Ein Jahr nach Beirut-Explosion: Libanon als Schauplatz geopolitischer Konflikte

Während die Mainstream-Medien die Krise im Libanon allein auf das Versagen der Eliten schieben, hat der Westen längst eine Kampagne der Sanktionen gegen das Land gestartet, um seine dortigen Rivalen zu schwächen. Der Libanon entwickelt sich allmählich zu einem neuen Schauplatz der Konflikte: einerseits zwischen dem Westen und Russland bzw. China auf globaler Ebene und andererseits zwischen Iran und Israel auf regionaler Ebene.

von Seyed Alireza Mousavi

Die verheerende Explosion im Hafen von Beirut jährt sich zum ersten Mal, und noch immer ist die Katastrophe allgegenwärtig. Der Libanon befindet sich seither weiterhin in einer Pattsituation. Diese Blockadesituation in der Politik geht mit der wirtschaftlichen Krise im Land einher. Die Wirtschaftskrise begann schon Ende 2019 und hat sich in den letzten Monaten verschärft. Die Weltbank teilte mit, dass die Krise im Land wahrscheinlich als eine der schlimmsten der Welt seit mehr als 150 Jahren gelten werde. 

Während die Mainstream-Medien hierzulande die Krise im Libanon – aufgrund der Framing-Muster der westlichen Berichterstattung – allein auf die Korruption und das Versagen der Eliten schieben, hat der Westen längst eine Kampagne der harten Sanktionen gegen das Land gestartet, um nicht nur dessen Rivalen im Libanon zu schwächen, sondern auch um die Blockaden gegen Syrien zu verschärfen.

Das Land leidet längst unter Treibstoffknappheit, da es sich faktisch in einer Art Blockade befindet. Der Generalsekretär der Hisbollah Hassan Nasrallah forderte Ende Juni angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise Ölimporte aus Iran. Er erklärte, die libanesischen Behörden sollten ihre Angst vor den USA überwinden und eine "mutige Entscheidung" treffen. Sein Statement versetzte den Westen und dessen Verbündete in der Region in Panik. Die US-Botschafterin in Beirut, Dorothy Shea, drohte daraufhin, dass die iranische Lieferung von Treibstoff nach Beirut keine "durchführbare Lösung" für das Problem sei.

Mit der harten Sanktionierung von syrischen Institutionen und Einzelpersonen versuchen unter anderem die USA seit Monaten gezielt, die Zusammenarbeit zwischen Syrien und dessen Verbündeten beim Wiederaufbau des Landes zu verhindern. Das sogenannte "Caesar-Gesetz" betrifft Drittstaaten, die mit Syrien Handel treiben, insbesondere der Libanon, der ohnehin unter der Wirtschaftskrise leidet. 

Obwohl die westlichen Medien suggerieren wollen, der Westen habe sich für die Überwindung der Pattsituation im Libanon eingesetzt, bezwecken die USA und ihre Verbündeten in erster Line die Schwächung der Hisbollah sowie die Eindämmung des Einflusses von Russland und China in dem krisengeschüttelten Land.

Der Libanon entwickelt sich allmählich zu einem neuen Schauplatz geopolitischer Konflikte: einerseits zwischen dem Westen und Russland bzw. China auf globaler Ebene und andererseits zwischen Iran und Israel auf regionaler Ebene. Das Springer-Blatt Die Welt warnt in seinem Kommentar zum ersten Jahrestag der Explosion im Hafen von Beirut vor einem wachsenden Einfluss Chinas: Der Hafen von Beirut werde im Jahr 2022 oder 2023 aufgrund seiner Langfriststrategie einer Neuen Seidenstraße "chinesisch", sollten keine Gegenmaßnahmen getroffen werden. 

Das israelische Forschungsinstitut und Thinktank, Institute for National Security Studies (INSS), äußerte sich bereits im April über einen zunehmenden Einfluss Moskaus im Libanon. Russland scheine daran interessiert zu sein, seinen Einfluss im Libanon auszuweiten, was es als "direkte Fortsetzung seiner Interessen" in Syrien und im östlichen Mittelmeer ansieht. Moskau sei in der Lage, dem Libanon bei der Lösung spezifischer Probleme zu helfen, wie etwa in Energieinvestitionen, kommentierte INSS. Während der Westen aufgrund seiner moralischen Überheblichkeit einige wichtige Akteure im Libanon, die auch demokratisch (dem Konzept des Westens nach) in ihren Ländern integriert sind, bei den Verhandlungen ignoriert, setzt sich Russland mit ihnen auseinander und vermittelt zwischen ihnen und den politischen Eliten. Dabei ist anzumerken, dass der Westen durch seine Strategie gegen die Hisbollah faktisch auch gegen Christen im Land vorgeht, die im Parlament Verbündete der Hisbollah sind. Der libanesische Präsident Michel Aoun und sein Schwiegersohn Gebran Bassil, der den größten Block im Parlament leitet, sind enge Verbündete der Hisbollah-Bewegung.

Israel und der Libanon befinden sich offiziell im Kriegszustand. Das Land zeigte sich in letzter Zeit besorgt, dass der Libanon bei einem völligen Zusammenbruch "vollständig" unter die Kontrolle Irans und seines Stellvertreters, der Hisbollah, fallen würde. Die westlichen Medien machten unlängst – in Übereinstimmung mit der israelischen Sicht auf die Entwicklungen im Libanon – die Hisbollah für die Blockadesituation in der Politik verantwortlich. Der Westen erdrückt den Libanon und seine Nachbarn mit einem aggressiven Wirtschaftskrieg, um die Hisbollah zu schwächen – eine Kraft, die geholfen hat, dass der IS in Syrien nicht Fuß fasst und dass die israelische Armee nach zwei Jahrzehnten brutaler Militärbesatzung im Jahr 2000 aus dem Südlibanon vertrieben wurde.

Die Krise im Libanon kann insofern nicht verstanden werden, wenn nicht der größere Zusammenhang der obsessiven westlichen Strategie miteinbezogen wird, die die Orientierung des Libanon gen Osten zu zertrümmern versucht.

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