Beeinflussung von Wahlen? "Die wahren Profis sind die Amerikaner selbst."

Die kaum des Antiamerikanismus verdächtige Neue Züricher Zeitung brachte es auf den Punkt. Wahlbeeinflussung durch die Russen? Da "können Insider nur müde lächeln". Denn "die wahren Profis dieses Metiers sind die Amerikaner selbst". Eine wissenschaftliche Studie belegt dies.

Die Aufregung um eine vermeintliche Einmischung Russlands in die letzten Wahlen zum US-Präsidenten dauert an. Der russische Präsident Wladimir Putin höchtspersönlich soll Donald Trump zu seinem Sieg über Hillary Clinton verholfen haben – mit Troll-Armeen, Fake-News und Informationslecks. Sonderermittler Robert Mueller hat kürzlich 13 Russen angeklagt. Sie sollen Teil dieser Verschwörung gewesen sein. Nachrichtendienste warnen davor, dass die Russen auch die Zwischenwahlen zum US-Kongress 2018 manipulieren werden.

Soweit, so bekannt. Der New Yorker Korrespondent der angesehenen Neuen Züricher Zeitung (NZZ), Andreas Mink, wechselte jüngst die Perspektive, und zwar darauf, wie Amerika die Wahlen manipuliert.

Koffer voller Geld – und mehr als das

Die NZZ lässt zahlreiche Insider zu Wort kommen, die angesichts langjähriger und erfolgserprobter US-amerikanischer Praxis die grassierenden Empörungen über angebliche russische Operationen nur mit einem müden Lächeln quittieren können.

Wir machen solche Sachen, seit der Auslandgeheimdienst CIA 1947 gegründet wurde. Wir produzierten Plakate, Transparente, Pamphlete. Wir setzten Falschinformationen in ausländische Zeitungen. Wir nutzen – was die Briten 'König Georges Kavallerie' nennen – Koffer voller Geld. (Sicherheitsexperte Loch K. Johnson in der New York Times)

Höchste ehemalige Mitarbeiter des Außenministeriums, des Pentagons und des Nationalen Sicherheitsrates bestätigten dies laut NZZ im persönlichen Gespräch – und gingen sogar noch weiter:

Die USA manipulierten nicht nur Wahlen, sie griffen massiv in Politik und Gesellschaft anderer Staaten ein.

Dass die Einflusssphäre von Großmächten in andere Staaten hineinreicht und sie entsprechend versuchen Entwicklungen über ihre Grenzen hinaus zu beeinflussen, ist keine Neuigkeit. Die Palette der Möglichkeiten ist breit, und umfasst insbesondere:

Einschlägige und gut dokumentierte Beispiele für den Einsatz dieser Techniken zur Beeinflussung des politischen Geschehens bis hin zu Wahlen sind etwa die Aktivitäten der CIA in der Kultur- und Intellektuellenszene ("Kongress für kulturelle Freiheit") während des Kalten Krieges auch in der Bundesrepublik Deutschland, die friedlichen Regierungsumstürze ("Farbrevolutionen") wie in Serbien im Jahr 2000 oder die unmittelbare Parteinahme in Wahlen wie bei der Unterstützung des damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin in der Präsidentschaftswahl 1996.

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Doch auch verdeckte Operationen der Geheimdienste bis hin zum offenen Einsatz militärischer Gewalt zur Beseitigung unliebsamer Regierungen seitens der USA haben eine lange Tradition: von den ersten CIA-unterstützten Militärputschen überhaupt wie 1949 in Syrien und 1953 im Iran, über Militäraktionen in Lateinamerika, Afrika und Südostasien sowie der Präsenz von "Geheimarmeen" in Europa ("Operation Gladio") bis hin zu den jüngsten völkerrechtswidrigen Kriegen auf dem Balkan, im Irak, in Lybien und in Syrien. (Eine detailliertere unvollständige Auflistung findet sich etwa hier.)

Ein weiterer Insider, Stuart Schwartzstein, kritisiert diese US-amerikanische Tradition und Überheblichkeit in der NZZ mit deutlichen Worten:

Die USA fühlen sich grundsätzlich überlegen. Gott steht angeblich auf unserer Seite und gibt Amerika das Recht zur Gestaltung der Welt nach eigenem Vorbild." Schlichter Eigennutz werde dabei gerne als idealistisches Anliegen verkauft, sagt der frühere Diplomat: "Unsere gewaltige Macht hat Amerika korrumpiert".

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Auch Stephen Kinzer, ehemaliger Auslandskorrespondent der New York Times und Autor des Buches "Overthrow: America's Century of Regime Change from Hawaii to Iraq", zieht wenige Tage nach dem NZZ-Bericht anlässlich der aktuellen Aufregung um die vermeintlichen Einmischungen Russlands in einem Interview mit Democracy Now (Teil 1) / (Teil 2) eine äußerst kritische Bilanz der US-amerikanischen Regime Change Aktivitäten seit dem 19. Jahrhundert. (Eine ausführliche Liste findet sich hier.) Er unterstreicht, dass diese anmaßende Praxis eine gefährliche Einladung und Rechtfertigung für andere Staaten ist, es den USA – wenngleich auf deutlich niedrigerem Niveau – gleich zu tun, und dass die tatsächlichen Angriffe auf die US-Demokratie von den Institutionen innerhalb der Vereinigten Staaten ausgehen:

Alle Institutionen innerhalb der Vereinigten Staaten, die unseren demokratischen Kern zerfressen, tun viel mehr, um die Freiheiten zu untergraben, die wir für selbstverständlich halten, als jede ausländische Intervention. (All institutions inside the United Staates, that are eating away at our democratic core are doing much more to undermine the freedoms that we take for granted than any foreign intervention.)

Einmischung in andere Länder? USA vs. Russland/UdSSR – ein wissenschaftlicher Blick zurück

Schließlich zitiert die NZZ den Politologen Dov H. Levin vom Institute for Politics and Strategy der Carnegie-Mellon Universität in Pittsburgh. Er hat in seiner Promotion die Wahleinmischungen der USA sowie der UdSSR und von Russland zwischen 1946 und 2000 dokumentiert. Demnach intervenierten die USA mindestens 81-mal bei Wahlen im Ausland, der Kreml 36-mal.

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Die jeweiligen Einflusssphären und Machtverhältnisse seien jedoch in ihrem Ausmaß deutlich verschieden. Die USA seien seit dem Zweiten Weltkrieg mit Abstand die Großmacht Nummer eins und setzten ihre Vormacht insbesondere militärisch auf allen Ebenen und mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln ("Full-spectrum dominance") weltweit durch. Dagegen sicherten die UdSSR und später Russland als Großmacht Nummer zwei vor allem das – allerdings große – geographische Umfeld ihres Landes.