Diesen Monat gab es relativ gute Nachrichten für diejenigen, die sich Sorgen hinsichtlich einer Flutwelle von Finanzkriminalität im McMafia-Stil machten. Eine neue britische Regierungsbehörde – das National Economic Crime Centre (NECC) – ist mit der Bekämpfung dieser Form von Kriminalität beauftragt und hat seine Türen geöffnet.
Ich sage "relativ", weil die Finanzkriminalität weitaus tiefer in unseren finanziellen und politischen Systemen verwurzelt ist, als wir gemeinhin zur Kenntnis nehmen wollen.
Vom Libor-Skandal über die Offshore-Geheimnisse der "Panama Papers" bis hin zu den "schwarzen Kassen" bei der Brexit-Abstimmung, es ist überall. In meiner jüngsten Arbeit mit der Anti-Korruptionsgruppe Global Witness konnte ich mit eigenen Augen sehen, wie die einfachen Menschen in einigen der ärmsten Länder der Welt unter den Folgen von Korruption und Finanzkriminalität leiden. Wir haben verdächtige Minen- und Ölgeschäfte in Zentralafrika aufgedeckt, bei denen über eine Milliarde US-Dollar dringend benötigter öffentlicher Finanzen "offshore" verschwanden. Die Geschichte handelt vom Westen genauso wie von Afrika. Die Geschäfte wurden durch ein schwindelerregendes Netz von Offshore-Tarngesellschaften auf den Britischen Jungferninseln geleitet, die oft mit börsennotierten Unternehmen in London, Toronto und anderswo verbunden waren. Auch wenn das NECC über ausreichende Ressourcen und umfassende Zusammenarbeit verfügen sollte, hat es viel Arbeit vor sich.
All diese Finanzkriminalität wird insbesondere deshalb toleriert, weil diejenigen Experten, die ein Licht auf ihren systemischen Charakter werfen, aus dem wissenschaftlichen Kanon bzw. der breiten Öffentlichkeit verbannt werden. Ganz oben auf meiner Liste der vernachlässigten wirtschaftswissenschaftlichen Superstars steht die Professorin Susan Strange von der London School of Economics. Die Etablierung der internationalen politischen Ökonomie als eigenständiger Bereich geht unter anderem auf sie zurück. In einer Reihe von bahnbrechenden Schriften – "States and Markets", "The Retreat of the State" und "Mad Money" – zeigte Strange, wie die Epidemie der Finanzkriminalität eine Folge spezifischer politischer Entscheidungen war.
Diese Welle der Finanzkriminalität, die in den 1970er Jahren begann und in späteren Jahren immer größer wurde, ist kein Zufall", schrieb Strange.
Es wäre kaum möglich gewesen, ein System zu entwerfen, "das besser als das globale Bankensystem auf die Bedürfnisse von Drogenhändlern und anderen illegalen Geschäftemachern zugeschnitten ist, die vor der Polizei die Herkunft ihrer großen illegalen Gewinne verbergen wollen".
Interessanterweise waren Geldwäsche, Steuerhinterziehung und öffentliche Unterschlagung die Folge des Zusammenbruchs der Nachkriegsfinanzordnung in den 1970er-Jahren. Strange zeigte, wie die Politik und die Epidemie der Finanzkriminalität über die nachfolgend aufgezählten Mechanismen eng miteinander verbunden waren.
1) Geld ist global, Regulierung ist national
An der finanziellen Globalisierung ist nichts Unvermeidliches, sagte Strange. Sie entstand aus einer Reihe von politischen Entscheidungen. Das bedeutet, dass globales Geld frei zirkulieren kann, über Grenzen hinweg, die außerhalb der Reichweite der nationalen Gesetze und der jeweiligen Aufsicht liegen. Für intelligente Akteure in diesem System werden damit Steuern, Vorschriften und "Compliance" zu einer Entscheidung und nicht zu einer Verpflichtung. Strange argumentierte, dass den internationalen Organisationen die Macht fehlt, das globale Geld zu kontrollieren, und dass nur die Koordination zwischen den großen Volkswirtschaften der Welt es zügeln kann.
2) Steueroasen sind eine offene Einladung zur Unterschlagung
Ohne die Möglichkeiten, Geld zu verstecken, kann die Plünderung von öffentlichen Geldern und Staatsunternehmen kaum gedeihen.
Steueroasen sind "offene Einladungen" an korrupte Politiker, ihr Volk zu bestehlen, erklärte Strange.
Das Bankgeheimnis in den sogenannten Steueroasen erlaubt es, Gelder aus Steuerhinterziehung, Drogenhandel und öffentlicher Unterschlagung derart miteinander zu verquicken, bis es von legitimen Geschäften nicht mehr zu unterscheiden ist.
3) Exorbitante Bankerboni verseuchen die Politik
Für Strange führen die "obszön hohen" Boni, die den erfolgreichen Managern an den Finanzmärkten gezahlt werden, zu einer Art "moralischer Kontamination", die "den Grad der gegenseitigen Durchdringung von Finanzen und Politik verstärkt und beschleunigt hat". Korruption und Bestechung in London und New York sowie in Asien, Afrika und Lateinamerika stellen ein Problem dar. "Bestechung und Korruption in der Politik sind nicht neu. Doch das Ausmaß und der Umfang davon sind gestiegen, zusammen mit der Dominanz des Finanzsektors über die Realwirtschaft", schrieb sie.
