Kommentar von Robert Bridge
Ganz zufällig – oder auch nicht – fühlt sich die Welt plötzlich als ein viel gefährlicherer Ort an, seit Joe Biden am 20. Januar offiziell das Weiße Haus betreten hat. Nachdem der US-Moloch sich vom Autoaufkleber "Make America Great Again" befreit hat, deuten Frühindikatoren auf einen globalen Höllenritt hin, voller gefährlicher Pattsituationen und sogar ausgewachsener Feindseligkeiten, die die Mutter aller Feuersbrünste (MOAB!) entfachen könnten. Eine der gefährlichsten Etappen auf dem Weg in die Hölle spielt sich gerade vor Russlands Haustür ab.
Für den Durchschnittskonsumenten des westlichen Medien-Junkfoods wurde die schwelende Pattsituation zwischen der Ukraine und Russland in mundgerechte Häppchen zerstückelt und volkstümlich als "russische Aggression" dem ahnungslosen Konsumenten vorgeworfen. Wenn Sie jedoch den fettigen Pappbecher geleert haben, stellt der anspruchsvollere Konsument fest, dass Moskau die Bedingungen für einen Frieden in Donbass, wo seit sieben Jahren ein Bürgerkrieg zwischen prorussischen Selbstverteidigungskräften und dem Kiewer Militär tobt, tatsächlich unerschütterlich unterstützt hat. In der Zwischenzeit hat der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij das Minsker Protokoll und die Minsker Abmachung, den Friedensplan von 2014, aufgegeben und am 24. März ein Dekret unterzeichnet, das für die Ukraine praktisch den Kriegszustand mit Russland darstellt.
Und das sind nicht die einzigen unbequemen Wahrheiten, von denen die westlichen Medien ihr Publikum lieber nichts wissen lassen.
Am 6. April, nur wenige Tage nach Selenskijs längerem Telefongespräch mit dem US-Präsidenten Joe Biden, in dem er dem neuen Anführer Amerikas "unerschütterliche Unterstützung" zusagte, rief Selenskij NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg an, in dem er Kiews Wunsch äußerte, endlich ein Vollwert-Mitglied des von den USA geführten Militärblocks zu werden. Auch nur ein Zufall, oder?
"Die NATO ist der einzige Weg, um den Krieg in Donbass zu beenden ", behauptet Selenskij, was vielleicht der lustigste Einzeiler war, den der ehemalige Schauspieler-Komiker jemals in seiner Karriere geäußert hat.
Was Selenskij nicht begreifen will, ist, dass Kiew nur als ein Bauer im langjährigen "Great Game" zwischen den USA und Russland gespielt wird. In der aktuellen Schlacht geht es nicht um die geografische Eroberung, sondern um den Zugang zum lukrativen Energiesektor Europas. Washington weigert sich, tatenlos zuzusehen, wie Moskau und Berlin der Gaspipeline Nord Stream 2 den letzten Schliff geben, durch die nach der Fertigstellung die Erdgasversorgung von Russland nach Deutschland – ohne den höchst unkalkulierbaren ukrainischen Mittelsmann – sicher durch die Ostsee strömen wird.
Washingtons Entschlossenheit, den Rambo zu spielen, wurde letzten Monat deutlich, als US-Außenminister Antony Blinken am Rande eines Treffens mit NATO-Chef Stoltenberg nochmals erklärte, dass die Pipeline "im Widerspruch zu den eigenen Sicherheitszielen der EU steht". Es ist schon interessant, wie man stets in Washington die "Sicherheitsziele" der EU noch besser versteht als in Brüssel. Und damit Deutschland den Hinweis nicht missversteht, warnte Blinken Berlin schon mal wieder vor "möglichen Sanktionen", sollte das Projekt doch noch feierlich eingeweiht werden. Mit anderen Worten, "freie Märkte" sind in erster Linie nur für US-Unternehmen konzipiert. Alle anderen Anwärter, insbesondere Russland, brauchen sich gar nicht erst zu bewerben.
Nord Stream 2 würde nicht nur die Notwendigkeit des Imports von teurem US-Flüssigerdgas (LNG) durch die EU ausschließen, sondern auch Brüssel und Moskau zu Washingtons schlimmstem Albtraum machen, nämlich zu echten Partnern mit einem echten Anreiz, weiter auf gutnachbarliche Beziehungen hinzuarbeiten. Eine solche geopolitische Wende hat das Potenzial, die NATO letztendlich wirklich obsolet zu machen. So sehen wir, wie Selenskij, der die obendrein äußerst gefährliche Drecksarbeit für Washington erledigt, den Donbass militarisiert und aggressive Drohungen nach Moskau sendet.
