von Arthur Buchholz
Wir erinnern uns an das Jahr 2013 zurück, als ein bis dahin völlig unbekannter IT-Spezialist namens Edward Snowden über die Journalisten Laura Poitras und Glenn Greenwald den größten Abhörskandal der Geschichte veröffentlichte. Massenhaft hatte der US-Geheimdienst NSA Daten gesammelt, bis in die höchsten Kreise. Das Handy der Bundeskanzlerin, so kam heraus, war ebenfalls nicht vor der Sammelwut der NSA sicher.
Als diese Anschuldigungen erhoben wurden, kam vom Weißen Haus kein offenes Dementi. Der damalige US-Präsident Barack Obama sagte aber, dass Frau Merkels Telefon zu diesem Zeitpunkt nicht abgehört werde und auch in Zukunft nicht abgehört werden würde. Ein Schelm, der nicht bemerkte, wie der "Yes, we can"-Präsident geschickt die Vergangenheitsform gemieden hat.
Regierungssprecher Steffen Seibert sagte in einer Regierungspressekonferenz den berühmten Satz: "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht." Nun stellt sich heraus: Das geht ja wohl! Erst jetzt haben Journalisten Zugang zu Berichten erhalten, die die Unterstützung der NSA durch den dänischen Verteidigungsnachrichtendienst Forsvarets Efterretningstjeneste (FE) detailliert beschreiben.
Während man also konzentriert auf die russische Bedrohung geschielt hat, hat man gar nicht gemerkt, dass die netten Nachbarn stets gelauscht haben. Aber es sind ja "gute" Ohren, die mitgehört haben.
Wer jetzt denkt, das würde mal ein Umdenken auslösen angesichts all der "highly likely" russischen Hacker, die Wahlen manipulieren und Pipelines lahmlegen, der irrt sich.
Und die deutsche Presse?
Wenn man "Dänemark" bei der dpa eingibt, wird man darauf hingewiesen, dass Toni Kroos beim EM-Testspiel gegen Dänemark noch nicht dabei ist. Auch interessant.
Bei Google News erhält man zuerst die Nachricht, dass die Skandinavier einigen Syrern den Asylstatus entziehen. Dann kommen doch drei Nachrichten zum NSA-Komplex, danach aber wieder die schrullige Geschichte einer dänischen Journalistin, die ein Interview führt, während sie koitiert.
Aufs Kreuz gelegt wurden Merkel und andere Politiker allemal. Die Kanzlerin gab an, von dem Vorgang erst durch die Recherche erfahren zu haben. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, als ehemaliger Kanzleramtschef immerhin auch BND-bewandert, erklärte ebenso, "keine Kenntnisse" zu einer möglichen Überwachung durch den dänischen Geheimdienst zu haben. Auch der damalige Oppositionsführer Peer Steinbrück wurde ins Visier genommen.
Doch ein Aufschrei der Presse wie damals, als der Spiegel noch ganze drei Titel aus der Story rausgepresst hat, wird heute nicht mehr kommen. Man berichtet pflichtschuldigst, aber da macht man kein Fass mehr auf. Wir haben doch andere Probleme. Da fällt so ein kleines Skandälchen aus der grauen Vorzeit, als es noch keinen Haltungsjournalismus gab, gar nicht mehr ins Gewicht. Und so ist es nur konsequent, wenn sich beispielsweise auf der Startseite von Spiegel.de nicht ein einziger Artikel zur Neuauflage des Abhörskandals finden lässt (Stand: 18 Uhr).
Dass Snowden seit seinen Enthüllungen in Moskau im Exil sitzt, möchte man in diesem Zusammenhang doch lieber nicht zu laut sagen. Wo der Feind steht, weiß man doch ohnehin.
Dass die NSA in der Lage ist, jeden Hackerangriff aussehen zu lassen, als würde er aus Russland, aus China oder vom Mars kommen, müsste seit den Snowden-Leaks auch Allgemeinwissen sein.
Snowden twitterte übrigens auch, man sollte Biden zu der Sache befragen. Dieser war damals schließlich mit Obama am Ruder. Ob Merkel das wirklich machen wird, so unter Freunden?
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Mehr zum Thema - "Snowden hatte Recht" – Europäisches Gericht erklärt britische Online-Schnüffelei für illegal