von Arthur Buchholz
Die Älteren erinnern sich aus der "alten" Bonner Republik noch an ein Phänomen, das dieser Tage ziemlich selten geworden ist. Ein Politiker trägt die Verantwortung für sein Handeln beziehungsweise für das, was in seinem Ministerium verbrochen wurde. Das war mal gute politische Sitte, es zeugte von einer gewissen Hygiene im gesellschaftlichen Organismus. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtschaffenheit der Politikerkaste wurde so regelmäßig wiederhergestellt, jedenfalls bis zum nächsten Skandal.
CSU-Shootingstar Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Buhl-Freiherr von und zu Guttenberg hatte im März 2011 noch recht schnell das Amt räumen müssen, da seine Doktorarbeit zu wünschen übrig ließ. Der Prozess war relativ kurz und schmerzlos. Knapp drei Wochen vergingen von den ersten Gerüchten zum Rücktritt.
2012 zog sich der Abschied der damaligen Bildungsministerin Annette Schavan schon über ein Jahr. Ein nennenswertes Amt bekleideten beide danach nicht mehr, sie fielen jedoch weich. Guttenberg nutzte seine Kontakte und wurde EU-Kommissionsberater und Lobbyist, sprach sogar auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Schavan durfte immerhin als Botschafterin zum Heiligen Stuhl nach Rom.
Kaum zehn Jahre später "verzichtete" SPD-Bildungsministerin Franziska Giffey in einer Flucht nach vorne auf ihren Doktorgrad. Diese PR-Maßnahme täuschte jedoch niemanden. Im Gegensatz zu Schavan und Guttenberg darf sich Giffey weiter aktiv politisch einmischen und ist Spitzenkandidatin der SPD für das Berliner Abgeordnetenhaus.
Trotzdem sollte man die genannten Herrschaften nicht mit Annegret Kramp-Karrenbauer in einen Topf werfen. Korruption oder Plagiatsvorwürfe sind dann doch ein anderes Kaliber als eine Amtsniederlegung aus politischen Gründen. Da muss man aber schon weit in die Vergangenheit blicken, um ein vergleichbares Beispiel zu finden. Oskar Lafontaine verließ 1999 seinen Posten als Finanzminister, da er sich mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder über die richtige Steuerpolitik verkrachte. Es war das letzte Mal, dass ein Minister der Sache wegen den Hut nahm.
Die Ankündigung, sich beim Wort nehmen zu lassen, ist schließlich der höchste Einsatz, den ein Politiker ins Spiel bringen kann. Als Rendite winkt ihm der Ruf politischer Integrität und ein Ansehen, das sonst nur in jahrelanger Arbeit erreicht werden kann.
Daher lässt die Nachricht aufhorchen: Annegret Kramp-Karrenbauer, glücklose Kurzzeit-CDU-Chefin und Nachfolgerin von Ursula von der Leyen im Verteidigungsministerium, sagte der Bild zur Evakuierungsmission in Kabul: "Was immer da vor Ort passiert, ich halte den Kopf hin."
Da reibt sich so mancher Politikverdrossene verwundert die Augen. Kann sie das wirklich so gemeint haben? Ist ihr im zynischen Politikbetrieb doch noch ein Gewissen gewachsen?
Kritiker und politische Gegner reiben sich derweil die Hände. So eine Aussage bleibt an einem hängen. Die Chancen, dass in den chaotischen Zuständen am und um das Flugfeld in Kabul ein schrecklicher Fehler passiert, eine Fehleinschätzung im Sekundenbruchteil in eine menschliche und politische Katastrophe führen kann, ist sehr hoch. Zumal die deutschen Soldaten vor Ort bei aller Professionalität das Risiko nur schwer eingrenzen können. Sie sind dem Gutdünken der Taliban ausgeliefert.
Allein für eine Lage Verantwortung zu zeichnen, an der sechs frühere Verteidigungsminister mitgearbeitet haben, widerspricht jeglichem politischen Instinkt.
Also ist es Harakiri mit Ansage, was AKK da macht? Und das mitten im Wahlkampf? Nach der alten Logik, die dem Politiker noch einen Funken Ehrgefühl nachsagt, scheint es tatsächlich so zu sein. Die Verteidigungsministerin opfert sich für das Engagement ihrer Truppe auf, in keinem anderen Ressort würde diese "soldatische" Metapher so gut funktionieren.
Man möchte also sagen: Bravo, endlich mal wieder eine richtige Ministerin.
Wenn man den Blickwinkel über diese akute Krise weitet, kommen aber noch andere Überlegungen ins Spiel, die den Zyniker doch wieder daran zweifeln lassen, dass es sich um die Renaissance alter politischer Ideale handelt.
Es ist schließlich Wahlkampf, und die CDU erreicht in den Umfragen Werte, die einst nur für die SPD reserviert waren. Im Adenauerhaus hofft man derweil, trotz und nicht wegen Armin Laschet glimpflich aus der Wahl zu kommen. Bot sich da ein Bauernopfer an? Heiko Maas hat ja schon bekundet, er sehe für einen Rücktritt keinen Grund. Mit Rücktrittsforderungen will sich die CDU auf Kosten des Koalitionspartners profilieren. Auch die Partei, so die eigenwillige Logik solcher politischen "Heldentaten", bekommt etwas vom Glanz der Person ab. Auszuschließen ist diese Art von Opportunismus nicht.
Annegret Kramp-Karrenbauer hat nun einmal politisch nicht mehr viel zu verlieren. Mit dem CDU-Vorsitz und der damit verbundenen Kanzlerkandidatur hatte sie ihren Zenit erreicht. Die Kemmerich-Wahl in Thüringen kostete sie alle Chancen. Trotz großer Beliebtheit bei der Truppe ist es ohnehin fraglich, ob sie einem nächsten Kabinett angehören wird.
Mag die Aussage auch wahlkampftaktisch nützlich sein. So viel ist sicher: Die Soldaten und deren Angehörige hören diese Worte sehr genau. Die Bundeswehr, belächelt für ihre Ramsch-Hardware und kritisiert für ihre Auslandsmissionen, bekommt in dieser vielleicht heikelsten Mission seit ihrem Bestehen endlich die Rückendeckung, die sie momentan braucht.
Vielleicht ist es ihr letzter großer Auftritt als Politikerin. Es wäre nicht die schlechteste Art, sich zu verabschieden.
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