Wegen "über dem Gesetz" stehender USA: Richter des Internationalen Gerichtshofs tritt zurück

Ein hochrangiger Richter ist von seinem Posten beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) der Vereinten Nationen zurückgetreten, nachdem die Vereinigten Staaten Richtern drohten, die angebliche Kriegsverbrechen der USA in Afghanistan untersucht hatten.

Der Richter Christoph Flügge arbeitet seit 2008 mit dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) und dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) zusammen. Vor kurzem hat er sich an einer Voruntersuchung der Behauptungen beteiligt, dass US-Militärs und CIA-Agenten Gefangene in Afghanistan gefoltert haben sollen.

Flügge erklärte der Zeit, dass er seinen Rücktritt nach offenen Drohungen von US-Beamten einreichte. Darunter fällt auch eine Rede des Nationalen Sicherheitsberaters der USA John Bolton vom vergangenen September, in der dieser dem Gericht damit drohte, es "sterben zu lassen".

"Wenn diese Richter sich jemals in die inneren Angelegenheiten der USA einmischen oder gegen einen amerikanischen Staatsbürger ermitteln, dann würde die amerikanische Regierung alles in ihrer Macht Stehende tun, um sicherzustellen, dass diese Richter nicht mehr in die Vereinigten Staaten reisen dürfen – und dass sie vielleicht sogar strafrechtlich verfolgt werden", sagte Flügge der Zeit in einem vom Guardian übersetzten Interview.

"Der amerikanische Sicherheitsberater hielt seine Rede zu einem Zeitpunkt, als Den Haag Voruntersuchungen gegen amerikanische Soldaten plante, die beschuldigt wurden, Menschen in Afghanistan gefoltert zu haben", erklärte Flügge. "Die amerikanischen Drohungen gegen internationale Richter zeigen deutlich das neue politische Klima. Es ist schockierend. Eine solche Drohung habe ich noch nie gehört."

Bolton hielt seine Rede im September vor der konservativen Federalist Society in Washington, DC. Gerade einmal ein Jahr, nachdem der IStGH mit der Untersuchung von Anschuldigungen begonnen hatte, dass mindestens 61 inhaftierte Personen in Afghanistan von amerikanischen Soldaten und weitere 27 von der CIA in Geheimgefängnissen in Afghanistan und im Ausland gefoltert worden seien, so Staatsanwalt Fatou Bensouda.

Bolton nannte die Untersuchung "völlig unbegründet" und "ungerechtfertigt" und versprach, "unsere Staatsbürger und die unserer Verbündeten vor einer ungerechten Verfolgung durch dieses illegitime Gericht zu schützen".

Bolton gelobte auch, israelische Bürger vor Gericht zu verteidigen. Der US-amerikanische "Freund und Verbündete" Israel wurde damals beschuldigt, Kriegsverbrechen gegen palästinensische Zivilisten begangen zu haben. Er warnte davor, dass die USA Haftbefehle missachten würden und Richter und Staatsanwälte daran hindern würden, in das Land einzureisen. Er drohte auch damit, dass sie vor amerikanischen Gerichten angeklagt würden.

Flügge betonte die Fassungslosigkeit seiner Kollegen darüber, dass "die USA eine derart schwere Artillerie auffahren würden", fügte aber hinzu: "Sie steht im Einklang mit der neuen amerikanischen Linie: 'Wir sind die Nummer eins und wir stehen über dem Gesetz.'"

Die amerikanische Missachtung des IStGH ist kein neues Phänomen. Nach langer Debatte unterzeichnete Präsident Bill Clinton den Vertrag von Rom, mit dem der Internationale Strafgerichtshof eingerichtet wurde, aber der Kongress ratifizierte ihn nie. Clintons Nachfolger George W. Bush hat den Vertrag 2002, als der Krieg in Afghanistan in vollem Gange war, symbolisch "aufgehoben".

Noch im selben Jahr verabschiedete der Kongress den American Service Members' Protection Act, der den Präsidenten verpflichtete, jede Verfolgung der US-Streitkräfte durch den IStGH "so weit wie möglich" zu verhindern, und sogar dafür eine autorisierte Militärgewalt gebilligt, um US-Streitkräfte aus dem IStGH-Gefängnis zu befreien. Bolton war übrigens zu dieser Zeit Bushs Unterstaatssekretär.

Das Gericht wurde nicht nur von den USA, sondern auch von anderen Ländern kritisiert. Russland zog seine Unterschrift unter den Römischen Vertrag im Jahr 2016 zurück, nachdem das Gericht die Wiedervereinigung der Krim kritisiert hatte. Auch China, Indien, Saudi-Arabien und die Türkei gehören zu den Nationen, die den Vertrag nie unterzeichnet haben.