Eine Analyse von Glenn Diesen
Innerhalb der vergangenen 500 Jahre haben Russland und die Türkei wenigstens zwölf Kriege gegeneinander geführt. Jetzt gehen die beiden historischen Rivalen auch ohne Zaren oder Osmanen wieder auf Konfrontationskurs – diesmal in Syrien. Während sich die beiden Länder als konkurrierende Fraktionen in den blutigen Konflikten in Syrien und quer über den Nahen Osten engagieren, haben diese Konflikte die beiden Mächte paradoxerweise näher zusammengebracht. So nah, dass dies sogar der NATO Kopfzerbrechen bereitet.
Ein großer Durchbruch in den bilateralen Beziehungen zwischen Moskau und Ankara wurde offensichtlich, als die Türkei, trotz Drohungen aus den USA, das russische Luftverteidigungssystem S-400 kaufte. Die USA verhängten daraufhin Sanktionen gegen Ankara und warfen die Türkei aus dem F-35-Programm. Selbst ein Treffen zwischen Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seinem US-Amtskollegen Joe Biden half nicht, die Beziehungen zu verbessern.
Das jüngste Treffen zwischen Erdoğan und Präsident Wladimir Putin in Sotschi deutet jedoch darauf hin, dass ein großes russisch-türkisches Abkommen in Vorbereitung sein könnte. Eine Vereinbarung für eine Kooperation im Verteidigungsbereich könnte in Sichtweite kommen, einschließlich des Kaufs einer zweiten Lieferung von S-400- Luftverteidigungssystemen, U-Booten, Technologien im Bereich von Triebwerken für Flugzeuge und Kampfjets.
Eine militärische Partnerschaft dieser Größenordnung würde wahrscheinlich mit einer politischen Beilegung des Syrien-Konflikts einhergehen. In der Zwischenzeit würde der immense Umfang dieser militärischen Vereinbarungen und möglicher politischer Vereinbarungen in Bezug auf Syrien die Türkei weiter von den USA entfremden, und Washington wird sich wahrscheinlich verpflichtet sehen, zusätzliche Sanktionen gegen seinen NATO-Verbündeten zu verhängen.
Doch wie konnte es so weit kommen?
Der Fehlgriff in Syrien
Ähnlich wie die Kriege in Afghanistan und im Irak führte der Krieg der USA gegen die syrische Regierung zu einem katastrophalen Resultat. Die Türkei pflegte zuvor gute Beziehungen zu Damaskus und musste erst mal von den USA davon überzeugt werden, den Krieg für einen Regimewechsel gegen Damaskus zu unterstützen. Man erwartete, dass Assad innerhalb kurzer Zeit gestürzt und die Türkei herzliche Beziehungen zu der von Washington eingesetzten neuen Regierung eingehen würde. Die Reihe der von den USA geführten Kriege für Regimewechsel im Nahen Osten wurde jedoch unterbrochen, als Russland 2015 unerwartet in der Region militärisch intervenierte und das Blatt effektiv zugunsten von Damaskus wenden konnte.
Die Hauptursache für die Spannungen zwischen den USA und der Türkei ist Washingtons Unterstützung für die syrischen Kurden. Die Bedeutung der Partnerschaft der USA mit den Kurden nahm weiter zu, als Russland die US-Militärs dazu drängte, ihre Strategie zu ändern. Obwohl es den USA bisher nicht gelang, Assad zu stürzen, versuchen sie, die politische Zukunft des Landes mitzubestimmen, indem sie ein Drittel des syrischen Territoriums illegal besetzen, vornehmlich die rohstoffreiche Region im Nordosten Syriens, woraus die USA Öl und Weizen stehlen. Zu diesem Zweck ist die Zusammenarbeit mit den syrischen Kurden wichtig. Washington hält die YPG für den effektivsten militärischen Partner in der Region, eine Gruppe, die Ankara als terroristische Organisation betrachtet, von der die Gefahr ausgehe, dass sie die kurdischen Regionen der Türkei destabilisieren könnte.
Ferner ist die Türkei auch darüber besorgt, dass die USA die Option beibehalten, die Karte eines autonomen Kurdistan auszuspielen. Die Förderung eines autonomen oder unabhängigen kurdischen Staates würde vier Staaten mit einer großen kurdischen Bevölkerung destabilisieren und schwächen – namentlich Iran, Irak, Syrien und die Türkei. Israel würde eine solche Strategie wahrscheinlich unterstützen, und US-Politiker haben offen die Idee auf den Tisch gebracht, Syrien zu balkanisieren.
