Israels Geschenk an Joe Biden knapp 50 Tage vor Amtsantritt: Ein Krieg gegen Iran

Die Ermordung von Irans Top-Nuklearwissenschaftler ist ein Kniff Israels, um den wohl neugewählten US-Präsidenten dazu zu zwingen, der Diplomatie zu entsagen und gegen Irans nukleare Ambitionen militärische Maßnahmen zu ergreifen. Welche Wahl wird er treffen?

von Scott Ritter

Mohsen Fachrisadeh war der stets im Schatten gebliebene Vater des iranischen Atomprogramms. Allein schon seine Existenz – geschweige denn seine Arbeit – wurde seitens Iran kaum zugegeben. Als Brigadegeneral des Kommandos der Iranischen Revolutionsgarde war Fachrisadeh an den wissenschaftlichen Aspekten der nationalen Sicherheit Irans beteiligt und leitete schließlich das Forschungszentrum für Physik, wo er die Planung der iranischen Bemühungen zur Urananreicherung und Materialbeschaffung in deren Interesse lenkte.

Im April 2018 bezeichnete der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu Fachrisadeh als den Leiter einer verdeckten, militärischen Dimension des iranischen Atomprogramms – deren Existenz Iran jedoch lautstark verneinte. Am Freitag, dem 28. November 2020, wurde der 62-jährige Wissenschaftler nun unweit der iranischen Hauptstadt Teheran ermordet. Niemand hat bisher die Lorbeeren für seine Ermordung beansprucht, aber Iran weist die Schuld für seinen Tod eindeutig Israel zu.

Zum Zeitpunkt seines Todes war Fachrisadeh Leiter der Organisation für Forschung und Innovation (auch unter dem englischen Akronym RIO bekannt), die dem iranischen Verteidigungsministerium angegliedert ist. Ein im Juni 2020 vom US-Außenministerium veröffentlichter Bericht zu Angelegenheiten der nuklearen Nichtverbreitung besagte, dass Fachrisadeh die RIO benutzte, "um ehemalige Wissenschaftler von Waffenprogrammen ... in technischen Aktivitäten mit dualen (Anm.: zivilen und militärischen) Verwendungszwecken, also mit Relevanz für [nukleare] Waffen ... zu beschäftigen ..., damit diese im Falle einer Entscheidung, diese Arbeit wieder aufzunehmen, bei künftigen Entwicklungsarbeiten an Atomwaffen Hilfe leisten".

In Verbindung mit der Entscheidung Irans, sich (nach dem Ausscheiden der USA) nicht mehr länger an die Bestimmungen des bahnbrechenden Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplans (Joint Comprehensive Plan of Action: JCPOA, besser bekannt als das iranische Nuklearabkommen) aus dem Jahr 2015 bezüglich der Lagerung von nur schwach angereichertem Uran und der Verwendung fortschrittlicher Zentrifugen zur Urananreicherung gebunden zu sehen, hatte diese Überzeugung de facto den Effekt der Unterzeichnung eines Todesurteils für Fachrisadeh.

Die vom JCPOA Iran auferlegten Beschränkungen wurden mit Blick auf ein einjähriges sogenanntes "Ausbruchsszenario" konzipiert. Kurz gesagt ist ein Jahr jene Zeitspanne, die Iran benötigen würde, um genügend hochangereichertes Uran für die Herstellung einer einzelnen Atombombe zu produzieren. Die Uhr würde beginnen zu ticken, sobald die Entscheidung getroffen würde, die Beschränkungen hinsichtlich Anzahl und Typen von Zentrifugen, die Iran betreiben darf, und des zulässigen Anreicherungsgrades sowie der Menge an schwach angereichertem Uran, die gelagert werden darf, nicht länger einzuhalten.

Im Mai 2019 – also ein Jahr, nachdem die USA unter Präsident Donald Trump ihren Rückzug aus dem JCPOA erklärt hatten – begann Iran nun seinerseits, schrittweise von seinen Verpflichtungen gemäß dem Abkommen zurückzutreten. Dabei berief sich das Land auf sein legitimes Recht gemäß Artikel 26 und 36 dieses Abkommens, die es einer Vertragspartei gestatten, die Erfüllung ihrer Verpflichtungen einzustellen, wenn eine andere Vertragspartei ihre Verpflichtungen nicht einhält. Iran beharrt darauf, dass eben die Nichteinhaltung auch all der wirtschaftlichen Verpflichtungen Europas (also der beteiligten EU-Länder) im Rahmen des JCPOA eine nachweisliche Nichteinhaltung des Abkommens darstellt. Im Endergebnis aber ist die "Ausbruchsfrist" heute auf wenige Wochen geschrumpft.

Für die Trump-Regierung stellt die Nichteinhaltung des JCPOA durch Iran heute eine Zwickmühle dar: Die seit 2018 verfolgte US-Politik des sanktionsbasierten "maximalen Drucks" funktionierte eindeutig nicht, wenn es um das Ziel ging, Iran zurück an den Verhandlungstisch zu zwingen und ein neues, restriktiveres Atomabkommen auszuhandeln.

