von Dmitri Gukow
In seinem Kampf gegen die britische Justiz hat der Enthüllungsjournalist Julian Assange Unterstützung von völlig unerwarteter Seite erhalten. Der stellvertretende Ministerpräsident Australians Barnaby Joyce hat sich in einem Kommentar in der australischen Zeitung Sydney Morning Herald strikt gegen eine nach heutigem Stand genehmige Auslieferung Assanges von Großbritannien an die USA ausgesprochen.
Die Argumente des zweitmächtigsten Politikers in Australien, mit denen er diese Ansicht untermauerte, sind nicht in jedem Fall ausführlich – eines davon könnte ihm sogar von jemandem, der sich etwas mit der Sache beschäftigt, als Bärendienst an Assange angekreidet werden. Doch dafür passiert Joyce sogar im Rahmen dieses Arguments etwas, womit er diesen Bärendienst mehr als ausgleicht. Auch die restlichen Argumente weisen, wenn auch nicht für jeden Geschmack ausführlich genug, auf willkürliche diskriminierende Rechtsverdrehung hin, die die Richter in Großbritannien im Fall Assange betreiben.
"Ich habe keinen Respekt für ihn"
Auf die Leistungen des für seine journalistische Arbeit verfolgten WikiLeaks-Gründers nimmt der australische Vizeregierungschef dabei unerwarteterweise wenig Bezug. Er erwähnt sie und ihre Würdigung in Australien zwar, doch ihm selbst ringe das keinen Respekt ab:
"Assange hat keine geheimen US-Akten gestohlen – das war US-Bürgerin Chelsea Manning. Assange veröffentlichte sie, in der Tat. In Australien hat er dafür den Walkley Award für Journalismus erhalten.
Ich habe ihn nie getroffen, und nach einiger Beobachtung habe ich keinen Respekt für ihn. Ich nehme an, ich würde ihn nicht mögen."
Dennoch fordert der australische Vize-Premier, dass seinem Mitbürger Gerechtigkeit widerfahren solle. Derzeit erschalle, so Joyce, "ein Weckruf, genauer darauf zu achten, dass Assange genauso behandelt wird wie es einem meiner mächtigsten Kollegen oder engsten Freunde widerfahren würde."
Denn Rechte wie das Recht auf Freiheit und körperliche Unversehrtheit, so der Minister, gelten für alle gleichermaßen und Grundrechte dürfen nicht beliebig außer Kraft gesetzt werden:
"Eine würdige Gesellschaft bemüht sich, jedermanns grundsätzliche Teilhabe an diesen Rechten aufrechtzuerhalten. Eine Gesellschaft kann man daran beurteilen, ob der Staat diese Rechte aktiv schützt und durchsetzt. Und zwar dergestalt, dass alle wahrhaft gleichgestellt sind."
"In einer liberalen Demokratie ist darauf zu achten, Gesetze zu vermeiden, die dermaßen um Grundrechte herumstolpern, dass diese kommen und gehen."
Misslungenes Argument von schicksalhaftem Versprecher gerettet
Des Weiteren geht der Politiker auf Assanges Staatsbürgerschaft und dessen Aufenthaltsort, an dem er Vorwürfen der USA zufolge gegen US-Gesetze verstoßen haben soll, und baut darauf seine Argumentation auf, dass der Enthüllungsjournalist entweder in Großbritannien vor Gericht gebracht werden soll, falls ihm etwas zur Last gelegt werden könne, oder aber freigelassen gehöre. Allerdings geht er dabei, wie es scheint, vom australischen Auslieferungsrecht aus, das die Extradierung normalerweise ausschließlich an Staaten vorsieht, auf deren Territorium das jeweilige mutmaßliche Verbrechen begangen wurde. Hierbei missachtet er die Auslieferungsabkommen, die zwischen den USA und Großbritannien bestehen und die von keiner solchen Grundvoraussetzung eingeschränkt werden. Das entzieht seinem Argument die Faktengrundlage komplett.
Doch dafür stellt Joyce im Rahmen seiner Argumentation einen Vergleich auf, mit dem der Vize-Premier vielleicht mehr sagt als er beabsichtigte:
"Falls Assange den Koran verunglimpft hätte – wäre er dann nach Saudi-Arabien ausgeliefert worden?"
