Lukaschenko, Europas Sphinx: Unberechenbar und im Westen weithin missverstanden

In den letzten Monaten hat der scheinbar ewige Präsident von Weißrussland, Alexander Lukaschenko, eine Leidenschaft für Reisen nach Russland entwickelt. Angesichts der politischen Krise zu Hause stattete er dem engsten Verbündeten seines Landes in diesem Jahr bereits seinen vierten Besuch ab. Was als Nächstes im krisengeschüttelten Weißrussland passieren wird, kann man nur raten.

Ein Kommentar von Tarik Cyril Amar

Verständlicherweise führen Lukaschenkos Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin jeweils zu aufgeregten Kommentaren und Spekulationen unter den Russland-Beobachtern. Neben wichtigen Themen, die bei den Treffen besprochen werden, wie etwa Energiepreise oder Kredite, leitet sich das Verständnis über diese Reisen im Wesentlichen von drei Hauptpunkten ab.

Zunächst und am offensichtlichsten ist die Beziehung zwischen den beiden Ländern. Weißrussland wird zunehmend abhängiger von Russland, Lukaschenko zunehmend von Putin. Dies wurde besonders deutlich, als Moskau im vergangenen Monat, angesichts des internationalen Aufschreis über die unplanmäßige Umleitung eines Ryanair-Fluges nach Minsk und die daraufhin folgende Verhaftung zwei seiner oppositionellen Passagiere, sich standhaft hinter Minsk stellte.

Zweitens sind die Beziehungen zwischen Weißrussland und dem Westen (d.h. hauptsächlich den USA und der EU) eindeutig zerrüttet, wobei sowohl vor als auch nach dem Ryanair-Vorfall Sanktionen gegen das Land verhängt wurden.

Und drittens, obwohl dies manchmal in den Hintergrund tritt, ist die Zukunft der schwelenden politischen Krise, die mit der brutalen Reaktion der weißrussischen Regierung auf die Proteste nach den Wahlen im letzten Sommer begann. Diese Frage trifft den Kern von Lukaschenkos Zukunft – oder möglicherweise dem Fehlen einer solchen.

Abgesehen von den Einzelheiten der regelmäßigen Reisen des weißrussischen Präsidenten, lohnt es sich, die Perspektiven seines Landes systematisch zu betrachten. Minsk und seine Politik schaffen es irgendwie, das Beste und das Schlechteste aus Menschen und Regierungen hervorzurufen.

Zum Besten gehört sicherlich die Beharrlichkeit dieser Weißrussen, die zu Hause gegen Lukaschenkos eskalierenden Autoritarismus aufbegehren – gewaltlos und oft zu einem hohen Preis in Form von Vergeltungsmaßnahmen, vom Verlust des Arbeitsplatzes bis hin zu Inhaftierung und der Gefahr schwerer Misshandlungen.

Man darf sich keinen Illusionen hingeben: Diese Repressionen beschränken sich nicht auf Elite-Politiker und prominente Aktivisten mit fließendem Englisch, von denen viele im Ausland in Sicherheit leben und darauf vertrauen, den von den westlichen Medien so beliebten Jargon der "Zivilgesellschaft" zu beherrschen. Die schwere Hand von Lukaschenkos Sicherheitskräften – der "Silowiki" – fällt auch auf Weißrussen quer durch das gesamte gesellschaftliche Spektrum, darunter Arbeiter, Krankenschwestern und Ärzte sowie lokale Künstler und Journalisten, die im Westen viel weniger Aufmerksamkeit erfahren.

Jeder Beobachter, der die Kämpfe und Opfer dieser nicht ganz so "gewöhnlichen" Weißrussen auf "äußere Agitation" des Westens zurückführt oder auf die Folgen des "westlichen Informationskriegs" reduziert, ist nicht nur diesen Menschen gegenüber zutiefst unfair, sondern erliegt auch einem grundlegenden Trugschluss: Zwar praktiziert der Westen auch in Weißrussland knallharte Geopolitik und wendet schmutzige Tricks an. Das bedeutet aber nicht, dass es keinen echten inneren Widerstand gegen Lukaschenkos ausbeuterisches und korruptes Regime gibt.

Wenn es um das Schlimmste geht, was Weißrussland hervorbringt, dann ist es das unmenschliche Vorpreschen des EU-Mitglieds Litauen gegen Migranten, die auf der Flucht über die weißrussische Grenze in das baltische Land einwandern, sicherlich die Messlatte. Gesetze einzuführen, die Masseninhaftierungen und Abschiebungen ermöglichen und gleichzeitig Berufungsrechte im Asylverfahren massiv einschränken, sind beschämend.

Und die litauische Staatsführung setzt dem ganzen als Hohn noch eine Krone auf, indem sie die Menschen auf ihrer verzweifelten Flucht – oft vor Kriegen des Westens im Nahen Osten – als "keine echten Migranten" bezeichnet, sondern als weiteres Werkzeug für Lukaschenko, mit dem das kleine baltische NATO-Land unter Druck gesetzt werden soll. Es ist, als ob die litauische Regierung mit ihrer fiesen Auslegung von "Flüchtlinge als Waffe" ein Lehrbuchbeispiel über brutalen Zynismus und unterschwelligen Populismus liefern wollte.