Nachdem die Trump-Regierung ihre Überzeugung zu Protokoll gegeben hatte, Iran hege weiterhin verdeckte Atomwaffenambitionen, sah sie sich mit der Realität konfrontiert, dass sie nun selbst Iran ermächtigt hätte – zumindest nach ihrer eigenen Überzeugung – eine Atomwaffe herzustellen. Und zwar in einem Zeitrahmen, der eine direkte Bedrohung für die USA und ihre regionalen Verbündeten darstellt – insbesondere Israel und Saudi-Arabien. Diese Besorgnis war der Hintergrund für jüngste Presseberichte, denen zufolge US-Präsident Trump militärische Optionen gegen das iranische Atomprogramm in Erwägung gezogen haben soll.

Für Israel sind die Probleme sogar noch akuter. Während für die USA der potenzielle Erwerb einer Atomwaffenkapazität durch Iran eine politische Herausforderung darstellen würde, sähe man in Israel in einer iranischen Atomwaffe nichts weniger als eine existenzielle Bedrohung. Aus solchen Gründen hatte Israel in seiner Geschichte noch niemals nur mit halber Kraft zugeschlagen – selbst wenn es nur darum ginge, allein schon der Möglichkeit einer iranischen Nuklearwaffenfähigkeit entgegenzutreten.

Während ein Großteil der nachrichtendienstlichen Erkenntnisse, die den Einschätzungen der USA und Israels bezüglich der Existenz eines Atomwaffenprogramms zugrunde liegen, aus fragwürdigen Quellen stammen und nicht schlüssig sind, nimmt Israel hier dennoch eine absolut rigorose Haltung ein, hier hat man Quellen Vertrauen geschenkt, die sonst sofort in die unterste Schublade wandern würden.

In dem Bemühen, für diese Position Unterstützung zu gewinnen, hat Israel geheimdienstliche Informationen über Iran aufgebauscht und übertrieben – ja, man fabrizierte sogar welche. Mit diesem Verhalten hat das Land seine Glaubwürdigkeit in einem solchen Ausmaß untergraben, dass Israels Bericht, sein Geheimdienst habe Anfang 2018 Iran ein Nuklear-Archiv gestohlen, der Wahrheitsgehalt dieser Behauptung öffentlich infrage gestellt wurde, nachdem als gefälscht geltende Dokumente als ein Teil des Dokumentenfundes deklariert wurden.

Israels Vorgehen gegen das iranische Atomprogramm war alles andere als passiv. In den Jahren 2009 und 2010 arbeitete Israel mit US-Geheimdiensten an einem Cyberangriff mit dem Stuxnet-Virus zusammen, um die EDV-Anlagen in der iranischen Zentrifugen-Anlage in Natanz zu infizieren. Darauf folgte ein Programm gezielter Attentate, bei denen zwischen 2010 und 2012 vier iranische Atomwissenschaftler getötet wurden (bei einem fünften Angriff wurde das Ziel, den Leiter der Iranischen Atomenergieorganisation zu töten, knapp verfehlt).

Der israelische Geheimdienst soll ferner hinter einer Reihe mysteriöser Explosionen in iranischen Nuklearanlagen Mitte dieses Jahres stecken, die dem Betrieb der iranischen Zentrifugen erheblichen Schaden zufügten und ihn ins Stocken brachten. Obwohl Israel sich bisher nicht zur Ermordung von Mohsen Fachrisadeh bekannt hat, kann dieses Attentat logischerweise als eine Fortsetzung der Bemühungen Israels angesehen werden, Irans nukleare Industriekapazitäten zu untergraben.

Joe Biden ist – bezogen auf die aktiven Maßnahmen, die Israel in dieser Hinsicht ergriff – alles andere als betriebsfremd: Als damaliger US-Vizepräsident nahm er an kritischen Sitzungen über den Einsatz des Stuxnet-Virus teil. Er war sich des Druckes voll bewusst, der auf Präsident Obama im Hinblick auf ein militärisches Vorgehen gegen Iran ausgeübt wurde, und er verstand die Rolle, die die Ermordung iranischer Atomwissenschaftler bei der Erhöhung dieses Drucks spielt.

Jake Sullivan, der während der Amtszeit Bidens als Vizepräsident nationaler Sicherheitsberater war, spielte eine entscheidende Rolle bei den frühen Verhandlungen mit Iran, um den JCPOA zu ermöglichen. Biden wusste sehr wohl, dass der JCPOA eine diplomatische Umleitung für einen politischen Weg war, der sonst geradewegs zum Krieg geführt hätte. Biden ist mit den Berechnungen, die den Zeitabschätzungen für das "Ausbruchsszenario" zugrunde liegen, bestens vertraut – und ebenso mit der Entscheidung, die getroffen wurde, um die Sorgen über das angebliche Interesse des iranischen Militärs an Atomwaffen zu verringern.

