von Susan Bonath
Kein Zutritt ohne negativen Corona-Schnelltest: Schüler dürfen ohne diesen nicht in die Schule, Besucher nicht in Pflegeheime, Bewohner oft nicht raus, manch ein Beschäftigter nicht zu seinem Job und Kunden nicht in bestimmte Läden. Allein für elf Millionen Schüler in Deutschland wären schon jetzt 22 Millionen SARS-CoV-2-Schnelltests pro Woche fällig. So will man Positive herausfischen, um sie mit der PCR-Methode nachzutesten. In der Statistik des Robert Koch-Instituts (RKI) erscheinen dabei nur die PCR-Tests, was zu einer weit höheren Positivenrate führen dürfte, als in der Bevölkerung vorhanden ist. Man würde erwarten, die oberste Gesundheitsbehörde erfasst zumindest die Zahl der Schnelltests, um die "epidemische Lage von nationaler Tragweite" zu bewerten. Auf ihre Expertise stützt die Bundesregierung immerhin seit einem Jahr ihre rigiden Maßnahmen. Doch Fehlanzeige: Eine magere Antwort des RKI auf Anfrage der Autorin lässt sich inhaltlich wie folgt übersetzen: Wir wissen nichts, wir sagen nichts und das ist uns auch egal.
Robert Koch-Institut: Wir haben keine Daten
Der Reihe nach: Immer mittwochs gibt das RKI die Zahl der durchgeführten PCR-Tests und eine Positiv-Rate an. Erstere schwankte zuletzt wöchentlich zwischen 1,2 und 1,4 Millionen, in Kalenderwoche 13 fielen gut elf Prozent davon positiv aus. Die Schnelltests sind darin nicht enthalten. Mit ihnen findet eine Vorabauswahl statt: Nur bei wem dieser Test positiv anschlägt, wird mit dem PCR-Verfahren erneut untersucht. Das heißt: Millionen von Negativtests, Tendenz wohl steigend, fallen hinten runter. Sie erscheinen nirgendwo, fließen in die Gesamtbewertung des dafür zuständigen RKI nicht ein.
Dabei hätte dies einen massiven Einfluss auf die Analyse. Wären beispielsweise in der ersten Aprilwoche zehn Millionen Menschen zusätzlich per Schnelltest negativ getestet worden und würde dies hinzugezogen werden, betrüge die Positiv-Rate nicht elf, sondern nur 1,1 Prozent. Die Autorin wollte vom RKI wissen, wie viele Schnelltests seit November wöchentlich eingesetzt wurden. Behördensprecherin Susanne Glasmacher antwortete lapidar: "Dazu hat das RKI keine Daten."
Diese Daten zu erheben, ist offenbar auch nicht im Interesse der obersten Gesundheitsbehörde. Auf die Frage nach dem Grund der Nichterfassung verwies Glasmacher just auf die Antwort zur ersten Frage. Klingt wie: Wir wissen einfach nichts und basta. Ob die Positiv-Rate so nicht viel höher erscheine, als sie in Wahrheit sei? Die Sprecherin übermittelte als Antwort einen Link zur Webseite ihres Instituts. Unter der Rubrik "Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2/Krankheit COVID-19" möge die Autorin selber suchen. Das Problem: Dort wird die gestellte Frage nicht beantwortet.
Angebliche "asymptomatische Virusüberträger": Alle unter Verdacht
Der Strategie des uferlosen Schnelltestens beruht auf der Annahme, dass Menschen ohne Symptome sowohl infiziert sein als auch andere anstecken könnten. Jeder ist also erst einmal verdächtig. Wissenschaftlich plausibel belegt ist das bislang nicht. Im Gegenteil: Eine Studie im chinesischen Wuhan an rund zehn Millionen Einwohnern kam zu dem Ergebnis, dass Menschen, die nicht krank sind, auch SARS-CoV-2 nicht nennenswert verbreiten.
Auf seinem täglich erneuerten Dashboard weist das RKI sogenannte Neuinfektionen teils mit dem Datum des von Gesundheitsämtern erfragten Erkrankungsbeginns (blau), teils mit dem Tag der Meldung (gelb) aus. Seit November, also dem Beginn der sogenannten "zweiten Welle" sind mehr als die Hälfte der Fälle gelb markiert. Das heißt: Offenbar gab es hier gar keine Krankheitsanzeichen, welche die kommunalen Behörden irgendwie datieren konnten. Die Autorin bat RKI-Sprecherin Glasmacher um konkrete Zahlen, wie viele positiv Getestete denn nun tatsächlich Symptome hätten und wie viele nicht. Sie konterte: "Die Frage der Symptome wird im Lagebericht jeweils dienstags erläutert."
