von Arthur Buchholz
Das Universitätskrankenhaus in Zürich bringt die Diskrepanz auf den Punkt: beim Eintritt ins Spital wird darauf hingewiesen, dass Geimpfte nicht mehr getestet werden. Zitat:
"Falls Sie weder geimpft noch getestet sind, führen wir im Rahmen Ihrer Eintrittsuntersuchungen einen SARS-CoV-2-Test durch. Wenn Sie gegen SARS-CoV-2 geimpft sind, bringen Sie für Ihren stationären Spitaleintritt das COVID-Zertifikat oder den Impfausweis mit."
Wer also eine Impfung vorweisen kann und so seine Freiheit "wiedererlangt" hat, wird sich eben nicht mehr testen lassen und fällt somit fast vollständig aus der Teststatistik heraus, egal ob er jetzt Infektionsträger ist oder nicht.
Dabei weiß man, dass auch Geimpfte als Überträger des Virus fungieren können. Eine Studie des Imperial College London, die in Deutschland weit verbreitet wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass 1,2 Prozent von 100.000 Probanden in England positiv auf das Virus getestet wurden, während es unter den vollständig Geimpften nur 0,4 Prozent waren.
Das Risiko einer Infektion und damit auch der Weitergabe sinkt also, ist aber weit entfernt von null.
Auch Studienleiter Paul Elliott gibt zu: "Diese Ergebnisse bestätigen unsere vorherigen Daten und zeigen, dass eine vollständige Impfung guten Schutz davor bietet, sich zu infizieren."
Er schränkt jedoch ein, "dass immer noch ein Infektionsrisiko besteht, denn kein Impfstoff ist zu 100 Prozent wirksam, und wir wissen, dass sich einige doppelt geimpfte Menschen trotzdem mit dem Virus infizieren können".
Auch Gesundheitsminister Jens Spahn weiß um die Bedeutung der Geimpften für die Statistik. Mit Blick auf die neue Strategie gab er in der Sendung hart aber fair zu:
"Hier ist eben so, dass bei Geimpften das Risiko deutlich niedriger ist, es ist nicht bei null, aber deutlich niedriger. Das Impfen macht einen Unterschied, und wenn wir jetzt sozusagen geschützte Menschen auch genauso testen wie ungeschützte, dann hört diese Pandemie nie auf."
Dass diese Strategie eventuell riskant ist, sieht man an anderen Ländern, die aufgrund der hohen Durchimpfung eigentlich geschützt sein müssten. Israel hat das Vakzin von BioNTech/Pfizer fast sechs der neun Millionen Einwohner verabreicht. Im Frühjahr konnte das Land auf viele einschränkende Maßnahmen verzichten. Jetzt steigen die Zahlen erschreckend an. Die Statistik meldet am 1. September 16.000 neue Fälle. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 9.300. Auch die Zahl der Durchbruchsinfektionen und der schweren Fälle steigt an, obwohl Experten betonen, dass die Impfung das Risiko einer schweren Erkrankung um 67 Prozent senke.
Bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, dass der Großteil der Toten unter Vorerkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes litt. Auch Daten aus England scheinen dies zu belegen. 88 Prozent der Über-16-Jährigen sind geimpft. Dort war man erstaunt, als doppelt Geimpfte fast die Hälfte der vor allem an der Delta-Variante von 257 Todesfällen ausmachten. Aber auch hier zeigten Forscher, dass vor allem Menschen mit hohem Alter oder mit schwachem Immunsystem betroffen waren. Großbritannien feierte am 19. Juli seinen "Freedom Day", viele Maßnahmen wurden aufgehoben. Seitdem schießen auch hier die Zahlen in die Höhe. Am 1. September waren es 36.000, die Sieben-Tage-Inzidenz lag bei 357.
Diese Beispiele zeigen deutlich, dass auch trotz hoher Durchimpfungsrate die Statistiken explodieren. Deutschland steht jetzt womöglich ebenfalls vor einem solchen Szenario. In Deutschland sind am 1. September 60 Prozent der Bevölkerung als vollständig geimpft registriert, 65 Prozent haben mindestens eine Impfung erhalten. Der Wegfall der Testung von Geimpften hätte zur Folge: Alle Geimpften, ob sie jetzt symptomlos infiziert sind oder nicht, fallen aus der Teststatistik heraus. Nur Ungeimpfte, die sich weiterhin Tests unterziehen müssen, "bevölkern" die Statistiken, je mehr Bundesländer die 2G-Regel adoptieren. Die Stichprobengröße wird daher immer kleiner. Diese "Erleichterung" wird das Problem aber möglicherweise noch verschärfen.
Immer noch infektionsfähige Geimpfte können ohne jeden Abstand und Maßnahmen in Bars und Clubs eng an eng ihren Abend verbringen und das Virus erneut verbreiten, während Ungeimpfte von diesen Veranstaltungen ausgeschlossen sein werden und auch weiterhin die Hygieneregeln einhalten müssen.
Diese Situation kann aber zu einer statistischen Grauzone führen, da sie einen Großteil der Geimpften überhaupt nicht mehr erfasst. Es könnte aber auch den schon vorhandenen Sündenbockeffekt gegenüber denjenigen verstärken, die aus diversen Gründen auf den "kleinen Piks" lieber verzichten möchten. Während Geimpfte das Virus verbreiten und auch sich selbst gefährden, wird der statistische Anstieg von Infektionen den Ungeimpften zur Last gelegt werden. Der Druck auf diese Gruppe dürfte sich dann zusätzlich erhöhen. Der Deutsche Ethikrat tat sich noch im Februar schwer damit, Rechte an den Impfstatus zu knüpfen. Er stellte fest, dass "Einschränkungen des sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens […] nur solange gerechtfertigt sind, wie die Versorgung schwer erkrankter COVID-19-Patienten das Gesundheitssystem akut zu überlasten droht". Jetzt sieht er in der 2G-Regel keine indirekte Impfpflicht, andere Ethikexperten sprechen haben auch keine Skrupel, offen von Diskriminierung zu sprechen.
Auch in den sozialen Medien wird der Ton rauer.
Es ist damit zu rechnen, dass der Ton noch erheblich an Schärfe zunehmen wird. Wie sehr, wird der kommende Winter zeigen.
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