Ein Kommentar von Scott Ritter
Seit dem Ende des Kalten Krieges kämpft die NATO darum, ihre Existenz zu rechtfertigen. Mittlerweile hat die Allianz beschlossen, ohne einen Grund für ihre Daseinsberechtigung gefunden zu haben, endlose Krisen mit Russland vom Zaun zu brechen – offenbar in der Hoffnung, einen neuen Kalten Krieg zu entfachen. Anfang Oktober dieses Jahres hat die NATO acht Diplomaten der russischen Mission beim Bündnis ausgewiesen und diese – laut einem Sprecher der NATO – beschuldigt, "verdeckte russische Geheimdienstoffiziere" zu sein:
"Die Politik der NATO gegenüber Russland bleibt konsequent. Wir haben unsere Abschreckung und Verteidigung als Reaktion auf Russlands aggressives Vorgehen verstärkt und bleiben gleichzeitig offen für einen sinnvollen Dialog."
Ein Rückblick auf die Entstehungsgeschichte dieser diplomatischen Mission Russlands und die Ziele der NATO in Bezug auf diese Mission legen jedoch nahe, dass dahinter nie die Absicht stand, Bedingungen für einen sinnvollen Dialog mit Russland zu schaffen.
Es gab einmal eine Gruppe westlicher Nationen, die – auf das Prinzip gemeinsamer Werte gestützt – zur gemeinsamen Verteidigung eine Allianz gründeten, um "die Russen draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten". Vier Jahrzehnte lang hat diese Nordatlantik-Organisation genau das getan. Indem sie den Status quo der Nachkriegszeit in Europa bewahrte, diente die Organisation als Abschreckung gegen den Alptraum einer sowjetischen Expansion, der sich im Nachhinein als nur in den Köpfen von Politikern und Generälen der NATO lebendig erwies. Sie zwang die Amerikaner, eine massive Militärpräsenz auf europäischem Boden aufrechtzuerhalten und blockierte damit nicht zuletzt auch die deutsche Wiedervereinigung.
Veränderungen innerhalb des Blocks um die Sowjetunion, die mehr von der durch den sowjetischen Generalsekretär Michail Gorbatschow geförderten Politik von Glasnost und Perestroika ausgingen als von irgendeiner Ursache-Wirkung-Beziehung zur NATO, brachten das Nachkriegsgebäude zum Einsturz. Innerhalb von zwei Jahren zerfiel der Warschauer Pakt, wurde die Wiedervereinigung Deutschlands vollzogen und löste sich die Sowjetunion selbst auf. Der Irak marschierte in Kuwait ein, was die USA dazu veranlasste, einen großen Teil ihrer in Europa stationierten Truppen zum Kampf an den Golf zu entsenden. Als dieser Krieg beendet war, fragten viele in den USA nach der Notwendigkeit – und den Kosten – der Aufrechterhaltung einer so großen Militärpräsenz im Ausland, da die Bedrohung, der diese Truppen begegnen sollten, nicht mehr existierte – was auch die Amerikaner dazu veranlassen sollte, diese Streitkräfte auf ihr eigenes Territorium zurückzuverlegen. Ab 1992 war klar, dass es die Sowjets nicht mehr gab, Deutschland wieder obenauf war und die Amerikaner draußen waren. Eine Daseinsberechtigung der NATO existierte nicht mehr.
Fast 30 Jahre nach diesen Ereignissen existiert die NATO aber noch immer. Die Lüge ihres angeblich "defensiven" Charakters wurde spätestens dann entlarvt, als sie einen offensiven Angriffskrieg gegen Serbien führte, ihre militärische Macht dafür einsetzte, einen Regimewechsel in Libyen zu unterstützen und 20 Jahre für eine am Ende gescheiterte Übung zum "Aufbau einer Nation" in Afghanistan verschwendete.
Heute ist die NATO mit ihrem hinterhältigen Blick auf die Region des Indopazifik eine Organisation in einem Krieg mit sich selbst, weil sie nicht in der Lage ist, sinnvoll zu formulieren, was eigentlich ihr Daseinszweck ist – oder wenigstens sein sollte. Gefangen in der Logik ihrer eigenen Inkompetenz und Irrelevanz, hat die NATO beschlossen, zu ihren Ursprüngen zurückzukehren, indem sie zwei ihrer drei Grundprinzipien wiederbelebt hat: die Russen draußen zu halten und die Amerikaner drinnen.
Für jeden, der auch nur das geringste historische Verständnis hat, ist klar, dass Russland weder in seiner früheren Konfiguration als die dominierende Republik innerhalb der UdSSR noch in seiner gegenwärtigen föderalen Erscheinungsform in ganz Europa präsent sein wollte, weder physisch noch politisch. Ebenso verbündet sich die proto-isolationistische Genetik der Vereinigten Staaten, um zu verhindern, dass die Zahl der dauerhaft auf europäischem Boden stationierten amerikanischen Truppen auch nur annähernd wieder die Truppenstärke erreicht, die sie in den 1980er Jahren auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges hatte. Und doch wäre das einzige, was Amerika militärisch nach Europa zurückbringen könnte, eine drohende russische Aggression. In Ermangelung eines auf Fakten basierenden Casus Belli hat die NATO die letzten drei Jahrzehnte damit verbracht, einen solchen zu fabrizieren.