Beantwortet ist die Frage damit auch nicht. Denn konkrete Zahlen gehen aus den Pamphleten nicht hervor. Im aktuellen Bericht vom Dienstag, den 13. April 2021 heißt es zwar, seit Beginn der Pandemie sei bei rund 855.000 positiv Getesteten Husten aufgetreten, 555.000 hätten Fieber, 620.000 Schnupfen bekommen. Etwa 456.000 Betroffene klagten demnach über Halsschmerzen, 393.000 über "Geruchs- und Geschmacksverlust". Eine Lungenentzündung, das "Worst-Case-Szenario", trat laut RKI bei rund 29.000 Menschen auf – seit März 2020, unter inzwischen mehr als drei Millionen gefundenen Positiv-Fällen. Das ist weniger als ein Prozent.
Daraus lässt sich schwerlich ableiten, wie viele positiv Getesteten tatsächlich keinerlei Symptome hatten – schließlich können verschiedene Symptome auch zusammen auftreten. Den Meldungen nach zu urteilen, dürften jedenfalls mehr als die Hälfte der sogenannten COVID-19-Fälle klinisch weitgehend gesund geblieben sein. Was die Diagnose "COVID-19" ausschließt: Vor Monaten erklärte die Glasmacher gegenüber der Autorin nämlich, dass Symptomlose nicht krank seien und somit auch kein COVID-19 hätten. Weshalb sie trotzdem als "COVID-19-Fälle" bezeichnet werden? Dies sei "internationale Praxis" und da halte man sich dran, so Glasmacher damals. Mit anderen Worten: Weil es alle so tun.
Trotz wiederholter Kritik: RKI hat auch zu Ct-Werten "keine Daten"
Die fortgesetzte bloße Vermutung, dass Positive ohne Symptome andere anstecken könnten, führt auch zu massenhaften Quarantänen. Der Autorin sind Familien bekannt, die mit ihren klinisch gesunden Kindern drei- oder gar viermal jeweils für zwei Wochen in die Isolation der eigenen vier Wände geschickt wurden, weil irgendwo im Umfeld der Kleinen ein Positivfall gemeldet wurde, meistens im Kindergarten oder in der Schule.
Wie sogar die Tagesschau bereits im Spätsommer 2020 berichtet hatte, geben die sogenannten Ct-Werte im PCR-Testverfahren Auskunft über die Viruslast. Der Ct-Wert beziffert die Anzahl der Vervielfältigungszyklen, die nötig sind, um den gesuchten Virus-Schnipsel im Labor überhaupt zu entdecken. Einige Forscher halten Werte Ct-Werte von über 35 für nicht mehr aussagekräftig, andere sehen die Grenze bereits bei 25. Die Kritik lautete schon damals: Viele Labore stoppten die Analyse erst nach 37, 40 oder mehr Zyklen. Und diese Werte geben sie meistens nicht einmal weiter.
Geändert hat sich daran offensichtlich nichts. Und das RKI scheint kein Interesse daran zu haben, die Ct-Werte zu erfahren, um dies eventuell in seine Bewertung der Pandemie einfließen zu lassen. Auf die Frage der Autorin, ob es inzwischen eine einheitliche Praxis der Labore in Sachen Ct-Wert gebe, verwies Sprecherin Glasmacher auf RKI-Angaben unter der Rubrik "Hinweise zur Testung". Einen Link gab es diesmal nicht dazu. Gemeint sein dürften diese Ausführungen.
Darin heißt es sinngemäß zwar, Positiv- und Negativkontrollen seien zur Qualitätssicherung "wesentlich". Der Ct-Wert sei aber wegen unterschiedlicher Leistungsfähigkeit der Tests für jedes Labor anders zu gewichten. Deshalb sei er als abschließendes Kriterium für die Bewertung einer Probe untauglich. Um eine Antwort zu erhalten, hakte die Autorin nach: Übermitteln die Labore inzwischen wenigstens die Ct-Werte zu ihren Positivfällen? Die Antwort war ernüchternd aber wenig verwunderlich: "Das RKI hat dazu keine Daten." Mit anderen Worten ausgedrückt: Gehen Sie weiter. Hier gibt es nichts zu sehen.
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