von Gert Ewen Ungar
Die Grünen geben sich ein neues Grundsatzprogramm. In diesem Zusammenhang wird auch über sicherheitspolitische Konzepte debattiert. Die parteinahe Heinrich-Böll-Stiftung hat dazu im November 2019 das "Forum Neue Sicherheitspolitik" ins Leben gerufen, in dem junge Experten über Sicherheitspolitik diskutieren und mit ihren Beiträgen Einfluss auf den Debattenprozess nehmen wollen und auch sollen. Dabei wird deutlich, wie sehr sich die Grünen inzwischen von ihren friedenspolitischen Ansätzen verabschiedet haben, die einst mit ausschlaggebend für ihre Gründung waren.
Man muss es sich immer wieder in Erinnerung rufen: Die Grünen entstanden auch aus der Friedensbewegung. Man wollte sich von bestehender Politik abheben, der Konfrontation abschwören und lehnte jede Form von Militarisierung ab – lang ist's her, dass Heinrich Böll und Petra Kelly in Mutlangen gegen die Stationierung von US-amerikanischen Pershing-II-Raketen demonstriert haben. Inzwischen sind die Grünen wieder vollständig dort angekommen, von wo sie sich weg bewegen wollten. Insbesondere in der Sicherheitspolitik sind sie längst rechts der Mitte zu verorten.
Wie weit die Grünen inzwischen nach rechts gerutscht sind, lässt sich beispielsweise an ihrer Haltung zu China ablesen. Wie der Blog German-Foreign-Policy berichtet, tragen zahlreiche grüne Abgeordnete im Europaparlament einen Aufruf zu einem gemeinsamen, restriktiven Handeln der EU gegen China mit, der auch von Vertretern der Fraktion Identität und Demokratie unterstützt wird, der unter anderem die AfD und die italienische Lega angehören. Die Grünen überholen in Fragen der Sicherheitspolitik bürgerliche und rechtskonservative Parteien inzwischen im aggressiven Ton, im Willen zur Konfrontation und auch im Willen, deutsche Interessen über internationale Regeln und Recht zu stellen.
So steuert das Forum Neue Sicherheitspolitik auch zur Diskussion über das Grundsatzprogramm vier Impulspapiere bei, die sich mit der Frage der Zukunft von Auslandseinsätzen der Bundeswehr ebenso beschäftigen wie mit sicherheitspolitischen Fragen im Hinblick auf die EU unter dem Gesichtspunkt einer schwindenden Gestaltungsmacht USA.
Von diesen vier Beiträgen bekennt sich lediglich einer explizit zum Völkerrecht. Die anderen drei reden der Konfrontation das Wort. China und insbesondere Russland gelten den Autoren als sicherheitspolitische Herausforderungen, denen wahlweise aus einer "Position der Stärke" oder gleich ganz unter Missachtung des Völkerrechts begegnet werden soll. Wer meint, er fände in den Texten eine gute Begründung für diese Haltung, wird enttäuscht.
Ein paar Hinweise auf angebliche Expansionsgelüste Chinas und der obligatorische Hinweis auf die "Annexion der Krim" reichen den Autoren für ihre bellizistischen Forderungen aus. Jede Abwägung und Differenzierung fehlt völlig. Dabei ist gerade für Europäer bei der "Annexion der Krim" ganz deutlich zu erkennen, dass dem ein Putsch in der Ukraine vorausging, in dessen Vorfeld es laut kritischen Stimmen zu Versuchen der Destabilisierung und Einflussnahme seitens des Westens kam. Vom Referendum auf der Krim muss man dann noch gar nicht reden.
Auf Grundlage dieser sehr verkürzten, undifferenzierten Sicht regt ein Beitrag tatsächlich an, die sicherheitspolitischen Entscheidungen der Bundesrepublik nicht weiter vom Völkerrecht abhängig zu machen. In diesem Beitrag hält man das Völkerrecht für überholt. Entscheidungen des Sicherheitsrates sind den Autoren nach nur dann zu beachten, wenn sie den eigenen deutschen Vorstellungen und Interessen dienen. Sollte das nicht gegeben sein, dann sind für die Verfasser militärische Aktionen auch ohne völkerrechtliches Mandat legitim.