Wenn Russland schon nicht gegen die NATO vorrücken wollte, so beschloss die NATO, wenigsten ihrerseits an Russland heranzurücken. Das Bündnis verfolgte eine langwierige Expansionspolitik, mit der die Grenzen des Bündnisses direkt bis an jene Russlands vorgeschoben wurden, und missachtete zugleich die Zusicherungen, die man gegenüber der Sowjetunion am Ende des Kalten Krieges gemacht hatte, dass eine Expansion der NATO nach Osten niemals beabsichtigt sei. (Anmerkung: Die Absicht bestand jedoch schon immer – die NATO und die USA haben einfach dreist gelogen.)
Als sich Russland wegen dieser Erweiterung an die NATO wandte und anfragte, ob in diesem neuen gesamteuropäischen Bündnis nicht auch Platz für Russland sei, zeigte man Moskau nicht nur die kalte Schulter, sondern es wurde wiederum belogen. Die Clinton-Administration sagte dem damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin, der sein Land 1994 in das NATO-Programm "Partnerschaft für den Frieden" geführt hatte, diese Partnerschaft wäre keineswegs als Vorzimmer zu einer Mitgliedschaft im NATO-Bündnis gedacht, sondern als eine Alternative, die eine breite Koalition europäischer Nationen anziehen sollte, denn Russland würde natürlich niemals der NATO beitreten dürfen – währenddessen den übrigen europäischen Nationen, die solch eine "Partnerschaft" eingingen, das goldene Ticket zur NATO-Mitgliedschaft ausgehändigt wurde.
Der Trostpreis dafür, belogen worden zu sein, war die sogenannte NATO-Russland-Grundakte, die am 16. Mai 1997 vom Nordatlantikrat verabschiedet wurde. Auch diese Akte war niemals dafür gedacht, Russland als Verbündeten der NATO zu positionieren, sondern als Vehikel für "verbesserte Beziehungen" – zu den vom Militärblock diktierten Bedingungen.
Eines der Schlüsselelemente der Grundakte war die Betonung von "Demokratie und Rechtsstaatlichkeit" sowie von gemeinsamen Verpflichtungsprinzipien, einschließlich der "Achtung der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Integrität aller Staaten und ihres inhärenten Rechts, diejenigen Mittel zu wählen, mit denen sie ihre eigene Sicherheit gewährleisten können". Kurz gesagt: das Dokument konkretisiert die beiden wichtigsten treibenden Ziele, wenn es um die Beziehungen zwischen der NATO und Russland geht – Russlands Notwendigkeit, seinen innenpolitischen Charakter an die Forderungen des Westens anzupassen, und Russlands Verzicht auf jegliche Mitsprache in Bezug auf das, was es als das "nahe Ausland" bezeichnet. Der Preis, den Russland für das Privileg der "Freundschaft" zur NATO zahlen sollte, war der vollständige Verzicht auf seine Souveränität in Bezug auf innenpolitische Angelegenheiten und auf seine nationale Sicherheit. Die Gründungsakte war kaum mehr als ein Vehikel, um den russischen Bären zu kastrieren.
Im Laufe der nächsten 21 Jahre begünstigte die Grundakte die russische Unterwürfigkeit, indem sie Russland zwang, in der einen oder anderen Form die Unterwerfung Serbiens, die Zerstörung Libyens und die Besetzung Afghanistans hinzunehmen. Darüber hinaus hat die NATO die ehemaligen Sowjetrepubliken Ukraine und Georgien offen umworben, sich ihrem expansiven Bündnis anzuschließen. Im Jahr 2014 stand die NATO bereit, während sich die Vereinigten Staaten und die Europäische Union verschworen hatten, den rechtmäßig gewählten Präsidenten der Ukraine Viktor Janukowitsch zu stürzen und ihn durch eine Mannschaft ukrainischer Nationalisten zu ersetzen.
Als Russland auf diese Aktion reagierte, indem es die Krim wieder in die Föderation aufnahm und pro-russische Kräfte in der Ostukraine unterstützte, setzte die NATO die sogenannte "praktische Zusammenarbeit" mit Russland aus. Es beendete das Funktionieren des NATO-Russland-Rates, der geschaffen wurde, um die in der NATO-Russland-Grundakte vorgesehenen Aktivitäten und Ziele durchzuführen und zu verfolgen und um gemeinsame Ansätze für die europäische Sicherheit und für politische Probleme zu entwickeln. Damit sprach die NATO ihren Verpflichtungen aus der Grundakte Hohn, eventuell auftretende Meinungsverschiedenheiten "auf der Grundlage von gutem Willen und gegenseitigem Respekt im Rahmen politischer Konsultationen" beizulegen.
