von Timo Kirez
Die Pläne von zwölf europäischen Fußball-Topclubs für eine Super League sind gescheitert. Als erster der Initiatoren hatte Manchester City am Dienstagabend seine Teilnahme wieder abgesagt. Dem folgten die anderen fünf englischen Mitgründer FC Liverpool, Manchester United, FC Arsenal, Tottenham Hotspur und FC Chelsea. In Spanien sollen laut Medienberichten der FC Barcelona und Atletico Madrid diesen Schritt gehen wollen. In Italien überlegt offenbar Inter Mailand, ebenfalls aus dem Projekt auszusteigen. Deutsche und französische Clubs hatten schon vorher dankend abgewunken.
"Wir haben einen Fehler gemacht, und wir entschuldigen uns dafür", hieß es in einem Tweet des FC Arsenal.
Der FC Chelsea schrieb in einer Erklärung:
"Nachdem wir uns der Gruppe Ende letzter Woche angeschlossen hatten, hatten wir jetzt Zeit, uns eingehend mit der Angelegenheit zu befassen, und wir haben entschieden, dass unsere fortgesetzte Teilnahme an diesen Plänen nicht im besten Interesse des Clubs, unserer Fans und der breiteren Fußballgemeinschaft ist."
Doch trotz des Rückzugs der sechs englischen Vereine wollten die Drahtzieher hinter dem Projekt zunächst weitermachen. "Wir schlagen einen neuen europäischen Wettbewerb vor, weil das bestehende System nicht funktioniert", hieß es in einem am Mittwoch verbreiteten Statement. Ungeachtet des angekündigten Ausscheidens der Premier-League-Vereine "sind wir überzeugt, dass unser Vorschlag vollständig mit den europäischen Gesetzen und Vorschriften in Einklang steht", wurde darin betont.
"Angesichts der aktuellen Umstände werden wir die am besten geeigneten Schritte zur Neugestaltung des Projekts überdenken und dabei stets unser Ziel im Sinn haben, den Fans die bestmögliche Erfahrung zu ermöglichen und dabei die Solidaritätszahlungen für die gesamte Fußballgemeinschaft zu erhöhen", so das Statement weiter. Die Super League sei davon "überzeugt, dass sich der aktuelle Status quo des europäischen Fußballs ändern muss".
Kehrtwende innerhalb eines Tages
Doch nun gab auch einer Initiatoren der Super League, Juventus-Präsident Andrea Agnelli, auf. Hatte er noch am Mittwoch gegenüber der italienischen Zeitung La Repubblica davon gesprochen, dass es zwischen den zwölf Gründungsmitgliedern "eine Blutsbrüderschaft" gebe und dass man weiter machen werde, weil die Möglichkeit eines Erfolgs "zu 100 Prozent" bestehe, zitiert ihn die Nachrichtenagentur Reuters, ebenfalls am Mittwoch, nun mit den Worten:
"Um offen und ehrlich zu sein, nein, das ist offensichtlich nicht der Fall."
Er sei nach wie vor davon überzeugt, dass der europäische Fußball eine Veränderung brauche, und er bereue die Art und Weise, wie der Abspaltungsversuch unternommen wurde, nicht, so der Juventus-Boss. Er sei nach wie vor von der Schönheit dieses Projekts überzeugt, man hätte den "besten Wettbewerb" der Welt schaffen können. Aber, so Agnelli:
"Aber zugegebenermaßen ... Ich meine, ich glaube nicht, dass dieses Projekt jetzt noch läuft."
Ursprünglich hatten zwölf europäische Spitzenclubs, darunter neben City und Chelsea der FC Liverpool, Real Madrid und Juventus Turin, in der Nacht zum Montag die Gründung einer milliardenschweren Super League angekündigt. Diese stünde in direkter Konkurrenz zur Champions League der Europäischen Fußball-Union UEFA. Finanziert werden sollte das Projekt durch die größte US-Bank JP Morgan.
In England, der Heimat der Hälfte der zwölf Gründerclubs, drohte Premierminister Boris Johnson mit scharfen Sanktionen. Er kündigte in der Sun an, dem "lächerlichen" Milliardenprojekt die Rote Karte zu zeigen. Sein Sportminister Oliver Dowden stellte im Parlament drastische Ideen vor, um die "Big Six", die englischen Spitzenvereine, von einer Teilnahme abzuhalten. Sogar Prinz William – Präsident des nationalen Verbandes FA – mischte sich ein.
Auch nationale Verbände und viele andere Clubs kritisierten die Pläne massiv. Die UEFA um ihren Präsidenten Aleksander Čeferin hatte die Initiatoren der Super League scharf attackiert und mit harten Sanktionen gedroht. Die Clubs sollten aus der Champions League ausgeschlossen werden, ihren Nationalspielern drohte eine Sperre für die Europameisterschaft im Sommer. Diese Drohungen der UEFA standen jedoch juristisch auf wackeligen Beinen.
