Wieviel Politik steckt in der Energiepolitik?

Deutschland und die USA einigten sich vergangene Woche auf die Fertigstellung der Ostseepipeline Nord Stream 2. Allerdings wirft die gemeinsame Erklärung mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Unter Lobbyisten sorgt die Übereinkunft für Entrüstung.

von Karin Kneissl

Das Verhältnis zwischen Politik und Energiewirtschaft lässt niemanden kalt. Geht es nun bei Erdgaslieferverträgen ausschließlich um kommerzielle Aspekte, wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel im Fall Nord Stream 2 stets betonte, und handelt die US-Fracking-Industrie rein privatwirtschaftlich ohne jeglichen Kontakt zur US-Regierung oder Kongressabgeordneten? Könnten die deutschen Windparks ohne staatliche Subvention und Intervention funktionieren?

Selbstverständlich nicht. Der Energiemarkt, ob es sich um den fossilen oder den erneuerbaren handelt, wird immer auch von Geo- und Sicherheitspolitik mitbestimmt. Das englische Wort "Power" bedeutet "Macht" aber auch "Energie". Ein "Powercut" ist ein Stromausfall. Ich bediene mich dieses Wortspiels gerne, denn es ist geradezu symbolisch. Die lange Liste von Themen, welche die Vereinbarung zu Nord Stream 2 enthält, bestätigt dies nur.

Empörung in Washington über deutsche Energiepolitik

Der fast epische Titel der Übereinkunft lautet "Gemeinsame Erklärung der USA und Deutschlands zur Unterstützung der Ukraine, der europäischen Energiesicherheit und unserer Klimaziele". Auch nach mehrmaliger Lektüre einzelner Punkte ist mir nicht klar, ob dieser Text wirklich die Kontroverse um die erweiterte Ostseepipeline beendet. Aber die Entrüstung gewisser Redaktionen und Denkfabriken darüber, dass die US-Regierung unter Joe Biden Donald Trumps Feldzug gegen die Fertigstellung nicht fortführt, ist groß. Einige Passagen in der Erklärung lassen zwischen den Zeilen erkennen, dass die USA den Druck auf Berlin jedenfalls aufrechterhalten.

Liest man die Suaden des Atlantic Council, so fällt neben sexistischer Wortwahl, wenn es um Frauen im Energiegeschäft geht, und anderen unappetitlichen Untergriffen, die einer Denkfabrik unwürdig sind, eines auf: Die Entrüstung darüber, dass allen Widrigkeiten und Sanktionen zum Trotz die beiden neuen Stränge der Ostseepipeline in Betrieb gehen und russisches Erdgas infolge der erhöhten Nachfrage nach Deutschland liefern werden. Mein Refrain zu dem Thema lautet: Pipelines werden nicht gebaut, um zu verärgern oder zu gefallen, sondern aufgrund von Nachfrage und Angebot.

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Russische Energiekonzerne im Fokus

Der Vorwurf einer politischen Intervention kommt sofort auf dem Tisch, wenn es um Russland geht. Nord Stream 2 wird als "Putins Pipeline" bezeichnet. Niemand bezeichnete das österreichische Nabucco-Pipeline-Projekt im Jahr 2002, welches ursprünglich Erdgas aus Iran nach Mitteleuropa liefern sollte, als "Mullah Pipeline". Geht es um Big Oil, die größten internationalen Erdölfirmen, wird so getan, als wären sie weit weg vom politischen Orbit. Doch auch der Fall BP zeigte inmitten des Desasters im Golf von Mexiko im Frühjahr 2010, wie intensiv die Politik hier mitmischt. Manchmal auch mit interessanter Symbolik. So war aus "British Petroleum" bereits Jahre zuvor "Beyond Petroleum" geworden, um das Image des schmutzigen Ölkonzerns durch das eines grünen Energiekonzerns zu ersetzen. Die Umweltkatastrophe im Bohrbereich der Deepwater Horizon im Golf von Mexiko zerstörte diese PR-Kampagne. Der damalige US-Präsident Barack Obama hielt hierzu eine der seltenen Reden im Oval Office und verwendete darin mehrfach den alten Namen "British Petroleum". Er schuf dabei rhetorisch das Bild einer vom alten britischen Kolonialherrn provozierten Katastrophe auf dem amerikanischen Kontinent. Dass BP damals bei stark fallendem Aktienkurs nicht dem Ausverkauf preisgegeben wurde, hatte unter anderem konkrete politische Gründe. BP ist für London einfach zu wichtig. Dies trifft auch auf das Mineralölunternehmen Total und die französische Diplomatie zu, ebenso wie auf ENI und die italienischen Interessen im Nahen Osten. Die Liste ließe sich fortsetzen.

"The oil business is too important to leave it to the oil people", lautet ein alter Spruch in der Branche. Dass dieser bis heute seine Gültigkeit hat, zeigte Trump klar und deutlich und das tut auch sein Nachfolger Biden. Wer Biden nur mit einem "Green Deal" verbindet, verkennt die Fakten im US-Energiemix, der weiterhin fossil ist. Zudem bestimmt der Kongress über Gelder und Gesetzesentwürfe der jeweiligen Lobbygruppen den außenpolitischen und energiepolitischen Radius eines US-Präsidenten stets mit.

Daher lautet das Fazit: Die Pharisäer unserer Zeit mögen sich ein wenig beruhigen und den Rechtsnormen und der Vernunft ihre Moral nicht überstülpen. Kaum ein Wirtschaftssektor ist globaler als der Erdölmarkt. Dies bereits seit fast 100 Jahren, als mit dem Ende des Ersten Weltkriegs die Mobilität an Bedeutung gewann und der Benzinmotor fortan den Faktor Energie mitprägte. Winston Churchill wusste bereits als Marineminister im Jahr 1911 von der Bedeutung des Erdöls und ließ die britische Flotte von Kohle auf Diesel umsteigen. Jeder Staat betreibt über seine Energiepolitik auch Interessenspolitik. Das ist weder ein russisches Spezifikum noch eine französische Eigenart oder US-Tradition, sondern ein global gültiger Fakt. Die Autoren der Erklärung der USA und Deutschlands machen trotz aller Konfusion im Text eines deutlich: Immer wenn es um Energie geht, sind Angebot, Nachfrage und politische Interessen im Spiel.

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