Türkische Regierungsbeamte haben in der Vergangenheit Washington beschuldigt, hinter dem Putsch in der Türkei vom Juli 2016 gegen Erdoğan zu stecken. Der türkische Präsident reagierte daraufhin mit der Säuberung des Staatsapparates und des Militärs von transatlantisch ausgerichteten Anhängern der von Fethullah Gülen angeführten Gülenisten – etwa 140.000 Regierungsangestellte und 30.000 Militärangehörige wurden aus ihren Ämtern und Funktionen entfernt. Einfach ausgedrückt hat sich Erdoğan einer Heerschar von proamerikanischen NATO-Loyalisten in der Türkei entledigt. Eine Kabale amerikanischer neokonservativer Falken unter der Führung von John Bolton hat auf diese "Säuberung" und die damit einhergehende russlandfreundliche Politik Ankaras mit Wut reagiert. Im Jahr 2021 haben sie deshalb das Projekt "Türkische Demokratie" ins Leben gerufen, das einen Regimewechsel in Ankara zum Ziel hat. Somit geht die Verschlechterung der Beziehungen zwischen der Türkei und den USA in eine weitere Runde.
Die Sprache des "NATO-Verbündeten" Türkei ist mittlerweile beispiellos. Ankara wirft den USA vor, aufgrund ihrer Partnerschaft mit den syrischen Kurden den Terrorismus gegen die Türkei zu unterstützen, und Ankara fordert, dass Washington die Besetzung syrischen Territoriums beendet und sich zurückzieht.
Auf dem Weg zu einer russisch-türkischen Einigung?
Die Komplexität des Konflikts in Syrien macht ein russisch-türkisches Abkommen schwierig, doch Anreize dafür kommen jetzt immer mehr zutage. Russland wünscht sich ein Ende des Krieges in Syrien und die Wiederherstellung der territorialen Kontrolle der Regierung über sein Staatsgebiet. Unterdessen will die Türkei, dass das syrisch-kurdische Problem gelöst wird, und glaubt, dass dies am besten durch die Wiederherstellung der syrischen territorialen Souveränität erreicht werden kann. Innenpolitisch gibt es Spannungen zwischen der türkischen Öffentlichkeit und der riesigen Gemeinschaft syrischer Flüchtlinge in der Türkei selbst, die durch eine Befriedung des Konflikts gelöst werden könnten. Darüber hinaus ist es der Türkei nicht gelungen, die Dschihadisten, die sie als Stellvertreterkrieger in der Provinz Idlib einsetzt, zu moderieren und zu domestizieren, in einer Region, die von der syrischen Regierung höchstwahrscheinlich in naher Zukunft zurückerobert werden wird.
Die Rhetorik in Washington über Moskaus Versuch, Ankara aus dem amerikanischen Orbit heraus in den russischen Einflussbereich zu ziehen, verkennt die multipolare internationale Machtverteilung. Die Türkei will nicht von einem US-geführten Militärbündnis zu einer von Russland geführten Allianz wechseln, da die Bipolarität des Kalten Krieges längst vorbei ist. Vielmehr will sich die Türkei als unabhängiger Akteur in einem multipolaren System behaupten, das Beziehungen zu allen großen Machtzentren verfolgt. Gleichzeitig hat Russland weder die Fähigkeit noch die Absicht, eine Hegemonie anzustreben.
Russlands "Große Eurasische Partnerschaft" wurde als ein Projekt gegen hegemoniale Ambitionen konzipiert. Russland will, in Partnerschaft mit China, amerikanischen Ambitionen entgegenwirken, indem es den Großmächten im Großraum Eurasien ermöglicht, ihre wirtschaftliche Konnektivität zu diversifizieren. Die Ambitionen der Türkei für eine unabhängige und diversifizierte Außenpolitik lassen sich problemlos in der Großen Eurasischen Partnerschaft unterbringen, mit der die Blockpolitik des Kalten Krieges – einschließlich der NATO – ersetzt werden kann.
Eine wegweisende Vereinbarung zwischen Russland und der Türkei, im Einklang mit der Großen Eurasischen Partnerschaft, kommt möglicherweise nicht zustande. Doch die bisherige unipolare Ordnung bricht zusammen, weil der Westen einen weiteren katastrophalen Versuch unternimmt, einen Regimewechsel voranzutreiben.
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Übersetzt aus dem Englischen.
Glenn Diesen ist Professor an der Universität Südost-Norwegen und Redakteur des Journals Russia in Global Affairs. Man kann ihm auf Twitter unter @glenn_diesen folgen.