von Dennis Simon
Die Töne aus den USA zum Kauf von russischen S-400-Systemen seitens der Türkei werden zunehmend aggressiver. Die Sprecherin des US-amerikanischen Außenministeriums, Morgan Ortagus, erklärte am Mittwoch:
Es wird sehr reale und sehr negative Konsequenzen geben", sollte die Türkei die S-400-Systeme tatsächlich kaufen.
Derweil nahm der außenpolitische Ausschuss des US-Repräsentantenhauses den Entwurf einer Erklärung an, der von beiden großen Parteien gestützt wird und fordert, Sanktionen gegen die Türkei zu verhängen, für den Fall, dass die Türkei den Kauf der russischen Flugabwehrsysteme durchzieht. Laut dem US-Sender Voice of America (VOA) erklärte Eliot Engel, der Vorsitzende des Ausschusses:
Natürlich möchten sie (die Türken), dass wir unsere Systeme (F-35) an sie verkaufen, aber das können wir nicht tun, wenn sie nicht die Lieferung der russischen Waffensysteme stornieren. Beides auf einmal geht nicht. Ein NATO-Staat darf kein russisches Waffensystem kaufen.
Die Türkei ist im Rahmen des F-35-Programms der USA nicht nur als Käuferstaat vorgesehen, einige Komponenten für die Kampfjets werden auch in der Türkei hergestellt. Meldungen von US-Medien zufolge ist die US-amerikanische Waffenindustrie schon auf der Suche nach alternativen Verkäufern.
Auch die deutsche Außenpolitik hat sich mittlerweile in den Streit eingeschaltet: Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte am Mittwoch, dass die Bundesregierung die Ereignisse mit großer Aufmerksamkeit verfolge. Er betonte, dass für die NATO die Fähigkeit, zusammenarbeiten zu können, wichtig sei, und äußerte daher Skepsis am türkischen Kauf der russischen S-400. Auch der deutsche Botschafter in der Türkei, Martin Erdmann, hatte zuvor bereits erklärt, dass das Kaufabkommen bei der deutschen Regierung große Sorgen ausgelöst habe.
Am Dienstag erklärte der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar, dass sich das Land auf mögliche US-amerikanische Sanktionen im Zusammenhang mit der Anschaffung der russischen Luftabwehrsysteme vorbereite. Auch der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu versuchte, die US-Politiker zu beschwichtigen. Ihm zufolge sollen die russischen S-400 nicht in das NATO-Raketenabwehrsystem einbezogen werden. Sie würden auch nicht die US-amerikanischen F-35 bedrohen.
Am Donnerstag meldete unter Berufung auf einen türkischen Vizeaußenminister die amtliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu, dass die USA noch nicht auf einen Vorschlag aus Ankara geantwortet haben, einen gemeinsamen Ausschuss zu bilden, um US-amerikanische Vorbehalte gegen den Kauf der S-400-Systeme aufzuklären.
Während sich der türkische diplomatische Dienst scheinbar um eine Wiederannäherung an den großen NATO-Partner jenseits des Atlantiks bemüht, setzt der türkische Präsident eher auf eine zumindest rhetorische Konfrontation. Erst am Samstag erklärte er im Fernsehen, dass die Türkei nicht nur am Kauf der S-400 festhalten werde, sondern auch plane, sich an der Produktion des Nachfolgesystems S-500 zu beteiligen. Das wäre ein Novum für einen NATO-Staat.
Die Vorsitzende des Oberhauses des russischen Parlaments, Walentina Matwijenko, äußerte derweil am Mittwoch ihre Hoffnung, dass die Türkei verantwortungsbewusst handelt und nicht aufgrund äußeren Drucks von dem Kauf abweicht.
Die Türkei steht somit vor einer äußerst schwierigen Lage. Die bestimmenden außenpolitischen Kreise in den USA wollen anscheinend anhand der Türkei ein Exempel statuieren, dass Waffenkäufe größerer Systeme von Russland nicht toleriert werden sollen – vor allem, wenn es Alternativen aus den USA wie das Patriot-System gibt. Andererseits wäre es für die Türkei ein großer Gesichtsverlust, sollte die Regierung im letzten Augenblick von dem Kauf absehen. Es würde zudem die Bestrebungen Ankaras, die Beziehungen mit Russland zu intensivieren, konterkarieren. Alles deutet also auf eine große Kollision hin.
Die Chancen, dass es aber zu einem NATO-Austritt der Türkei kommt, sind gering. Die türkischen Streitkräfte sind seit Anfang der 1950er-Jahre in die NATO integriert. Praktisch alle führenden Offiziere erhalten eine Ausbildung in NATO-Zentren. Die gesamte Strategie der Armee ist in die NATO-Konzeptionen integriert. Zudem ist die Türkei waffentechnisch auf die Belieferung durch NATO-Staaten angewiesen, trotz vereinzelter Abweichungen wie das S-400-Abkommen. Eine Möglichkeit für Ankara wäre, aus den militärischen Strukturen der NATO auszutreten, aber weiterhin an den politischen Gremien teilzunehmen. Diesen Weg ging Frankreich zwischen den Jahren 1966 und 2009.
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