Dennoch drohte dem europäischen Club-Fußball eine Schlammschlacht vor Gericht, möglicherweise schon vor dem Halbfinale der aktuellen Champions-League-Saison Anfang Mai. Diese Gefahr scheint nun gebannt. Sowohl Regierungschef Johnson als auch UEFA-Chef Čeferin begrüßten die Rückzugspläne der Mitgründer. Doch die Kehrtwende der Clubs innerhalb von nur 48 Stunden lässt viel Raum für Spekulationen.
War die Super League nur ein Bluff?
Dass nun immer mehr Clubs so kurzfristig ihr "Gewissen" wiederentdeckten und sich lieb Kind mit ihren Fans machen wollen, klingt zwar sehr romantisch, dürfte aber vermutlich ins Reich der Märchen gehören. Die Realität sieht deutlich ernüchternder und düsterer aus. Um zu verstehen, was die Triebfeder hinter diesem spektakulärem PR-Coup sein könnte, und mehr war es vermutlich nicht, lohnt es sich, die beiden Drahtzieher des Projekts, Real Madrid und Juventus Turin, genauer anzuschauen. Beide Vereine steckten schon vor der Corona-Krise, und damit wegbrechenden Einnahmen, bis über beide Ohren in Schulden.
Bei Real Madrid belaufen sich die Verbindlichkeiten mittlerweile auf eine Bruttoverschuldung von 901 Millionen Euro. Die Nettoverschuldung stieg auf 355 Millionen Euro an. Nun sind Schulden bei Real Madrid wahrlich nichts Neues, von Uli Hoeneß ist eine Aussage aus dem Jahr 2009 (!) überliefert, in der er feststellte:
"Real wird mal ein Problem haben, wenn ihr Bernabéu-Stadion von irgendeinem Gerichtsvollzieher zugeschlossen wird, weil sie ihre Schulden nicht mehr bezahlen können."
Und der große Mann des FC Bayern München ergänzte:
"Der Krug läuft solange zum Brunnen, bis er bricht. Und da soll man sie doch laufen lassen, irgendwann bricht er schon."
Dass nun auch Juventus Turin sich in die Reihe der hochverschuldeten Clubs einreiht, ist indes neu. Der italienische Serienmeister wurde bis 2018 solide geführt – doch dann entschied der Präsident Agnelli, dass jetzt unbedingt wieder die Champions League gewonnen werden müsse, koste es, was es wolle, und kaufte für insgesamt 355 Millionen Euro (15 Millionen Ablöse, vier Jahresgehälter von jeweils 60 Millionen) den Superstar Cristiano Ronaldo.
Die derzeitigen Schulden von Juventus schätzte das Wirtschaftsmagazin Il Sole 24 Ore auf rund 358 Millionen Euro, fast exakt der Betrag, den Juventus für Ronaldo ausgab. Die Schulden von Juventus sollen sich jedoch zum Ende dieser Saison laut italienischen Medien sogar auf 600 Millionen Euro summieren. Die Champions League konnte man übrigens auch mit Ronald bisher nicht gewinnen. Und in dieser Saison reicht es noch nicht einmal mehr zur italienischen Meisterschaft.
Wenn Clubs derart mit dem Rücken zur Wand stehen, drängt sich der Verdacht auf, dass die ganze Nummer mit der Super League nur ein geschickter Schachzug war, um die UEFA unter Druck zu setzen. Im Sinne: "Seht her, wenn es nicht schnell mehr Geld gibt, dann machen wir halt unser eigenes Ding." So sieht es auch der bekannte französische Sportjournalist Didier Roustan, der auf seinem Twitter-Account schrieb:
"Wie auch immer, aber angesichts des Zeitpunkts und selbst wenn laut den 12 diese Super League kommen würde, bleibe ich überzeugt, dass es [nur] ein rotes Tuch (zugegebenermaßen von einer gewissen Dicke) ist, mit dem gewunken wird und dass noch nichts getan wird... Nur ein Druck auf die finanzielle Verteilung der neuen Champions League."
Auch das unter Fußballfans hoch geschätzte englische Internetportal "fourfourtwo" schreibt von "Verhandlungsmasse in den langwierigen Champions-League-Reformverhandlungen". Die Bloomberg-Journalistin Maria Tadeo sah in dem Manöver von Juventus Turin, das sie "Super League Effekt" nannte, sogar eine Auswirkung auf den Aktienkurs des Clubs:
Für die These einer "Drohkulisse" gegenüber der UEFA spricht auch das Timing der Aktion. Die geplanten Änderungen des Wettbewerbs Champions League sollten von der UEFA eigentlich Anfang April bestätigt werden, wurden aber in letzter Minute auf den 19. April verschoben. Die Vermutung, dass die großen Clubs hinter dieser Verzögerung stecken, um noch mehr Geld aus der UEFA herauszuholen, drängt sich auf. Gerade auch, weil die UEFA bis jetzt keine Anstalten machte, den Clubs weiter entgegenzukommen.
Da müssen sich die Clubs gedacht haben: Holen wir doch das "Schreckgespenst" Super League wieder raus. Dass die UEFA nun doch noch das Portemonnaie aufmacht, dürfte indes bezweifelt werden.
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(Für diesen Beitrag wurde Material von dpa verwendet.)