von Mark Hadyniak
Die Hochwasserkatastrophe im Westen Deutschlands hat bis jetzt mehr als 170 Menschen das Leben gekostet und Tausende vor die Ruinen ihrer Existenz gestellt. Nach den Wassermassen tritt eine weitere Flut hervor – aus Wortmeldungen, Schuldzuweisungen und Selbstdarstellungen. Jeder, so scheint es, versucht irgendwie Kapital aus der Situation zu schlagen – manche mit bitterem Ernst, andere mit einem Grinsen (#laschetlacht).
In dem Gewühl darf selbstverständlich Fridays for Future nicht fehlen. Sie erinnern sich? Die jugendlichen Klima-Aktivisten, die vor den Folgen des Klimawandels gewarnt haben. Die Hochwasserkatastrophe wird zu einem Argument gemacht, das perfekt in ihr Bild des Klimawandels hineinpasst. Über Twitter verkündete eine der Plattformen der Organisation, der Klimawandel sei nun "im Globalen Norden" angekommen. Mit erhobenem Zeigefinger wird – fast genugtuend – auf die "Fossile Brennstoffindustrie", das "reichste ein Prozent" und die "Führer des Globalen Nordens" verwiesen und resümiert: "Das geht auf euch."
Führende Persönlichkeit der deutschen Abteilung von Fridays for Future ist Luisa Neubauer. Die "deutsche Greta Thunberg" lässt es sich nicht nehmen, ihre Sichtweise auf die Katastrophe in den Medien zu verbreiten. Im Gespräch mit der dpa kritisierte Neubauer die Bundesregierung scharf, diese sei "nicht nur ignorant", sondern verharmlose aktiv "seit Jahrzehnten" die Folgen des Klimawandels. Die Flutkatastrophe sei deswegen "nicht nur ein großes Unglück", sondern eine "Konsequenz der politischen Weigerung, wissenschaftliche Warnungen ernst zu nehmen". Der Klimawandel, der auch von der Bundesregierung seit Jahrzehnten vorangetrieben werde, führe zu "nachweislich immer schlimmeren" Wetterextremen.
Neubauer konstatiert der Bundesregierung quasi ein Totalversagen und eine Mitschuld an der Hochwasserkatastrophe. Deutschland sei für eine derartige Katastrophe nicht vorbereitet gewesen. Neubauer fasst zusammen:
"Weder Menschen noch Infrastruktur sind für diese Klimakatastrophe gebaut, das ist heute offensichtlicher denn je."
Sind Menschen nicht für Wetterextreme "gebaut"?
Bei aller Berechtigung für Kritik an der Bundesregierung – sowohl in der Prävention als auch in der Handhabe der Flutkatastrophe und ihrer Folgen – dieses Zitat von Neubauer hat es in sich und lohnt einen genauen Blick. Die Kernaussage ist nicht neu. Neubauer hatte diese schon am ersten Tag des Hochwassers auf ihrem Twitter-Account verwendet.
"Die Klimakrise macht Wetterextreme häufiger und heftiger. Dass weder Menschen noch Infrastruktur dafür gebaut sind, erlebt man aktuell in NRW."
Menschen und Infrastruktur sind nicht "für diese Klimakatastrophe" bzw. für "häufige und heftige" Wetterextreme gemacht, sagt Neubauer. Unstrittig ist, dass die Infrastruktur in Deutschland nicht besonders unwetterbeständig ist – das weiß jeder Bahnfahrer. Aber wie ist es mit dem Menschen?
Schauen wir auf das Zitat und nehmen es wörtlich: Menschen sind nicht "für diese Klimakatastrophe" (bzw. für "häufige und heftige" Wetterextreme) gebaut. Wir müssen hinterfragen, ob das tatsächlich so ist. Zunächst fällt aber die Formulierung, und damit die ideologische Grundausrichtung, auf: Menschen sind nicht gebaut für etwas. Das heißt im Umkehrschluss: Es gibt Dinge, für die Menschen gebaut sind. Der Kern dieser Aussage ist:
Menschen sind gebaut.
Aus diesem Satz ergeben sich viele Fragen. Was bedeutet das "Bauen" von Menschen? Ist damit die biologische Ontogenese gemeint? Von wem werden Menschen "gebaut"? Von ihren Eltern, von einem Schöpfer? Sind alle Menschen gleich "gebaut"? Die letzte Frage wird bedeutsam, wenn man konstruieren will, wofür Menschen "gebaut" sind und wofür nicht.
Menschen sind nicht für "häufige und heftige" Wetterextreme gebaut.
Menschen bewohnen nahezu alle Teile des irdenen Festlands. Es gibt menschliche Kulturen im Polarkreis und in den Tropen, auf winzigen Insel-Archipelen und im Bereich der Sahara-Wüste. Küstenbewohner und Fischervölker trotzen seit Jahrtausenden den Gezeiten und Stürmen des Meeres. Hirtenvölker leben seit Jahrtausenden in kargen Steppenlandschaften.
Es grenzt an Diffamierung der menschlichen Leistungen, der gesamten Spezies abzuerkennen, Wetterextremen widerstehen zu können. Es widerspricht auch biologischen Erkenntnissen, ein Norm-Schema des Menschen dafür zugrunde zu legen. Tausende Jahre der Anpassung haben spezifische, an die Wetterextreme angepasste Lebensweisen von Menschengruppen entstehen lassen.
