von Dagmar Henn
Während die neue deutsche Außenministerin Annalena Baerbock Antrittsbesuche in Paris und Brüssel absolviert, gibt es bereits das erste sichtbare Gefecht um die außenpolitische Entscheidungshoheit.
Der Fraktionsvorsitzende der SPD Rolf Mützenich hatte im Interview mit dem Deutschlandfunk erklärt, die Außenpolitik werde "insbesondere im Kanzleramt" gesteuert. Darauf reagierte Omid Nouripour, der eine Zeit lang als Staatssekretär unter Annalena Baerbock im Gespräch war und nun den Vorsitz der Grünen anpeilt, verärgert:
So zumindest wird die Geschichte von den meisten Medien berichtet, worauf dann mehr oder weniger lange Ausführungen über die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers und die schon unter Angela Merkel immer stärkere Verlagerung außenpolitischer Zuständigkeiten ins Kanzleramt folgt. Der eigentliche Inhalt dieser Auseinandersetzung erschließt sich allerdings erst, wenn man das Interview des Deutschlandfunks tatsächlich anhört.
Es ist überaus interessant, weil die Moderatorin (man ist das sonst vom Staatsfunk nicht gewöhnt) ziemlich aggressiv von Mützenich die Zustimmung zu einer bestimmten Aussage verlangt. Sie beschwert sich geradezu darüber, dass Olaf Scholz vor der Presse nicht bestätigt hätte, dass Nord Stream 2 im Falle eines, wie sie wortwörtlich sagt, "russischen Angriffs auf die Ukraine" endgültig gestoppt würde, und will nun um jeden Preis diesen Satz von Mützenich.
Mützenich erklärte darauf, es "geht überhaupt nicht, jetzt noch weitere Drohungen aufzubauen". Die Kriegsdynamik sei überhaupt nicht mehr abstrakt, sondern gefährlich. Man müsse "sehr behutsam auch in der Wortwahl sein und nicht noch weiter Öl ins Feuer gießen". Eine kluge deutsche Außenpolitik müsse deeskalieren. Und dann, durchaus mit Blick auf den grünen Koalitionspartner und seine Vorstellungen in Bezug auf Nord Stream 2, folgt der Satz mit der Steuerung im Kanzleramt.
Man sollte eigentlich erwarten, dass solche Sätze über eine gefährliche Kriegsdynamik, in der man unbedingt deeskalieren müsse, in der Presse aufgegriffen werden, wenn sie schon der Vorsitzende einer Regierungsfraktion sagt. Mitnichten. Eine Auseinandersetzung mit einem überaus ernsten Kern, nämlich um die Frage, ob Deutschland, um es mit Mützenich zu sagen, Öl ins Feuer gießt oder es zu löschen versucht, wird dargestellt wie ein Streit zweier Kleinkinder im Sandkasten. Deeskalation scheint nicht nur für die Interviewerin des Deutschlandfunks ein Fremdwort zu sein.
Nouripour, der immerhin für die Außenministerin seiner Partei das Recht auf eigenständige Kriegstreiberei einfordert, kommt bei einer Darstellung ohne diese winzigen Details viel zu gut weg. Dabei ist er Vorstandsmitglied in der Atlantikbrücke und Vorsitzender der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe, sozusagen schon fest verdrahteter Zündler.
In den Antworten auf seinen Tweet zeigt sich, dass diese Hintergründe durchaus verstanden wurden. "Locker bleiben, das war die letzten Jahre Usus und die SPD kennt es nicht anders. Ist aber tatsächlich vielleicht auch besser so. Schließlich ist die Bundeswehr nicht wirklich kriegsbereit", lautet einer der Kommentare. Ein anderer: "Herabsetzung hin oder her. Grüne Außenpolitik in ihrem freien Lauf bis zum bitteren Ende würde Krieg mit Russland bedeuten und darum hoffe ich, dass der Scholzomat dieser Baerbock schnellstmöglich Grenzen setzt...". Oder, zuletzt noch: "Ich für meinen Teil kann auf einen Russlandfeldzug verzichten."
Nebenbei: Der Füllstand der deutschen Gasspeicher sinkt gerade wieder, nachdem das Maximum so niedrig lag wie zuletzt 2013. Gleichzeitig wird allerdings für die Gaskraftwerke, von denen spätestens mit der Abschaltung der Kernkraftwerke zum kommenden 1. Januar die Sicherung der Grundlast in der Stromversorgung abhängt, deutlich mehr Erdgas benötigt als 2013. Der Umgang mit Nord Stream 2 ist also nicht nur aufs Engste mit der Frage von Krieg und Frieden verknüpft, wie das Mützenich darstellte, sondern zudem mit der Frage, ob gegen Ende des Winters die Stromversorgung in Deutschland noch sicher ist. All das weiß auch Nouripour.
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