von Seyed Alireza Mousavi
Das erneute Aufflammen des bewaffneten Konflikts zwischen Palästinensern und der israelischen Armee in Gaza erfolgt zu einem sehr unangenehmen Zeitpunkt für die Grünen. Seit Tagen fahren die Mainstream-Medien in Deutschland übereinstimmend eine mediale Kampagne gegen deren Parteivorsitzende und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, da diese vor etwa drei Jahren eine kritische Haltung zu Waffenlieferungen an Israel einnahm. Auslöser des medialen Aufschreis war ein Interview Baerbocks aus dem Jahr 2018. Damals sprach sie sich gegen U-Boot-Exporte in Krisenregionen aus und schloss Israel dabei mit ein: "In Krisenregionen sollen keine U-Boote geliefert werden, die dann umgerüstet werden können."
In ihrer neuen Rolle als Kanzlerkandidatin nimmt Baerbock nun aufgrund der massiven Angriffe gegen sie ihre damalige Haltung zurück. Sie bekräftigte kürzlich erst ihre bedingungslose Unterstützung für Israel und bekannte sich damit erneut zur deutschen Staatsräson. "Ich verurteile die fortlaufenden Raketenangriffe gegen Israel aufs Schärfste", sagte Baerbock letzte Woche. Seit Bekanntgabe ihrer Kanzlerkandidatur wurde sie von den Kartellmedien bereits ununterbrochen gefeiert. Insofern war die jüngste Welle der Kritik an ihrer damaligen Äußerung zum Nahostkonflikt für sie vermutlich eine absolute Überraschung.
Baerbock reagierte im Grunde prompt und ungeschickt und stellte sich einseitig auf die Seite Israels. Baerbock erklärte auf Bild-Nachfrage, 2018 sei unklar gewesen, ob U-Boote von Israel atomar umgerüstet würden. Anschließend erklärte sie: "Sollten die Grünen der nächsten deutschen Bundesregierung angehören, werden sie die Sicherheitskooperation mit dem Staat Israel partnerschaftlich besprechen und fortsetzen." Dass Baerbock inzwischen eingelenkt hat, reichte den Meinungsmachern in Deutschland dennoch nicht aus. Daher bemühen sie sich seit Tagen, die "grüne" Außenpolitik auf Linie zu bringen, um damit für den Fall einer möglichen Beteiligung der Grünen an der zukünftigen Bundesregierung abweichende Haltungen im Vorfeld korrigiert zu haben.
Wie keine andere Partei haben die Grünen sich auf die Fahnen geschrieben, ihre Außenpolitik auf die globalisierten Werte des Westens auszurichten und diese – etwa gegenüber Russland oder China – nicht nur in einer deutlich klareren Sprache einzufordern als bisherige Bundesregierungen, sondern notfalls auch mit Druck durchzusetzen, etwa durch Sanktionen und Militärinterventionen.
Die Grünen wollen Weltpolitik betreiben und dabei bisher offenbar keine Ausnahmen machen: Wenn Israel die palästinensische Bevölkerung in den besetzten Gebieten unterdrückt und vertreibt, solle man diese Politik im gleichen Tempo wie bei der angeblichen "Diskriminierung" der uigurischen Muslime in der Provinz Xinjiang durch die chinesische Regierung verurteilen. "Als jüngste Kanzlerkandidatin der Geschichte, zudem noch ohne exekutive Erfahrung, muss sie den Verdacht entkräften, außenpolitisch naiv zu sein", kommentiert der Spiegel in Bezug auf ihr Interview aus dem Jahr 2018, um damit mutmaßlich anzudeuten, dass eine erfahrene westliche Politikerin das Thema Israel nicht aus derselben Perspektive betrachtet wie Russland, China oder Iran.