Menschen evolvieren mit und durch Wetterextreme(n)
Es mag vielleicht einer deutschen Studentin aus dem Umfeld der Milliardärsfamilie Reemtsma aus dem Blick geraten, aber Menschen widerstehen seit dem Beginn ihrer Geschichte "häufigen und heftigen" Wetterextremen. Tatsächlich gäbe es die Menschheit in ihrer heutigen Form nicht ohne diese Fähigkeit. Die gesamte Ausbreitung des Homo sapiens aus seinem natürlichen Habitat im Osten Afrikas über die Erdkugel ist gekoppelt an seine Fähigkeit, sich anderen, veränderlichen und heftigen Wetterextremen anzupassen und ihnen zu widerstehen. Gleiches trifft auch auf bereits zuvor erfolgte Ausbreitungen "out of Africa" zu wie etwa vom Homo erectus.
Erstaunlich und bedauerlich ist die Vergessenheit über die jüngere Geschichte unserer Spezies. Dabei muss man gar nicht in ferne Regionen reisen, um zu verstehen, welchen heftigen Wetterextremen die Menschheit bereits getrotzt hat. Ohne ihre Adaptionsfähigkeit hätte die Menschheit nicht die Übergänge zwischen Kalt- und Warmzeiten wie etwa im letzten Glazial (Eiszeit) überstehen können – auch hier in Europa. Wissenschaftlich ungeklärt ist bislang das Aussterben des Neandertalers (Homo sapiens neanderthalensis) in diesem Zeitabschnitt. Der Homo sapiens sapiens hingegen hat überlebt. War er dafür etwa "gebaut"?
Menschen sind nicht "für diese Klimakatastrophe gebaut, das ist heute offensichtlicher denn je".
Mag sein, Neubauer meinte vielleicht doch nicht alle "häufigen und heftigen" Wetterextreme, sondern nur "diese Klimakatastrophe". Sprich: eine Hochwassersituation in Folge von starken Regenfällen. Das wäre in der Tat absurd. Allein die Geschichte der letzten Jahrhunderte zeigt, wie viele Hochwasserkatastrophen die Menschen überstanden haben. Die menschliche und gesellschaftliche Entwicklung lief weiter. Selbstverständlich waren und sind jedes Mal zahlreiche Opfer zu beklagen. Aber welche Kaltblütigkeit gehört dazu, den Menschen ihre Widerstandsfähigkeit im Kampf gegen Fluten und Hochwasser abzusprechen. Welcher Hohn im Angesicht all jener, die letzte Woche Tag und Nacht ihre Häuser, ihr Hab und Gut gegen Wassermassen verteidigt haben.
Es passt ins Bild, dass Neubauer und ihre Fridays for Future-Truppe zwar "zum Helfen" aufgerufen haben – "dort, wo Hilfe gebraucht ist". Selbst aber streikten sie in über 40 Orten "für echten Klimaschutz", während anderswo Sandsäcke geschleppt und Keller ausgepumpt wurden. Neubauer streikte "in Solidarität mit all denen, die so viel verloren haben".
Gleichzeitig betonte Neubauer gegenüber dem britischen Privatsender Sky News vom Medienmogul Rupert Murdoch:
"Wir brauchen mehr als Worte."
Epilog – Was nicht passt, wird passend gemacht
Man kann und muss die Bundesregierung, die Landesregierungen und alle Behörden kritisieren, warum die Hochwasserkatastrophe in dieser Form abgelaufen ist. Und vor allem, warum es so viele Todesopfer gegeben hat. Hätten sie verhindert werden können, bei einer rechtzeitigen Warnung und einem rationalen Katastrophen-Management? Man muss Fragen stellen und Versäumnisse anprangern.
Es gehört zu den Erscheinungen unserer heutigen Gesellschaft, dass sich nach einem Unglücksfall von überall Wortmelder erheben wie Fruchtfliegen auf einem reifen Pfirsich und das Unglück anderer zur eigenen Profilierung ausnutzen wollen. Es ist Wahlkampf. Es ist immer Wahlkampf in der Politik. Auch Fridays for Future und ihre Frontfrau Luisa Neubauer springen auf dieses Boot auf.
Man kann sogar argumentieren, welchen Einfluss ein wie auch immer gearteter Klimawandel auf Wetterextreme allgemein und diese Hochwassersituation speziell hat. Eine monokausale Reduktion der Ereignisse auf den Faktor "Klimawandel" widerspricht jedoch den historischen Fakten. "Klimawandel" wird dadurch zu einem politischen Schlagbegriff, der von bestimmten politischen Gruppierungen zur Umsetzung ihrer Ziele gebraucht wird.
Welche ideologischen, weltanschaulichen Positionen sich dahinter verbergen, lassen sich aus der analysierten Aussage von Luisa Neubauer absehen: Ein eurozentristisches, bürgerliches, akademisches Weltbild, in dem die Geschichte nach eigenen Gutdünken gedichtet wird.
Am Beispiel von Neubauer zeigt sich, wie die Gesellschaftskritik ihrer politischen Blase gestaltet ist. Der "Klimawandel" wird zum Überthema und zur Metakritik erhoben. Staat und Kapitalisierung werden dann kritisiert, wenn sie nicht mit dem Axiom des Klimawandels und somit mit der Agenda der politischen Akteure hinter dem Schlagbegriff übereinstimmt. Es überrascht daher nicht, dass Neubauer am gleichen Tag des benannten Tages über Twitter Werbung für die Corona-Impfung machte:
"Es ist so wichtig, dass weiterhin zum #Impfen aufgerufen wird. Ich bin geimpft und sehr dankbar."
Keine Bedenken bei den Folgen für Umwelt und Menschen beim Einsatz von Gentechnik in der Impfstoffherstellung? Keine Bedenken über die milliardenschwere Umverteilung von Kapital zugunsten der Pharmaindustrie – sprich der Chemieindustrie? Welchen Anteil hat diese eigentlich am Klimawandel?
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