Die Ermordung von Fachrisadeh ist ein kalkulierter Akt seitens Israels. Sein Tod hat dennoch keine spürbaren Auswirkungen auf die nuklearen Aktivitäten Irans: Längst wurde eine neue Generation iranischer Wissenschaftler herangebildet und trainiert – und ist in einem Programm beschäftigt, das weit fortgeschrittener und ausgereifter ist als jenes, mit dem Fachrisadeh vor über 20 Jahren startete.

Psychologisch gesehen aber hat seine Ermordung – am helllichten Tag im Herzen Irans – der Landesführung in Teheran einen Schock versetzt und einmal mehr bewiesen, dass der lange Arm des israelischen Geheimdienstes so gut wie jeden erreichen kann.

Aber ihre kritischste Auswirkung wird die Tat auf das nationale Sicherheitsteam um den designierten Präsidenten Joe Biden haben. Biden und seine Mannschaft legten ein Lippenbekenntnis zum Vorhaben eines JCPOA-Wiederbeitritts ab. Doch die Vorbedingungen, die sie an einen solchen Schritt knüpften – zunächst müsse Iran wieder voll und ganz zur Einhaltung aller Auflagen gemäß dem bestehenden Abkommen zurückkehren und sich zu sofortigen Folgeverhandlungen über ein noch restriktiveres Abkommen verpflichten – wurden weithin als klares No-Go angesehen. In Wirklichkeit wiesen viele von Bidens engsten Beratern – darunter der von ihm selbst ernannte Staatssekretär Antony Blinken und der ebenfalls von ihm ernannte Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan – darauf hin, dass Biden möglicherweise gar keine andere Wahl haben wird, als die von Donald Trump etablierte, auf Sanktionen aufbauende "Politik des maximalem Drucks" fortzusetzen.

Für Israel aber ist eine solche Politik nicht akzeptabel – selbst wenn sie eine Verbesserung gegenüber einem erneuten Beitritt der USA zum JCPOA darstellen würde. Aus Sicht Israels hat es der "maximale Druck" nicht nur nicht geschafft, Iran an den Verhandlungstisch zu zwingen, sondern Iran sogar noch direkt an der Schwelle zur Befähigung der Atomwaffenherstellung positioniert.

Die Ermordung von Fachrisadeh dient in dieser Hinsicht vor allem zwei Zwecken. Erstens verhärtet sie die Entschlossenheit Irans – wo sonst eventuell eine Flexibilität gegenüber Biden hinsichtlich der Lösung des nuklearen Patts zutage getreten wäre. So wies der iranische Oberste Führer Ali Chamenei die iranischen Wissenschaftler bereits an, "die wissenschaftlichen und technischen Aktivitäten des Märtyrers Fachrisadeh in allen Bereichen, in denen er tätig war, weiterzuverfolgen". Die Vorstellung, Iran würde nach der Ermordung Fachrisadehs einen Kompromiss mit den USA anstreben, ist nun absurd – um es einmal offen auszusprechen.

Aber der wichtigste Zweck der Ermordung von Fachrisadeh ist das Schaffen vollendeter Tatsachen im Hinblick auf politische Optionen, die von einer künftigen Biden-Regierung in Erwägung gezogen werden können. Ein Wiederbeitritt zum Atomdeal ist wohl ein Rohrkrepierer – Iran würde den vielen Vorbedingungen, die Biden und seine Berater fordern, niemals zustimmen.

Ebenso ist die Fortführung von Trumps Programm des "maximalen Drucks" keine politisch tragfähige Option mehr. Und zwar insbesondere angesichts des fortgeschrittenen Stadiums des iranischen Nuklearprogramms und der Auswirkungen, die dieser Umstand auf das so wichtige Zeitfenster in einem "Ausbruchsszenario" hat, das aus US-Sicht einstmals die Legitimität des JCPOA untermauerte. Den gleichen Eventualitäten, mit denen die Trump-Administration hinsichtlich der Möglichkeit eines Angriffs der US-Streitkräfte auf die iranische Nuklearinfrastruktur konfrontiert ist, wird sich auch Präsident Biden ab seinem ersten Tag im Amt stellen müssen. Mit der Ermordung von Fachrisadeh tut Israel sein Bestes zur Sicherstellung, dass auch für Biden ein militärisches Vorgehen als einzig wählbare Option verbleibt.

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Übersetzt aus dem Englischen. Scott Ritter ist ein ehemaliger Offizier für Aufklärung der US-Marineinfanterie. Er diente den USA in der Sowjetunion als Inspektor für die Umsetzung der Auflagen des INF-Vertrags, während des Zweiten Golfkriegs im Stab von General Norman Schwarzkopf und war danach von 1991 bis 1998 als Waffen-Chefinspekteur bei der UNO im Irak tätig. Derzeit schreibt Ritter über Themen, die die internationale Sicherheit, militärische Angelegenheiten, Russland und den Nahen Osten sowie Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung betreffen. Auf Twitter findet man ihn unter @RealScottRitter

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