Die Strategie liegt auf der Hand: Die westlichen Medien werden pflichtbewusst die Voraussetzungen für einen möglichen Krieg zwischen der "friedlichen" Ukraine und dem "aggressiven" Russland schaffen, eine weitere Lügengeschichte, die sich als schädlich genug erweisen könnte, um Nord Stream 2 abzubrechen und gleichzeitig die Militärausgaben unter den NATO-Untertanen weiterzutreiben auf ein Allzeithoch. Diese Intrige offenbart die Bereitschaft Washingtons, den Ausbruch eines großen Konflikts – möglicherweise sogar eines Weltkrieges – zu riskieren, um seine wirtschaftliche und politische Hegemonie über die europäischen Hauptstädte aufrechtzuerhalten.
Russland ist jedoch nicht die einzige militärische Supermacht, die sich die Vereinigten Staaten zum Feind gemacht haben. Im vergangenen Monat beschuldigte Außenminister Blinken beim ersten hochrangigen Treffen der Biden-Regierung mit chinesischen Regierungsvertretern – nicht ohne unfreiwillige Ironie – Peking, "die regelbasierte Ordnung zu bedrohen, die die globale Stabilität aufrechterhält".
Blinken bezog sich dabei auf Chinas lange und turbulente Beziehung zu Taiwan, das Beijing als integralen Bestandteil des Festlandes betrachtet. Wie auch immer man diese Pattsituation sehen mag, auch das war eine erstaunlich inkompetente Selbstdarstellung der US-Diplomatie, nicht zuletzt deshalb, weil schon die Beziehungen zwischen Washington und Moskau im aktuell schlechtesten Zustand seit Jahrzehnten sind. Braucht man in Washington, D.C. wirklich zwei atomar bewaffnete Gegner gleichzeitig? Es scheint, jemand in der Administration sollte Bidens Wissen über die Kriegskunst von Sunzi auffrischen (Anm.: Sunzi war ein berühmter chinesischer General, Militärstratege und Philosoph).
Ein offensichtliches Problem, wenn die USA andere Länder über deren innere Angelegenheiten belehren, ist ihre atemberaubende Heuchelei. Die brüskierten chinesischen Diplomaten zögerten ausnahmsweise nicht, ihre amerikanischen Kollegen umgehend an die "Black Lives Matter"-Proteste und an unzählige illegale Überfälle des US-Militärs auf fremde Länder zu erinnern. Tatsächlich wagte sich der Lenkwaffen-Zerstörer USS McCain in "freiheitsliebender Mission" durch die Taiwanstraße – trotz Chinas Beharren auf die Territorialrechte. Und das in weniger als drei Wochen nach Bidens Lockdown-Amtseinführung, bei der Soldaten um ein Vielfaches zahlreicher waren als die Gäste – nicht gerade passend für einen demokratischen Festakt.
Fast automatisch provozierte die Rücksichtslosigkeit der Biden-Regierung eine entsprechende Reaktion Beijings, das Marineschiffe in die Nähe der Philippinen entsandte. Obwohl dieser pazifische Inselstaat ein langjähriger Verbündeter der USA war, wuchsen bereits Zweifel an seiner Loyalität unter Präsident Rodrigo Duterte, seit der sich bei der militärischen Ausrüstung eher auf China und Russland anstatt auf die USA verlässt. Dennoch ignoriert Washington weitgehend Dutertes Vorstöße und setzt sich lieber für seine eigenen imperialen Interessen ein.
"Ein bewaffneter Angriff auf die Streitkräfte der Philippinen, staatliche Schiffe oder Flugzeuge im Pazifik, einschließlich im Südchinesischen Meer, wird unsere Verpflichtungen aus dem Vertrag über gegenseitige Verteidigung zwischen den USA und den Philippinen auslösen", sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price, gegenüber Reportern.
Dieser Kommentar zeigt, wie leicht diese äußerst gefährlichen globalen Pattsituationen auch dort außer Kontrolle geraten können.
Ist die Welt wirklich ein sicherer Ort durch die USA, die selbsternannte "unverzichtbare Nation", die sich wie ein "Super-Cop" in die Angelegenheiten fremder Staaten einmischt? Das Argument ist wohl kaum überzeugend, wenn man bedenkt, wie oft sich die USA zu ihrem eigenen strategischen Vorteil einmischen. Noch besorgniserregender wäre die Reaktion Washingtons, wenn an einem sonnigen Morgen ein chinesischer oder russischer Zerstörer in der Karibik auftauchen würde, um dort die Sache irgendeiner zum Opfer erklärten Gruppe innerhalb oder außerhalb Amerikas zu verteidigen. Dann würde sich der Kreis der amerikanischen Heuchelei wirklich schließen.
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Übersetzt aus dem Englischen. Robert Bridge ist ein US-amerikanischer Schriftsteller und Journalist. Er ist der Autor des Buches "Midnight in the American Empire – Wie Konzerne und ihre politischen Diener den amerikanischen Traum zerstören". Auf Twitter findet man ihn unter @Robert_Bridge