Gerade im Zusammenhang mit den von Joyce eingangs zitierten Grundrechten auf körperliche Unversehrtheit lässt der Vergleich der USA mit Saudi-Arabien hellhörig werden. Dort wurde der Journalist Jamal Khashoggi ermordet und vier der am Mordfall beteiligten Täter wurden darüber hinaus ausgerechnet in den USA trainiert. Zudem besteht der Verdacht, dass der Mord an Khashoggi vom saudischen Königshaus in Auftrag gegeben wurde.
Doch selbst wenn man der US-Justiz nicht gleich die Absicht unterstellt, den WikiLeaks-Gründer zum Tode zu verurteilen, beziehungsweise den US-Geheimdiensten nicht die Absicht zu seiner außergerichtlichen Tötung, selbst dann bleibt noch die Tatsache, dass die Garantien des US-Regimes zu Haftbedingungen der Personen, deren Auslieferung es anstrebt, nichts wert sind.
Der britische Journalist Richard Medhurst legt dies unter Verweis auf geleakte geheime Dokumente zu einem Präzedenzfall verständlich dar: Es geht um David Mendoza, der seinerzeit von Spanien in die USA extradiert wurde. Es ist davon auszugehen, so Medhurst, dass Assange nach seiner Ankunft in den USA alsbald in ähnlich harte Haftbedingungen kommt wie im britischen Gefängnis Belmarsh, wo er momentan seit zweieinhalb Jahren in Einzelhaft einsitzt.
Für den gesundheitlich mittlerweile schwer angeschlagenen Assange, der im Oktober einen Gehirnschlag erlitt, ist eigentlich jede Form von Haft auf längere Sicht todbringend. Derartige Haftbedingungen würden innerhalb kürzester Zeit zu seinem Ableben oder Selbstmord führen.
Bei solcher Betrachtung muss festgehalten werden, dass die britische Rechtsprechung bereits in der Dimension der Gesundheit oder körperlichen Unversehrtheit, auf die sie die Entscheidungskriterien reduzierte, versagt hat.
Doch da ist noch mehr. Die besagte Reduktion der Perspektive auf das körperliche Wohlbefinden bewirkt, dass das im Jahr 2003 geschlossene Auslieferungsabkommen zwischen den USA und Großbritannien, auf dessen Grundlage Assange an die USA ausgeliefert werden soll, nicht in Betracht gezogen wird. Eine Auslieferung würde dem Abkommen widersprechen, hieß es. Denn dieses schaffte zwar die Ausnahmeklausel für politische Fälle ab, die im vorigen Abkommen aus dem Jahr 1976 galt, doch gilt dies eben nur für Straftaten mit Gewaltanwendung oder Waffen, worauf die britische Anwaltskanzlei Peters&Peters und der britische Jurist Anand Doobay auf der Online-Plattform Mondaq in einem Artikel im Jahre 2006 hinwiesen.
Nun werden dem Enthüllungsjournalisten Assange in den USA Spionage und Eindringen in Computersysteme vorgeworfen. Die Enthüllung der von Chelsea Manning beschafften Daten und die dazu angeblich geleistete Beihilfe, falls es diese überhaupt gegeben hat, fanden aber ohne Gewaltanwendung statt. Somit darf Assange dem fraglichen Abkommen zufolge nicht an die USA ausgeliefert werden.
Im Februar 2020 ließ die britische Königin Elizabeth II erklären, dass sie keine Stellungnahme zu einer möglichen Auslieferung des Whistleblowers abgeben wird. Die Begründung lautete, die Queen bleibe stets strikt apolitisch. Hiermit wurde der Fall Assange von der höchsten Stelle des Vereinigten Königreichs als ein politisches Verfahren qualifiziert.
Würde Assange an die USA ausgeliefert, wäre dies auf eine diskriminierende Anwendung des Rechts, in diesem Fall das für die USA und Großbritannien geltende Völkerrecht, durch die britischen Richter zurückzuführen. Diese Richter missachten zudem die von der höchsten Stelle ihres Landes vorgenommene Wertung des Falls als ein politisches Verfahren, angesichts derer sich die Frage nach einer Auslieferung erst gar nicht stellen darf.
Insofern ist dem australischen Vize-Premier Barnaby Joyce nur zuzustimmen, wenn er der britischen Justiz impliziert vorwirft, diskriminierende Rechtsverdreherei zu betreiben.
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