von Arthur Buchholz
Eine Entschuldigung ist dann eine Entschuldigung, wenn sie aufrichtig gemeint ist und nicht als taktisches Manöver im politischen Alltagsgeschäft benutzt wird. Darüber müssen wir uns keine Illusionen machen. Und natürlich war es ein genialer Schachzug der dienstältesten Regierungschefin Europas, die Empörung über die als "Osterruhe" verkleidete Ausgangssperre in Bewunderung für ihre staatstragende Größe umzumünzen.
Man hätte sich denken können, dass Anne Will schon bereitsteht, um die Kanzlerin noch ein paar Ehrenrunden über diesen Erfolg laufen zu lassen. Deshalb kam die Frage nach der Entschuldigung natürlich auch an erster Stelle.
Man hätte die Talkshow besser vom her Ende betrachtet. So lautet Wills letzter Satz: "Frau Merkel, danke für das Gespräch." Das kann man natürlich für eine reine Floskel halten, und das sollte man besser auch. Es war ja auch kein Gespräch. Es war, dazu braucht man wirklich keinen großen Sachverstand, eine einstündige Selbstdarstellung einer routinierten Politikerin, flankiert von wohlwollenden Fragen einer Moderatorin. Man muss ja auch mal ein wenig Öffentlichkeitsarbeit machen. Will sagte selbst: "Ich habe übrigens nachgedacht, wie ich das Interview anlege, ich hätte ja jetzt auch die ganze Zeit die Gegenposition beziehen können, ich hätte sagen müssen, es müssen Lockerungen her, die Menschen machen das nicht mehr mit und so weiter, ist aber ja gar nicht so."
Da muss man sich doch die Farge stellen: Hat Will jemals die Gegenposition eingenommen? Also so richtig konsequent und ernsthaft? Vielleicht kann mir ein Leser auf die Sprünge helfen, mir fällt da kein Beispiel ein.
Will geht das "Gespräch" viel schlauer an. Sie nimmt die Position der Hardliner ein, sie zitiert Karl Lauterbach, den Stardirigenten im Panikorchester, sie zitiert RKI-Präsident Lothar Wieler, der von 100.000 neuen Ansteckungen pro Tag spricht.
Da kann Merkel natürlich ganz entspannt ihren Text von den Erfolgen der Regierung, von Gesetzesverschärfungen, von weiteren Möglichkeiten abspulen, sie kann jeden Einwand wegsalbadern, zu einem anderen Thema springen, ablenken, kurz: Die gesamte Trickkiste politischer Rhetorik steht an diesem Abend weit offen. Denn Merkel weiß, Will wird da nicht gegenhalten, sie nicht festnageln, das ist ohnehin nicht ihr Ding.
"Die Menschen jedenfalls wären bereit" für härtere Maßnahmen, orakelt Will doch lieber in eine Umfrage des ZDF-Politbarometers hinein, und man fragt sich, ob das Interpretieren von Umfragen bei ihr Glückssache ist.
Nach dieser Statistik sind 57 Prozent aber der Meinung, die Maßnahmen sind genau richtig oder zu hart. Ein wunderbarer Steilpass für Merkel, die dann von einem "Pfund" für die Politiker fantasieren kann.
So weit, so langweilig. Das eigentlich Bemerkenswerte des Abends zeigte sich in Merkels Antworten auf die Frage, warum denn keine härteren Maßnahmen beschlossen werden. Mal sind die unartigen Länder, die einfach tun, was sie wollen, mal müssen Kompromisse getroffen werden (sprich: die anderen sind wieder schuld), oder es liegt eben an der Form, wie unsere Demokratie funktioniert, mit Bundestag und Bundesrat. Sie kann sich immer in den Föderalismus der Bund-Länder-Konferenz flüchten, sollte Will doch noch nachzuhaken. Dafür kann sie sich wunderbar hinter Sätzen wie "in einer Demokratie wird er nicht per 'order de mufti' verfügt, sondern es muss durch Überzeugung passieren".
"An allem, was nicht klappt, sind die anderen schuld, ich hätte es ja besser gemacht." Das hat Merkel zwar nicht gesagt, aber so könnte man ihre Botschaft des Abends zusammenfassen. Und das ist auch nur konsequent. Anstatt eine Entschuldigung der gesamten Bund-Länder-Konferenz zu bekommen, trat nur Merkel im Büßergewand auf. Das hat ihr den moralischen Auftrieb gegeben, in Nebensätzen die Länder zu kritisieren. Sie ist fein raus, über die Oster-Schlappe redet keiner mehr.
Stattdessen wurde der Ball dezent zu Laschet gespielt, auch wenn das eher Wills Vorarbeit war als Merkels konsequenter Wille, ihrem Parteivorsitzenden eins auszuwischen. Es war Merkel auch egal, wer als Buhmann dasteht, Hauptsache, sie ist es nicht mehr.
Was haben wir am Sonntagabend gelernt? Die Kanzlerin geht lieber in Hinterzimmer-Gesprächsrunden und zu Talkshows, als sich ins Parlament den Kritikern zu stellen. Wenn dann Kritik kommt, ist halt die Demokratie schuld.
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