Lukaschenkos Regierung selbst trägt natürlich auch unermüdlich zur Dekoration im Schaufenster des Schlimmsten bei. Der ehemalige Präsidentschaftskandidat und Herausforderer von Lukaschenko, Viktor Babariko – der von einigen Beobachtern als der von Russland bevorzugte Kandidat eingeschätzt wird – wurde mit einer absurd langen Gefängnisstrafe belegt, kritische Medien wie Nasha Niva geschlossen und die Jagd auf die im Land verbliebenen Aktivisten der Opposition eröffnet.

Auch unter außenstehenden Beobachtern herrschen allgemeine Unsitten vor – nicht so sehr unter Experten, sondern unter westlichen Politikern und in den Medien – die das Nachdenken über Weißrussland verderben: Dürftige Einschätzungen und übertrieben kühne Vorhersagen. Das ist ironisch, denn die Entwicklungen in Weißrussland sind, wenn überhaupt, besonders schwer zu entschlüsseln und vorherzusagen.

Tatsächlich ist die Richtung, die Weißrussland seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 1991 eingeschlagen hat, einem seltsamen und unerwarteten Weg gefolgt. Die weißrussische Regierung hat einen autoritären Weg eingeschlagen und das Land ist mit etwa zehn Millionen Einwohnern vergleichsweise klein. Aber es hat auch eine dynamische Gesellschaft hervorgebracht, die zunehmend Veränderungen fordert und eine der umfassendsten und hartnäckigsten – wenn auch derzeit unterdrückten – Herausforderung für den Autoritarismus im postsowjetischen Raum darstellt.

Andererseits hatte die benachbarte Ukraine seit ihrer Unabhängigkeit sechs Präsidenten. Nur einer davon hat eine Wiederwahl geschafft, während das Präsidentenamt dort zweimal durch den gewalttätigen Druck der Straße neu besetzt wurde. Weißrussland hat mit Lukaschenko einen Mann an der Spitzenposition, der seit dem Jahr 1994 an der Macht ist und keine Anzeichen für einen baldigen Abgang zeigt. Eine Schlussfolgerung ist also, dass die weißrussische Regierung theoretisch "stabil" ist, in Wirklichkeit jedoch möglicherweise auch nicht.

International hat sich Weißrussland erst nach Osten, dann nach Westen und jetzt wieder nach Osten gewendet. Dennoch war das Land für niemanden ein einfacher oder zuverlässiger Partner oder Kunde, weder für die EU noch für Russland, obwohl es formal in eine spezielle, aber weitgehend nicht umgesetzte "Unionsstaat"-Beziehung mit Moskau eingebunden ist.

Tatsächlich bedeutet der Umgang mit Lukaschenko, mit einem Politiker umzugehen, der eine klinische Abneigung gegen Regeln und Vereinbarungen zu haben scheint, zumindest gegen die Art, wie die meisten Menschen – und sogar die meisten Politiker – diese Begriffe verstehen. Seine Kooperation hält so lange an, als dies zu seinem Vorteil ist und keine Sekunde länger. Und das weiß jeder, der mit ihm zu tun hatte, ob in Moskau, Berlin oder Washington.

Noch bemerkenswerter – und für westliche Beobachter vielleicht überraschend – ist die Tatsache, dass auch der Widerstand gegen Lukaschenkos Regierung, zumindest anfangs, keine klare geopolitische Ausrichtung aufwies. Weißrussen, so scheint es, sind nicht leicht für die großen und hohlen "zivilisatorischen" Phrasen zu mobilisieren, mit denen einige westliche und prominente Intellektuellen nicht aufhören können herumzudröhnen. Daraus kann eine weitere Schlussfolgerung gezogen werden, nämlich dass, auch wenn der derzeitige Präsident von Weißrussland eklatant opportunistisch ist, seine Bürger Pragmatiker sind, die weitgehend abgeneigt sind, sich von ideologischen Flusen vereinnahmen zu lassen, sei es Nationalismus oder dem Stuss von Weißrussland als "östlichstes Bollwerk der westlichen Zivilisation".

Und das bringt uns zurück zur Frage der anhaltenden politischen Krise in Weißrussland. Möglicherweise wird Lukaschenko seine umstrittene Idee einer Verfassungsreform durchziehen, die sehr stark von ihm geprägt sein wird und ohne substantielles Engagement seiner Gegner stattfindet. Aber es ist unmöglich vorherzusagen, was das Ergebnis daraus letzten Endes sein wird. Könnte dies ihm einen Weg zu einem geordneten Rücktritt und Abgang ebnen? Könnte es eine neue Welle akuter Mobilisierung unter seinen Gegnern provozieren? Oder – auch eine reale Möglichkeit – könnte vielleicht gar nicht viel passieren? Und was würde das alles für die internationale Position von Weißrussland bedeuten? Eines scheint jetzt schon sicher: Die meisten Vorhersagen werden falsch liegen.

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Tarik Cyril Amar ist Historiker an der Koç-Universität in Istanbul, befasst sich mit Russland, der Ukraine und Osteuropa, der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, dem kulturellen Kalten Krieg und der Erinnerungspolitik. Er twittert unter @tarikcyrilamar

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