Natürlich mag man an dieser Stelle einwenden, dass diese Sicht auf das Völkerrecht spätestens seit dem völkerrechtswidrigen Angriff der NATO auf Jugoslawien, an dem sich auch Deutschland unter dem ersten grünen Außenminister Joschka Fischer aktiv beteiligte, der Maßstab außenpolitischen Handelns Deutschlands ist. Das Völkerrecht nur dann zu beachten, wenn es deutschen und vor allem westlichen Interessen dient, ist inzwischen die unausgesprochene Grundlage der deutschen Außenpolitik. Allerdings stellt es noch einmal eine Steigerung der ohnehin schon deutlichen Verachtung Deutschlands gegenüber den Institutionen der UN und der internationalen Rechtsnormen dar, diese Haltung dann tatsächlich in ein Parteiprogramm zu schreiben. Die Grünen sind dafür inzwischen bereit.
Aber nicht nur die jungen Mitglieder der Grünen sind es, die sich vom ursprünglichen friedenspolitischen Kurs der Partei immer weiter entfernen.
Angesichts der Verabschiedung der Sicherheitsgesetze für Hongkong verlangt Katrin Göring-Eckardt vom Auswärtigen Amt die Einbestellung des chinesischen Botschafters.
Dabei macht der Blog German-Foreign-Policy in einem weiteren Beitrag darauf aufmerksam, dass die Sicherheitsgesetze keineswegs eine außergewöhnliche Maßnahme eines totalitären Staates darstellen, sondern ihr bisheriges Fehlen eher ein Versäumnis des Gesetzgebers abbilden, das anlässlich der Ausschreitungen im vergangenen Jahr nun nachgeholt werden soll.
So absurd die Forderung Göring-Eckardts nach Einbestellung des chinesischen Botschafters angesichts dieser Tatsache auch klingen mag, dass es in nahezu allen Ländern dieser Welt Gesetze gibt, die Umsturzversuche und Terrorismus unter Strafe stellen, so viel Kontinuität liegt in ihr.
Die Einmischung in die inneren Angelegenheiten betreiben die Grünen seit langem mit Verve und einem hohen Maß an kulturellem Chauvinismus. Besonders deutlich wird das an der Förderung von LGBT-Gruppierungen durch die Grünen oder den Grünen nahestehenden Organisationen. So wie wir in Deutschland Diversität und Vielfalt in einigen Bereichen unserer Gesellschaft umsetzen, so muss es überall auf der Welt gehandhabt werden, ist dabei die Botschaft. Wir wissen, wie Freiheit geht, und belehren auch gegen Widerstände gerne.
Kulturelle Unterschiede, andere Ideen des Zusammenlebens, kurz Diversität der Kulturen spielen dabei keine Rolle mehr. Auch die Tatsache, dass sich die Sicht auf Sexualität und Individuum beständig ändert und unsere heutige Sicht nicht abschließend und auch keineswegs das Ultimum an Freiheit darstellt, tut für grüne Ideologen nichts zur Sache. Die Grünen verfolgen ihre Agenda ohne Rücksicht und halten ihr Fehlen an jeder Form der Diplomatie und Kompromissbereitschaft sogar für eine positive Errungenschaft. Nicht nur Göring-Eckardt beweist diesen Umstand immer wieder.
Diese chauvinistische Haltung und die Aggressivität, mit der sie daherkommt, hat seine Ursache unter anderem in einem grundsätzlich unbekümmerten und vor allem unkritischen Umgang mit Thinktanks. An dieser Stelle schließt sich auch der Kreis zu ebenjenem Impulspapier der Heinrich-Böll-Stiftung, das das Völkerrecht in den Rang einer disponiblen Verhandlungsmasse erniedrigt. Von den fünf Verfassern des Beitrags, der die Umgehung des Völkerrechts zur Norm erheben möchte, werden vier von Thinktanks gefördert und ausgebildet. Unter den Mitgliedern des Forums Neue Sicherheitspolitik finden sich viele, die in Verbindung zu Thinktanks stehen. Generell sind die Grünen sehr Thinktank-affin. Das ist problematisch, denn Thinktanks sind eben keine unabhängigen Institutionen zur Erforschung eines spezifischen Gegenstands, sondern massive Interessenvertretungen von finanzstarken Akteuren.