Die 1998 eingerichtete russische Mission bei der NATO blieb jedoch bis vor Kurzem offen. Sie wurde von einem Vertreter im Rang eines Botschafters geleitet und bestand aus einem hochrangigen Militär und einem Stab von etwa 20 Offizieren, die Teil der Mission waren, um die militärische Zusammenarbeit mit der NATO zu fördern. Es bot der NATO die Möglichkeit, auf einer niedrigschwelligen Ebene informell mit Russland zu interagieren und dadurch einen Einblick in das russische Denken zu gewinnen, während es Moskau ebenfalls auf niedrigem Niveau Zugang gewährte, die Motive und Absichten des Bündnisses zu bewerten. Diese Art der informellen Verbindung hat im Laufe der Geschichte der Beziehungen zwischen der NATO und Russland seit dem Kalten Krieg den politischen Entscheidungsträgern auf beiden Seiten unschätzbare Einblicke in die Denkweise der jeweils anderen Seite gegeben und so dazu beigetragen, die Wahrscheinlichkeit von Konflikten in Zeiten großer Spannungen zu verringern.
Die Entscheidung der NATO, acht russische Offiziere aufgrund unbegründeter Anschuldigungen angeblicher "Geheimdienstarbeit" aus der Mission auszuschließen, veranlasste die russische Regierung, diese eigene Mission gänzlich zu schließen und gleichzeitig diejenige der NATO in Moskau aus Russland auszuweisen. Die Entscheidung der NATO ergibt angesichts völlig fehlender Begründungen keinen Sinn und kann nur damit erklärt werden, dass man durch die Beziehungen auf dieser Ebene Auswirkungen befürchtete, die sich in Richtung einer Deeskalation von Spannungen bewegen könnten.
Es scheint, die NATO möchte lieber in einer Welt leben, die sich nicht von den Realitäten Russlands ablenken lässt, sondern ausschließlich von der Illusion eines fiktiven Russlands regiert wird – konstruiert von politischen Entscheidungsträgern der NATO, die verzweifelt versuchen, ein Feindbild aufzubauen, das dem Verteidigungsbudget der NATO angemessen ist.
Die NATO-Mitglieder machten umgehend Russland für diese selbst zugefügte Wunde verantwortlich. Der Bundesaußenminister Heiko Maas meinte, dass "diese Entscheidung in Moskau die schwierige Situation, in der wir uns seit einiger Zeit befinden, weiter verlängern wird", und stellte fest, dass die Schließung der russischen Vertretung bei der NATO "eine weitere ernsthafte Belastung der Beziehungen darstellt". Deutschland, so Maas, habe "in den vergangenen Jahren immer wieder auf den Dialog mit Russland innerhalb der NATO gedrängt. Man muss einmal mehr anerkennen, dass Russland anscheinend nicht mehr daran interessiert ist. Das ist mehr als bedauerlich."
Bereits im Jahr 2019 bezeichnete der französische Präsident Emmanuel Macron einmal die NATO als "hirntot" und stellte die Herangehensweise des Bündnisses gegenüber Russland infrage. Leider hat sich seit der Zeit dieser Äußerung Macrons nichts geändert, so dass seine Diagnose weiterhin gültig bleibt. Durch die Schaffung der Bedingungen, die zur Schließung der russischen NATO-Mission führten, hat sich das Bündnis selbst blind gemacht für Erkenntnisse aus der Interaktion russischer Offiziere mit ihren NATO-Kollegen.
Die NATO behauptet, sie verfüge über einen Fahrplan hin zu dauerhafter Relevanz. Hirntot und blind zu sein sind jedoch keine wünschenswerten Eigenschaften für eine Organisation, die versucht, die Vision zukünftiger Erfolge zu entwerfen. Es sind leider vielmehr Eigenschaften, die in Katastrophen und Ruin führen werden. Ob dies seit jeher das Ziel der NATO war, kann nicht ausgeschlossen werden – angesichts der absoluten Gehaltlosigkeit ihrer Entscheidungen in Bezug auf Russland im Laufe all der Jahre.
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Übersetzt aus dem Englischen.
Scott Ritter ist ein ehemaliger Offizier für Aufklärung der US-Marineinfanterieund Autor von "SCORPION KING: America's Suicidal Embrace of Nuclear Weapons from FDR to Trump". Er diente den USA in der Sowjetunion als Inspektor für die Umsetzung der Auflagen des INF-Vertrags, während des Zweiten Golfkriegs im Stab von General Norman Schwarzkopf und war danach von 1991 bis 1998 als Waffen-Chefinspekteur bei der UNO im Irak tätig. Derzeit schreibt Ritter über Themen, die die internationale Sicherheit, militärische Angelegenheiten, Russland und den Nahen Osten sowie Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung betreffen. Man kann ihm auf Twitter unter @RealScottRitterfolgen.
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