanzierung unabhängiger, oppositioneller Medien gedacht waren. Man kann sich sicher sein, dass ein großer Teil NEXTA Live zugutekam.
Mit dem Zusammenbruch der Oppositionsbewegung in Weißrussland ist der ihr zugehörige Telegram-Kanal nicht verstummt, die Finanzierung wurde nicht eingestellt, sondern noch ausgeweitet. Erst kürzlich, im Dezember 2021, beschloss die EU, die weißrussische Opposition auch im kommenden Jahr mit 30 Millionen Euro zu finanzieren, wobei wiederum ein Teil unabhängigen weißrussischen Medien zukommen soll.
Laut EU-Kommission soll mit den Geldern die technische Unterstützung der unabhängigen Medien gewährleistet werden. Sie sollen darüber hinaus Training ermöglichen, und es soll das Wissen darum geschult werden, wie man Unterstützer akquiriert. Der Begriff Training bleibt dabei im Dunkeln, aber es ist davon auszugehen, dass es sich dabei um Schulungen handelt, wie man Aufstände und Umstürze unterstützt, koordiniert, befördert und affirmativ begleitet. Es ist weiter davon auszugehen, dass es sich bei den "unabhängigen weißrussischen Medien" vor allem um NEXTA, seine Kanäle auf Youtube und eben Telegram handelt, denn die Pressemitteilung, die die EU-Kommission veröffentlicht hat, wirkt in den genannten Punkten wie auf NEXTA zugeschnitten.
Für die These der aktiven finanziellen Unterstützung spricht zudem die Tatsache, dass das EU-Parlament den Gründer des Kanals zusammen mit der weißrussischen Opposition mit dem Sacharow-Preis ausgezeichnet hat. NEXTA ist ein wichtiges, von der EU anerkanntes, unterstütztes und ausgezeichnetes Element des Umsturzversuchs in Weißrussland. Es ist ein Tool der Einflussnahme und Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder.
Seine Aufgabe, in unliebsamen Staaten Umsturzversuche affirmativ zu begleiten, behielt er auch nach dem Zusammenbruch der Proteste in Weißrussland bei. Als Alexei Nawalny nach seiner Rückkehr nach Russland und seiner Festnahme am Flughafen Scheremetjewo aus dem Gefängnis zu landesweiten Protesten in Russland aufrief, war es wiederum NEXTA Live, über das die Proteste koordiniert wurden. NEXTA Live stellte wie schon in Weißrussland Informationen zur Verfügung, mit denen die Protestierenden Polizeisperren umgehen und sich trotz Verbot versammeln konnten.
Außerhalb der Zeiten von Protest geht es auf dem Kanal recht ruhig zu. Bis zum 3. Januar publizierte NEXTA Live zwei, drei Meldungen täglich. Russland war häufiges Thema, über die Sperrung der Webseite Nawalnys zur Dumawahl empörte sich der Kanal, fand dann am 11. September angesichts "des größten Terrorakts in der Menschheitsgeschichte" einfühlende Worte der Erinnerung für den Anschlag auf das World Trade Center in New York im Jahr 2001. Das Verbot der ebenfalls vom Westen finanzierten russischen Organisation Memorial stand im Fokus. Alles schön glatt und angepasst auf westlicher Linie, gepaart mit wertender, aufstachelnder Sprache. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Machenschaften des Westens findet nicht statt. Das Paradigma ist ganz einfach: im Westen die Guten, im Osten die Diktatoren, die Junta, alles Regime, die ihre Existenzberechtigung lediglich im Sturz haben, der in Kürze auf sie zukommt. Der Kanal dümpelte in seichten Propaganda-Gewässern vor sich hin.
Dann erwacht NEXTA Live plötzlich aus seinem Dornröschenschlaf. Ab dem 3. Januar gerät Kasachstan in den Fokus von NEXTA Live. Das Sammelsurium aus Nachrichten verschwindet, und ab dem 4. Januar findet NEXTA Live zu seiner ursprünglichen Aufgabe zurück: der Lenkung, Steuerung und Eskalation von Protesten. NEXTA Live veröffentlicht Links zu Telegram-Gruppen, in denen man sich zu Protesten verabredet, publiziert mit hoher Geschwindigkeit aus allen Landesteilen Kasachstans, wo sich Protestierende sammeln, stachelt auf. Wenn der kasachische Präsident Toqajew wie kürzlich in seiner Fernsehansprache äußert, hinter den Krawallen würden ausländische Agenten stecken, hat er recht. Er könnte noch hinzufügen, dass ein Teil von ihnen in der EU sitzt.
NEXTA Live, in der EU beheimatet, von der EU ausgezeichnet und wohl auch finanziert, ist ein Instrument der Einmischung, der Aufstachelung zu Protest, zum Umsturz. NEXTA Live manipuliert und steuert Massen mit dem Ziel, Regierungen zu stürzen.
Das Beispiel NEXTA Live zeigt die gesamte Verlogenheit der Politik der EU und auch Deutschlands. Während man in Deutschland in technischer Unkenntnis darüber nachdenkt, Telegram zu sperren, weil sich darin "Corona-Leugner" zu weitgehend friedlichen Spaziergängen als Protest gegen die Maßnahmen und eine mögliche Impfpflicht verabreden, unterstützt man gleichzeitig aktiv jene Kanäle, die das, was man hier verbieten möchte, in anderen Ländern nicht nur aktiv unterstützen, sondern dazu auffordern, anstacheln und in Richtung Putsch eskalieren.
Während man in der EU und insbesondere in Deutschland aus Angst vor den eigenen Bürgern Grundrechte immer weiter beschneidet, Zensur ausweitet, Sender abschalten lässt – kurz: auf dem Weg in den totalitären Staat ist –, maßt man sich gleichzeitig an, im Namen der westlichen Werte, an denen man selbst immer grundlegender scheitert, in anderen Ländern Umstürze anzuzetteln. Der Telegram-Kanal NEXTA Live ist dazu ein Mittel. Er ist damit aber auch das digitalisierte Symbol für die Verlogenheit der EU.
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