von Seyed Alireza Mousavi
Auf seiner viertägigen Reise in die Türkei, nach Usbekistan, Tadschikistan, Pakistan und Katar bemühte sich der deutsche Außenminister Heiko Maas nicht nur, "Zehntausende" von Ortskräften aus Afghanistan nach der Machtübernahme der Taliban unterzubringen, sondern kämpfte auch um seinen eigenen Ruf – so kurz vor der Bundestagswahl daheim. Der SPD-Politiker steht seit Kurzem besonders wegen der Fehleinschätzungen zum raschen Fall von Kabul an die Taliban und für Verzögerungen bei der Evakuierung der Ortskräfte massiv unter Druck.
In der Türkei und in Katar sowie in den drei Nachbarländern Afghanistans ging es um die Bereitschaft der Länder, möglichst vielen "Bedrohten" Sicherheit zu bieten. Dafür stand auch auf der Tagesordnung – nach dem Ende der US-Luftbrücke – auch wieder zivile Flüge vom militärischen Teil des Flughafens Kabul aufzunehmen. Die deutschen Botschaften in den Nachbarländern sollen auch bereits angewiesen worden sein, "Schutzbedürftigen" unkompliziert Visa zu erteilen. Das erforderliche Personal sei dafür aufgestockt worden. 40.000 Menschen der "Ortskräfte" sollen schon namentlich in deutschen Aufnahmelisten stehen.
Berichten zufolge wurden Verhandlungen über eine Wiedereröffnung des Flugverkehrs von Kabul geführt, ebenso Gespräche zu Grenzübertritten in die Nachbarländer. Die Bundesregierung stellte diesbezüglich 100 Millionen Euro für humanitäre Hilfe in der Region sowie weitere 500 Millionen Euro für die Unterstützung der Länder in der Region zur Verfügung.
Nach intensiven diplomatischen Bemühungen sei laut deutschen Medien mittlerweile auf dem Landweg einem ersten Konvoi mit Ortskräften und deren Familien die Ausreise aus Afghanistan in Nachbarländer gelungen. Wie Außenminister Heiko Maas in Doha erklärte, handelte es sich dabei um Frauen und Männer, die zuvor für die parteinahe Konrad-Adenauer-Stiftung oder die Friedrich-Ebert-Stiftung in Afghanistan gearbeitet hatten.
Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat die politische Landkarte der Region neu gestaltet. Die Großmächte Russland und China sowie Nachbarländer wie Iran und Pakistan versuchen sich schon mit der neuen Situation in der Region zu arrangieren. Pakistan scheint der Hauptgewinner der neuen geopolitischen Machtverschiebungen in der Region zu sein. Russen, Chinesen und Iraner sehen im Sieg der Taliban nicht nur eine geopolitische Chance, sondern durchaus auch mögliche Gefahren. Insofern haben sie bereits neue diplomatische Verbindungen zu den Vertretern der Taliban geknüpft, um sowohl ihre Bedenken als auch Interessen besprechen zu können.
Angesichts der moralischen Überheblichkeit im Westen trat Haiko Maas in Afghanistans Nachbarländern eher als ein Beauftragter für Ortskräfte anstatt als ein Außenminister im allgemeinen Sinne auf. Nach dem vollständigen Rückzug der US-Soldaten aus Afghanistan rückt nun immer stärker der künftige Umgang mit den Taliban in den Fokus. Obwohl Maas zum Abschluss seiner viertätigen Reise erklärte, es führe überhaupt kein Weg an Gesprächen mit den Taliban vorbei, wird aber nicht erwartet, dass die deutsche Regierung in naher Zukunft mit den Taliban auf Augenhöhe zu verhandeln gedenkt. Maas unterstrich auf der letzten Station seiner diplomatischen Rundreise, es gehe gar nicht um die Frage der völkerrechtlichen Anerkennung der Taliban, sondern um ganz "konkrete Schritte". Er forderte von den Taliban die Einhaltung der Frauenrechten und die Möglichkeit der geordneten Ausreise von Ortskräften.
Während Maas in den Nachbarländern Afghanistans den Schwerpunkt seiner Mission auf die Evakuierung der Ortskräfte legte, nutzte der französische Präsident Macron die Bühne des ersten Bagdad-Gipfels im Irak, um sich nach dem Abzug der USA aus Afghanistan als neuer westlicher Hauptakteur in der Region darzustellen.
Macron sieht sich als außenpolitischer Gestalter ganz Europas, und ihm sind längst das sich abzeichnende Ende der globalen US-Hegemonie sowie die Verschiebung der regionalen Machtverhältnisse im Nahen Osten bewusst. In Deutschland fand man hingegen längst Ersatzthemen für die Außenpolitik, nämlich eine neue Flüchtlingskrise sowie den Klimawandel, und insofern wird "Außenpolitik" hierzulande großteils am neu entstandenen internationalen Machtgefüge vorbei betrieben.
Der US-Präsident betonte am Dienstag in seiner Ansprache an die Nation, dass es beim Abzug der US-Truppen aus Afghanistan vor allem darum gegangen wäre, die Ära großer Militäroperationen zur Umgestaltung anderer Länder zu beenden. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob der Westen auch in naher Zukunft auf seine hybride Kriegsführung samt Sanktionen zur "Umgestaltung" anderer Staaten als Regime Change nach seinen Wünschen verzichtet. Der Aufstieg Chinas, der mit dem Schrumpfen der US-Dominanz auf der Welt einhergeht, wird auch jede deutsche Führung zum Umdenken der Vorstellungen von dieser Welt zwingen, um nicht deutsche Außenpolitik auf Flüchtlingspolitik zu reduzieren.
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