Die Thinktank-Kultur ist eng angebunden an die neoliberale Revolution. Der erste Thinktank war die vom neoliberalen Denker Friedrich August von Hayek ins Leben gerufene Mont-Pèlerin-Gesellschaft. Von hier aus versuchte man, westlichen Gesellschaften eine ökonomische und gesellschaftliche Lehre zu oktroyieren, die in der direkten wissenschaftlichen Auseinandersetzung nicht haltbar war und daher zurecht bereits ad acta gelegt schien. Man beeinflusste Medien, förderte gezielt eine Expertenkultur, die neoliberalen Ansätzen einen wissenschaftlichen Anstrich gab, ignorierte alle anderen wissenschaftlichen Ideen, die nicht ins Konzept passten oder diskriminierte sie und ihre Vertreter dort, wo sie sich nicht vollständig ignorieren ließen. Diese Praxis der Abschirmung und des intellektuellen Einmauerns zieht sich durch alle Thinktanks.
Thinktanks geben sich einen wissenschaftlichen Anstrich, wobei ein zentrales Element wissenschaftlichen Arbeitens ausgeklammert bleibt: die Vielfalt und Heterogenität unterschiedlicher Ansätze und Meinungen zur Kenntnis zu nehmen und zu diskutieren. Die Meinungskorridore in den Denkfabriken sind eng begrenzt.
Bestes Beispiel für eine derartige Enge ist der Thinktank "Zentrum Liberale Moderne", der von den beiden Grünen Ralf Fücks und Marieluise Beck gegründet wurde. Das Zentrum will laut Selbstauskunft Sammelbecken für Freigeister sein. Allerdings ist das, was dort faktisch passiert, weder sonderlich frei noch sonderlich geistreich. LibMod ist ein aggressiver Thinktank, dessen Arbeit sich darin erschöpft, die Aggression des Westens gegen Russland und zunehmend auch China mit vermeintlich guten Argumenten zu unterfüttern, zu legitimieren und anzuheizen. Meinungsvielfalt, Offenheit und Geister, die so frei sind, dass sie auch andere Meinungen und deren Begründung auch nur anhören, sucht man beim Zentrum Liberale Moderne ebenso vergebens wie bei anderen Thinktanks, die den Grünen nahestehen. Die Auseinandersetzung beschränkt sich auf "sprechen über" statt auf "sprechen mit".
Trotz ihrer gravierenden Einseitigkeiten und ungeachtet ihrer methodischen Schwächen gelingt es den "Denkfabriken" immer wieder, ihre kruden Thesen und Behauptungen jenem Publikum zuzuführen, das politische Entscheidungen trifft.
In Deutschland ist keine Partei davon völlig frei, aber die Thinktankeritis hat die Grünen in besonderem Maße ganz heftig befallen, da sie hier keinerlei Immunabwehr besitzen.
Ihr unkritischer Umgang mit Thinktanks führt einerseits zu einer sehr gefilterten Weltsicht grüner Protagonisten, andererseits zu einer sehr konfrontativen Haltung der Grünen gegenüber denen, die diese Naivität nicht teilen und der Einflussnahme durch private Organisationen auf Entscheidungsprozesse der Politik kritisch bis ablehnend gegenüberstehen.
Allerdings wird dieses Problem der Beeinflussung der Grünen durch Thinktanks bis hin zur Instrumentalisierung der Partei zu Zwecken, die ihrem Gründungsgedanken diametral entgegenstehen, noch lange erhalten bleiben. Es gibt innerhalb der Partei gar kein kritisches Bewusstsein gegenüber dieser Form der Einflussnahme und Steuerung. Im Gegenteil ist die Vernetzung bis hinein in die Parteispitze fortgeschritten. So macht auch die Seite der Heinrich-Böll-Stiftung deutlich, dass man aus diesen Thinktanks seinen Führungsnachwuchs rekrutieren will.
Friedenspolitische Impulse wird man daher von den Grünen in Zukunft nicht erwarten können. Im Gegenteil ist absehbar, dass sich die Partei wie keine andere einigelt in ihre Filterblase, die parteiintern geführten Diskussionen auf einen engen Korridor der Meinungen begrenzt bleiben, deren Annahmen nicht auf ihren Faktengehalt überprüft werden. Der Kriegskurs der Grünen ist in ihrer Struktur inzwischen systemisch angelegt und wird fortgesetzt werden. Als Friedenspartei sind die Grünen längst im von ihnen selbst angezettelten Chaos des Krieges umgekommen.
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