4) Geld ist politische Macht
Die Globalisierung hat die Politik neu definiert, argumentierte Strange. Politische Macht umfasst nicht nur das, was in Regierungen geschieht, sondern Geld und Märkte haben ebenfalls Macht. Da legitime und illegitime private Akteure immer reicher werden, steigt damit ihre Macht, das Weltsystem zu gestalten. Staaten, deren Steuerzuflüsse austrocknen, werden schwächer und gelangen immer weiter hinein in einen Teufelskreis. Die nationale Politik wird so von den globalen Geldmärkten gekapert und dominiert.
In den zwanzig Jahren seit Susan Stranges Tod 1998 haben sich diese Trends lediglich noch verschlimmert. Die Boni der Banker sind weiter in die Höhe geschnellt und erreichten 2018 Höchstände wie vor der Finanzkrise 2008.
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James S. Henry, Professor an der Columbia University, schätzt, dass im Jahr 2015 kaum vorstellbare 24 bis 36 Billionen US-Dollar des weltweiten Finanzvermögens "offshore" gehalten wurden. Ein Großteil davon ist Geld von legitimen Unternehmen, es trägt aber zu einem System bei, in dem die Finanzkriminalität gedeihen kann.
Wir können nicht hoffen, aus dem Morast der Finanzkriminalität und der außer Kontrolle geratenen Finanzmärkte herauszukommen, ohne zu verstehen, wie sie sich zueinander verhalten.
Der Geist des globalisierten Geldes kann nicht wieder zurück in die Flasche gedrängt werden. Allerdings würde Strange argumentieren, dass wir gegen das Bankgeheimnis vorgehen und durch koordiniertes Handeln der großen Volkswirtschaften der Welt die Steueroasen schließen sollten.
Finanzen und Kriminalität waren nur ein Teil von Stranges Arbeit. Doch sie trugen zu ihrer alarmierenden und vielleicht prophetischen Schlussfolgerung bei, dass ohne ein Zügeln unseres Finanzsystems dieses die gesamte westlich-liberale Ordnung hinwegfegen könnte. Man braucht nur einen Blick auf die Kombination aus finanzieller Schikane und gewalttätiger Rhetorik zu werfen, die die US-Präsidentschaft Donald Trumps auszeichnet, um zu sehen, dass Stranges Anliegen und Sorgen kaum aktueller sein könnten.
Susan Strange würde uns sagen, dass wir mehr als eine neue Regierungsbehörde brauchen, um die Flut der Finanzkriminalität zu stoppen. Wir brauchen nichts weniger als einen neuen Ansatz für die politische Ökonomie auf nationaler und globaler Ebene. (Nat Dyer auf openDemocracyUK)
Michael Hudsons Analyse der globalen Finanzströme
Zu den zeitgenössischen Experten, die sich eingehend mit der systemischen, globalen Verbundenheit von Finanzen, Finanzkriminalität sowie wirtschaftlicher, militärischer und politischer Macht beschäftigen, zählt insbesondere der US-Ökonom Michael Hudson. In seinem 1972 erschienenen grundlegenden Werk "Super Imperialism" widmet er sich genau den Vorgängen und Folgen des Zusammenbruchs der Nachkriegsfinanzordnung (des Bretton-Woods-Systems). Hudson berichtet aus eigenem, unmittelbarem Miterleben des damaligen Geschehens zwischen den Machtzirkeln der US-amerikanischen Politik und Finanzwelt. Als Finanzexperte der New Yorker Chase Manhattan Bank analysierte er damals systematisch die internationalen Geld- und Kapitalflüsse. Die Kenntnis und Steuerung dieser globalen Finanzströme bilden die Grundlage für die Konzeption und Entwicklung des aktuellen globalen Finanzsystems – eines Financial Crime by Design.
Doch weder in der offiziellen Wirtschaft und Politik noch in den zugehörigen wissenschaftlichen Disziplinen spielen diese grundlegenden Kenntnisse und Analysen eine Rolle.
Ökonomen verstehen in der Regel nicht, wie die Weltwirtschaft funktioniert, stimmen daher Strange und Hudson in ihrem Urteil überein: aufgrund eines schlechten Verständnisses realer Verhältnisse und Mechnismen der Macht und einer übermäßigen Abhängigkeit von abstrakten Wirtschaftsmodellen. Umgekehrt haben Politikwissenschaftler aufgrund ihrer Betonung formaler Institutionen und formaler Macht ein miserables Verständnis der realen Weltwirtschaft.
Auch dies wäre allerdings kaum ein Zufall.
RT Deutsch hat für diesen Beitrag den Artikel "The global financial crime wave is no accident" vom Webportal openDemocracyUK übernommen und ergänzt. Er ist dort unter der entsprechenden Creative-Commons-Lizenz erschienen.
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Weiterführende Informationen
- The Spider's Web: Britain's Second Empire – Documentary
- Michael Hudson – Interview from The Spider's Web Documentary
- Michael Hudson – Life and Thought
- Four Horsemen – Documentary
- The History of Neoliberal Economics / Michael Hudson
- Meet the Renegades: Michael Hudson
- ON CONTACT: A History of Neoliberalism, Part I / Part II
- HSBC – Die Skandalbank – ARTE-Dokumentation
- Flucht in die Karibik – Die Steuertricks der Konzerne – ZDF-Dokumentation