von Seyed Alireza Mousavi
Die mediale Darstellung Irans im Westen ist kaum sachlich, ebenso wenig wie jene Russlands und Chinas. Das Thema Iran folgt immer einem Framing-Muster, bei dem das Axiom "Schurkenstaat Iran" bzw. "Mullah-Regime" bei der Berichterstattung nicht fehlen darf. Dabei reicht das Beherrschen und Nachplappern einer begrenzten Anzahl von Konzepten aus, um einen Kommentar zum Thema Iran zu schreiben. Das zeigt sich am deutlichsten, wenn es um die Wahlen in Iran geht. Wenn Sie eine Reihe von Richtlinien befolgen und einige bestimmte Themen diesbezüglich besprechen, können Sie theoretisch bei sogenannten Qualitätsmedien zum Thema Wahlen in Iran Kommentare schreiben, ohne Journalismus oder Politik studiert zu haben: 1. Der Wächterrat schließt "moderate" Kandidaten von Präsidentenwahl aus. 2. Die Wahlen sind deswegen nicht frei, und Iran wird radikaler. 3. Die "Hardliner" haben das Sagen bei den Wahlen. 4. Die Revolutionsgarde baut ihre große Macht durch die Wahlen aus.
Diese Phrasen kann man nicht nur auf die anstehenden Wahlen beziehen, sondern auch auf vorherige und zukünftige Wahlen, da der inhaltliche Ansatz der westlichen Journalisten immer derselbe ist: Die westliche Politik ist gut, nicht (pro)westliche Politik hingegen böse und "demokratiefeindlich".
In Iran wurden sieben Kandidaten zu den Präsidentschaftswahlen zugelassen. Die beiden Gefolgsmänner von Präsident Hassan Rohani sind für die am 18. Juni angesetzten Wahlen jedoch nicht zugelassen worden. Fünf Kandidaten gehören dem konservativen Lager an, zwei weitere Kandidaten stehen dem reformistischen Lager nahe.
Die Mainstream-Medien bezeichnen den Wächterrat als "ein demokratisch in keiner Weise legitimiertes Organ", das "willkürlich" Kandidaten aussortiert. Der Wächterrat ist im Grunde das iranische Verfassungsgericht, dessen Aufgabe unter anderem darin besteht, die Positionen der Kandidaten bei den Wahlen auf Verfassungstreue zu überprüfen. Die Wahlen finden in Iran genauso wie in anderen Ländern im Rahmen der vorgegebenen Regelungen und Gesetze statt. Insofern kann ein Kandidat, der nicht an die Vorgaben der Verfassung glaubt, dementsprechend auch nicht an den Wahlen teilnehmen, deren Rahmenbedingungen in der Verfassung konzipiert sind. In Deutschland gibt es andere Mechanismen, etwa den Verfassungsschutz oder Parteiausschlüsse, um das Antreten sogenannter Links- bzw. Rechtsaußenpolitiker auf Führungsebene zu blockieren, da diese angeblich die "freiheitlich-demokratische Grundordnung" gefährden. Im Westen spielen die Medien-Kartelle dabei eine entscheidende Rolle, die nach ihrem Framing-Konzept einfach Stimmung gegen Abweichler machen und diese entweder von der politischen Bühne aussortieren (Stichwort: Trump) oder auf Linie bringen können (Stichwort: Baerbock).
Unabhängig davon haben sich die Revolutionäre von 1979 von Anfang an auf die Fahnen geschrieben, ihre Politik weder an Ost noch West, sondern vielmehr an den Werten der Islamischen Republik Iran auszurichten. Wie der sogenannte Wertewesten "Weltordnung" in der Außenpolitik und "Rechtsordnung" in der Innenpolitik definiert, sollte insofern kein Maßstab für Iran sein. Hier geht es nicht darum, die schiitische Staatsordnung in Iran zu beurteilen, sondern klarzustellen, dass die Iraner sich genauso wenig wie Russen und Chinesen an westlichen Standard messen lassen.
Bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen handelt sich grundsätzlich darum, ob Iran einen Weiter-so-Kurs fahren oder einen anderen Kurs in der Politik des Landes einschlagen will. Der amtierende Präsident Rohani, der dem reformistischen Lager nahesteht, hat in letzten acht Jahren die Innenpolitik des Landes an die Außenpolitik geknüpft, was zu langwierigen Verhandlungen mit den westlichen Staaten über die Aufhebung der Sanktionen führte. Seitdem das multilaterale Atomabkommen 2015 aufgrund des einseitigen US-Austritts auf der Kippe steht, erwies sich diese Politik als unausgewogen. Einer der Kandidaten der Reformisten, Abdolnaser Hemmati, der derzeit als Chef der iranischen Zentralbank fungiert, zeigte sich vor Kurzem in einem Interview mit der Nachrichtenagentur APbereit, sich zur Intensivierung der Verhandlungen mit Joe Biden zu treffen.
Das konservative Lager der Iraner beobachtet seit Jahren die wachsende Macht Chinas und Russlands in der Weltpolitik zum einen und den schrittweisen Rückzug der USA aus der Region zum anderen. Insofern wird erwartet, dass Iran unter einem konservativen Präsidenten in seiner Außenpolitik den Osten dem Westen und seine Nachbarländer den entfernten Ländern vorziehen wird, um seine nationalen Interessen zu wahren.
Die Kandidaten des konservativen Lagers und insbesondere dessen "Hoffnungsträger" Ebrahim Raissi stellten in ihren Wahlkampagnen die schlechte wirtschaftliche Lage des Landes im Mittelpunkt. Nach dem Konzept der "Widerstandswirtschaft", das unter den konservativen Kräften seit Jahren populär ist, soll die nationale Wirtschaft gegen Sanktionen von außen immun werden. Dieses Vorhaben ist eigentlich eine politische Offensive gegen den amtierenden Präsidenten Rohani, der bislang die Aufhebung der Sanktionen auf seine Agenda gesetzt hat. Inwieweit allerdings die Umsetzung dieses Konzepts möglich ist, bleibt im Falle des Wahlsiegs eines konservativen Kandidaten abzuwarten.
Während von den Iranern das US-Sanktionsregime als einer der Hauptgründe für die Wirtschaftskrise im Land genannt wird, nehmen sie auch ihre eigene politische Elite in die Verantwortung. Dies äußert sich in einer in den letzten Jahren deutlich zu vernehmenden Politikverdrossenheit der Iraner. Dabei werden sich die Iraner jedoch insbesondere seit dem Ausstieg der USA aus dem Atomdeal nicht vom Westen belehren lassen, was eine "freie Demokratie" bedeutet. Die Darstellung der Meinungsmacher im Westen dient jedoch in erster Linie den westlichen Regierungen, um deren eigene Bevölkerung für weitere Sanktionen oder Militärinterventionen gegen "Schurkenstaaten" im Nahen Osten zu gewinnen und sie gegebenenfalls auf eine neue Flüchtlingswelle nach Europa einzustimmen.
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