Die Sahelzone brennt – der Westen agiert als Brandbeschleuniger

Als die damalige US-Außenministerin und spätere Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton von der Ermordung Oberst Gaddafis in Libyen erfuhr, reagierte sie wie eine Mafia-Braut, die sich über die Beseitigung eines Rivalen durch ihren Ehemann freut.

von Arkadi Shtaev


Rückblende

Das berühmte "veni, vidi, vici" Julius Caesars nachäffend, rief Hillary Clinton aus: "We came, we saw, he died/ Wir kamen, wir sahen und er starb."

Als sie von anwesenden Journalistin nach diesem Jubel gefragt wurde, ob denn ihr Besuch in Tripolis – der einige Zeit zuvor stattgefunden hatte – etwas mit dem Ende Gaddafis zu tun haben könnte, antwortete Frau Clinton freimütig und selbstbewusst: "Ja, ich bin sicher!"

Dieses Bekenntnis aus Washington – über die aktive Rolle der USA in Libyen – darf aber keineswegs dazu verleiten, die Rolle der Europäer, besonders der Franzosen, bei der Beseitigung Gaddafis außer Acht zu lassen. Die italienische Zeitung Corriere della Sera schrieb seinerzeit: "Es ist ein offenes Geheimnis, dass sie in Paris den Oberst ausschalten wollten." Diese Zeilen bezogen sich auf die Tatsache, dass der damalige französische Präsident Sarkozy verhindern wollte offenzulegen, dass ihm ebendieser "libysche Diktator" – dem man bis kurz zuvor im Westen noch den roten Teppich auszurollen pflegte, massive finanzielle Wahlkampfunterstützung zukommen ließ.

"Inzwischen haben die Vorwürfe eine neue historische Dynamik entfacht, denn der Verdacht kommt auf, dass der libysche Diktator 2011 sterben musste, weil in Paris niemand daran Interesse hatte, dass diese Verbindungen ins grelle Licht der Öffentlichkeit gelangten. Es war schon bemerkenswert: Gegen Ende seiner ersten Amtszeit, wohl noch von der Hoffnung getragen, ein zweites Mal als Präsident Frankreichs antreten zu dürfen, sah man Nicolas Sarkozy, der plötzlich eine napoleonische Ader in sich entdeckt hatte, ständig über Landkarten und Zielangaben gebeugt, als Feldherr gegen Gaddafi. Sarkozy, der Gaddafi nach mehrmonatigem Bürgerkrieg eiskalt buchstäblich ans Messer liefern ließ (der libysche Diktator wurde ja auf eine Weise ums Leben gebracht, die eher an archaische Rituale erinnerte, als an alles Gerede von Menschenrechten und Demokratie), hatte dem umstrittenen Despoten zuvor den Roten Teppich ausgerollt und ihn bei den anderen EU-Staatschefs hoffähig gemacht, flankiert von der Aussicht auf lukrative Geschäfte und wirtschaftliche Vorteile." Das war dazu vor zwei Jahren bei Telepolis zu lesen.

Gaddafis letzte Warnung

Ja, der Konflikt hat sich von Tripolis nach Timbuktu verlagert, also von Libyen nach Mali, ohne dass in Libyen selbst Stabilität oder gar Demokratie eingekehrt wären. Vor den Toren Europas tobt ein Stellvertreterkrieg, der eine letzte Warnung Gaddafis mit von geradezu beklemmender Aktualität aufleben lässt.

Im vergangenen Monat billigte der Deutsche Bundestag den Antrag der Bundesregierung zur Ausweitung des Mali-Einsatzes.

Inmitten der Corona-Krise, welche das mediale Tagesgeschehen dominierte, wurde diese Entscheidung kaum öffentlich wahrgenommen, geschweige denn diskutiert, obwohl sie von existenzieller Bedeutung sowohl für Afrika als auch für Europa ist. Die aktuelle Entwicklung in der Sahelzone wird hierzulande überhaupt nur als Randnotiz wahrgenommen, geopolitische Zusammenhänge werden nicht hergestellt, und erst recht werden die Ursachen verschwiegen.

Der aktuelle Konflikt in Mali begann im Januar 2012 und hängt unmittelbar mit dem von der NATO inszenierten Sturz und der Ermordung von Muammar al Gaddafi in Libyen zusammen. Diese Zusammenhänge werden gerne in den diversen Statements durch die Bundesverteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer und andere Politiker verschleiert, weil sie das kolossale Scheitern eines strategischen Entwurfs vor Westens bloßstellen – mit seinen unabsehbaren Folgen.

