Die Konsequenzen des US-Ausstiegs aus dem Atomabkommen mit dem Iran, den der deutsche UN-Botschafter Christoph Heusgen als Bruch internationalen Rechts bezeichnete, haben eine komplexe Dynamik entwickelt. Von einem brutalen Sanktionsregime der USA gegen den Iran über US-Drohungen gegen europäische Regierungen und Unternehmen bis hin zu militärischen Einsätzen, die von der Straße von Gibraltar bis zum Persischen Golf reichen. Es braucht nicht viel, damit sich diese Spannungen in einem großen Krieg entladen, der sich zu einem Flächenbrand im gesamten Mittleren Osten entwickeln könnte.
Deutschland hat es mit Heiko Maas an der Spitze des Auswärtigen Amtes nicht geschafft, sich als glaubwürdiger Vermittler zwischen den Konfliktparteien zu etablieren und für Entspannung zu sorgen. Ein von Frankreich initiierter Versuch, die Situation im Persischen Golf zu entschärfen, wurde am 19. Juli durch die Entscheidung Gibraltars torpediert, den iranischen Tanker "Grace 1" für weitere vier Wochen festzusetzen.
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Doch davon ließ sich der französische Präsident Emmanuel Macron offensichtlich nicht beirren und erklärte die Vermittlerrolle zwischen den europäischen Vertragspartnern und Teheran zur Chefsache. Am 30. Juli telefonierte er über eineinhalb Stunden mit seinem Amtskollegen Hassan Rohani, um nach Möglichkeiten für eine gemeinsame Linie zu suchen. Ein Vorschlag lautete nach Angaben des Portals Al-Monitor, dass Macron Rohani zum nächsten G7-Gipfel am 24. August in Biarritz/Frankreich einlädt, um dort ein persönliches Gespräch mit US-Präsident Donald Trump zu führen.
Diesen Vorschlag lehnte Rohani unter Verweis auf die US-Politik des maximalen Drucks und mangelndes Vertrauen in die Politik des Weißen Hauses ab. Wie um diese Befürchtungen unter Beweis stellen zu wollen, verhängte Washington am 31. Juli Sanktionen gegen den iranischen Außenminister Mohammed Dschawad Sarif, gefolgt von persönlichen Attacken des US-Außenminister Mike Pompeo auf seinen Amtskollegen.
Deshalb erklärte Rohani dem französischen Präsidenten in dem Telefongespräch, dass der Iran eine Lösung der Probleme rund um das Atomabkommen und den Abbau von Spannungen mit europäischer Hilfe anstrebt. Aber um das erreichen zu können, müssen sich die europäischen Vertragspartner des JCPOA endlich dazu durchringen, ihren Verpflichtungen nachzukommen, und Teheran einen wirtschaftlichen Ausgleich für den US-Ausstieg und den Sanktionen anbieten. Die Gründung der Handelsplattform INSTEX ist zwar ein erster Schritt in diese Richtung, aber aus iranischer Sicht unter den gegebenen Umständen viel zu wenig.
Macron hat das verstanden. Deshalb schlug er laut Al-Monitor in dem Gespräch mit Rohani vor, dem Iran eine Kreditlinie über 15 Milliarden US-Dollar zu gewähren und sich dafür einzusetzen, dass Europa womöglich über INSTEX iranisches Öl beziehen kann. Das sind genau die Punkte, die Teheran schon seit Monaten immer wieder in den Gesprächen mit den europäischen Vertragsparteien eingebracht hatte, die aber bisher auf wenig Resonanz stießen.
Dieser französische Vorstoß und die gegenseitigen Besuche französischer bzw. iranischer Sondergesandter in den beiden Hauptstädten deuten darauf hin, dass Macron zumindest im Umgang mit dem Iran eine Führungsrolle in der EU übernommen hat. Jetzt muss er jedoch auch Deutschland und Großbritannien von diesem Vorhaben überzeugen, sich ernsthaft für die Rettung des Atomabkommens einzusetzen. Viel Zeit bleibt Macron dafür allerdings nicht mehr.
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