Die europäischen Grünen stehen allerdings in der westlichen Politik unter Verdacht, weil sie in einigen europäischen Ländern wie Schweden für eine "propalästinensische Haltung" bekannt sind. Dabei ist zu erwähnen, dass eine propalästinensische Haltung in den westlichen Medien auch jenen Akteuren unterstellt wird, die an beide Seiten des Konflikts gleichermaßen appellieren, die Gewalt zu unterlassen. Denn Meinungsmacher und politische Akteure in westlichen Medienkartellen reagieren auf die Eskalation im israelisch-palästinensischen Konflikt nach dem bekannten Muster: Sie verurteilen die Raketenangriffe der "Terrororganisation" Hamas, zeigen sich solidarisch mit Israel und bezeichnen die bombardierten Ziele in Gaza als "Terrorziele". Dem Umstand, dass die israelischen Operationen dabei auch zahlreiche Opfer unter unschuldigen Zivilisten verursachen, schenken sie grundsätzlich keine besondere mediale Aufmerksamkeit, ganz so, als wären diese Opfer Kollateralschäden legitimer israelischer Angriffe.
Ein gutes Beispiel für die Doppelmoral der deutschen Medien im Zuge des erneut aufgeflammten Krieges zwischen der Hamas und Israel ist ein Interview des deutschen Auslandssenders Deutsche Welle (DW) mit dem palästinischen Journalisten Ali Abunimah zur jüngsten Eskalation in Nahost. Da Abunimah in diesem Interview aus seiner eigenen Sicht von der Eskalation zwischen der Hamas und der israelischen Armee erzählte und seine Meinung von der Framing-Perspektive der westlichen Berichterstattung abwich, entfernte DW den Beitrag. Später bat der Sender für einen mutmaßlichen Fehler in diesem TV-Interview zur Eskalation im Gazakonflikt um Entschuldigung.
DW soll ihre Mitarbeiter außerdem bei der Berichterstattung über den israelisch-palästinensischen Konflikt angewiesen haben, Begriffe wie "Kolonialismus" und "Apartheid" nicht zu benutzen. Allerdings sprechen mittlerweile selbst Human Rights Watch Organisation (HRW) und mehrere israelische Schriftsteller wie David Grossman von "Apartheid" in Israel. Auf Anfrage von RT dementierte DW nicht die Authentizität dieser Richtlinien, die im Internet zirkulieren.
Im Rahmen außerparlamentarischer Initiativen der Grünen äußern sich auch Aktivisten zum Teil ganz anders, als sich die Führungselite im Westen das wünscht. Besonders in der Umweltbewegung um Fridays for Future sind wiederholt israelkritische Stimmen zu hören. Der Tweet der schwedischen Umweltaktivistin Greta Thunberg zur Lage in Gaza sorgte kürzlich bei deutschen Medien und Politikern für Verstimmung. Sie teilte unlängst einen Beitrag der kanadischen Autorin und Anhängerin der BDS-Bewegung Naomi Klein, die darin Israel "ein Kriegsverbrechen nach dem anderen" vorwirft. CDU-Chef Armin Laschet kritisierte die Klimaaktivistin für ihren Tweet zu Israel. Bei manchen, die sich außenpolitisch äußern, sei dies "nicht sehr durchdacht", äußerte er. Dabei ist natürlich fraglich, ob im Gegensatz dazu Thunbergs Äußerungen über Klimawandel immer sehr viel durchdachter sind. Warum ist aber dazu kaum ein Aufschrei von deutschen Politikern zu hören?
Den Grünen ist mittlerweile klar geworden, dass sie ihre Vision – nämlich radikale Klimapolitik und Genderpolitik sowie Diversity-Agenda – nur dann umsetzen können, wenn sie in der Außenpolitik dem tradierten Weg der westlichen Politik – nämlich der Doppelmoral – weiter folgen. Insofern sollte man der Axel-Springer-Zeitung "recht" geben, die davon ausgeht, dass die grüne Kanzlerkandidatin – zumindest gemäß dem Konzept des Westens – außenpolitischen Krisen noch nicht gewachsen sei. Dass Baerbock nach den medialen Angriffen auf ihre Äußerungen aus dem Jahr 2018 nun bezüglich des Nahostkonfliktes prompt einlenkte, macht deutlich, dass die Grünen bereit sind, Kompromisse – oder besser ausgedrückt Zugeständnisse – zu machen, um sich damit die Beteiligung an einer zukünftigen Bundesregierung zu sichern.
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