Zu jener Zeit  nämlich begann in Mali der bis heute aktuelle Konflikt, als Stammesangehörige der Tuareg, die zuvor in den Diensten Gaddafis standen, nun als Söldner über die Grenzen zurück in die Nachbarländer Libyens strömten. Sie setzten dort den Kampf gegen die Zentralregierung Malis fort, um Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zu erlangen. Unterstützt wurden sie von islamistischen Gruppen, die wahlweise auch in Algerien operieren. Aus Libyen brachten die Kämpfer hochwertiges Waffenmaterial mit, welches aus den Rüstungsschmieden des Westens stammt und mit dem sich das Gaddafi-Regime zuvor reichlich versorgen konnte.

Sahelzone in Flammen

Heute hat diese geopolitische Umwälzung inzwischen die Sahelzone in Brand gesetzt. Die Staaten Niger, Mali, Tschad und Burkina Faso werden fast täglich von blutigen Zusammenstößen erschüttert, welche die ohnehin fragile Stabilität der Region bedrohen. Die Staaten der Sahelzone gehören zu den ärmsten der Welt. Flankiert von den weltweit höchsten Geburtenraten – was auch ohne Krieg schon ein Problem darstellen würde – entstand ein Aktionsgebiet islamistischer Extremisten, welche regelmäßig die Zivilbevölkerung angreifen.

Die Blutspur dieser Terrorbanden, unter denen Boko Haram die bekannteste ist, reicht inzwischen bis nach Westafrika und destabilisiert auch das bevölkerungsreichste Land der Region, die Föderation Nigeria. Das militärische Engagement des Westens war bisher mindestens wenig hilfreich, denn diese ganze Entwicklung vollzog sich, obwohl die EU seit Jahren in Mali militärisch aktiv ist. Ebenso wie in anderen Krisenherden gelingen den NATO-Staaten und der westlichen Staatengemeinschaft keine nachhaltigen Erfolge. Vielmehr verstricken sie sich immer weiter und heizen auch selbst verursachte Konflikte noch permanent an.

 

Worthülsen und Vertuschung in Berlin

Der westlichen Öffentlichkeit werden diese Probleme verschwiegen. Stattdessen werden Worthülsen und Erfolgsmeldungen produziert. Was hatte man doch gejubelt, als nach der Ermordung von Gaddafi angeblich Demokratie und Freiheit in Libyen einziehen sollten. Im Westen will man sich bis heute nicht eingestehen, dass der Regime-Change in Libyen, welcher anfänglich euphorisch begrüßt wurde, nicht nur diesem nordafrikanischen Land Chaos beschert hat und einen "failed State", einen "gescheiterten Staat" am südlichen Ufer des Mittelmeeres produziert hat. Stattdessen bemüht man sich, die geopolitischen Zusammenhänge durch Neologismen und Worthülsen zu übertünchen, wie EUTM und "Operation Gazelle" beispielsweise.

Zusätzlich zu den bis zu 1.100 deutschen Militärs, die unter UN-Flagge in Mali operieren, sollen künftig bis zu 450 weitere deutsche Soldaten im Rahmen des Ausbildungseinsatzes EUTM Mali in das Land entsandt werden können – also 100 mehr als bisher. Außerdem sollen sie jene Truppen, die sie selbst zuvor ausbilden, dann auch an "die Front" begleiten und in insgesamt fünf Staaten des Sahel eingesetzt werden können, unter anderem in Burkina Faso und in Niger. Unter dem Tarnnamen "Operation Gazelle" wird die Ausbildung nigrischer Truppen vollzogen. Interessant ist hierbei, dass die  "Operation Gazelle" schon seit 2018 praktiziert wird – und zwar ohne Zustimmung des Bundestages. Und bis zum Mai 2019 wurde dieses Unternehmen gänzlich ohne Kenntnis der sonstigen Öffentlichkeit vollzogen. Bisher wurde diese "Verschwiegenheit" von offizieller Seite damit begründet, dass ein förmlicher Parlamentsbeschluss angeblich ja gar nicht nötig sei, weil diese Militärs nicht in Kämpfe geschickt würden, sondern lediglich als "Ausbilder" agierten. Experten befürchten inzwischen, dass in der Sahelzone eine Parallele zu dem jahrzehntelangen Krieg in Afghanistan entstanden ist. Auch der ist ja sprichwörtliche Lichtjahre von seiner ursprünglichen Zielsetzung entfernt.

Was nun die Sahel-Zone angeht, sollte man wohl besser auf Kenner der Region hören. Dazu zählt Torsten Schreiber, der sich seit Jahren – unter höchstem persönlichen Einsatz und Risiko – in der Region unternehmerisch engagiert: "Wir sind überzeugt. Statt noch mehr Geld in die Aufrüstung der zweifelhaften Machthaber zu stecken oder noch mehr Soldaten zu senden, müssen wir in die Infrastruktur investieren. Kluge Geschäftsmodelle entwickeln um den Menschen vor Ort Perspektive und Beschäftigung zu ermöglichen. Der Anfang von allem ist Strom.

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