Von Geworg Mirsajan
Der französische Präsident Emmanuel Macron gibt keine Ruhe. Nachdem sich führende europäische Länder, die Vereinigten Staaten von Amerika und auch der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg kategorisch geweigert hatten, seinen Vorschlag zur Entsendung von Truppen in die Ukraine zu unterstützen, begann der französische Staatspräsident, diese Idee demonstrativ auch den zweitrangigen Ländern anzutragen. Macron beabsichtigt, in naher Zukunft zu diesem Thema Verhandlungen mit den baltischen Staaten sowie mit der Ukraine selbst (die er demnächst besuchen will) zu führen.
Es scheint, dass das Vorgehen des französischen Staatschefs unlogisch und irrational ist. Und teilweise ist es sogar illegal.
Tatsache ist, dass man im Élysée-Palast so viel darüber reden kann, wie man möchte, es würden Truppen lediglich zur "Unterstützung bei der Minenräumung" entsandt werden – denn es ist offensichtlich, dass diese Truppen an Kampfhandlungen teilnehmen werden. Und zwar nicht als Söldner, nicht als Urlauber (wie die, die bereits französische CAESAR und SCALP-EG bedienen), sondern regulär unter französischer Trikolore. Dementsprechend werden sie zum Ziel für russische Raketen. Sobald eine gewisse Anzahl von Franzosen erledigt ist, wird man in Paris gezwungen sein, irgendwie militärisch zu reagieren – und wie wird man reagieren? Mit einem Angriff auf Russland? Oder wird Macron dann schweigen und damit das Ansehen Frankreichs beschädigen? Macron übt natürlich seine letzte Amtszeit als Präsident aus, er denkt also nicht an eine Wiederwahl. Aber er hat ehrgeizige Leute um sich, denen ihr Ruf am Herzen liegt. Und die wollen nicht ihre Macht einbüßen.
Was die Außenbeziehungen betrifft, so haben sowohl Frankreich wie auch die baltischen Staaten und andere Falken gewisse Verpflichtungen innerhalb der EU (Koordinierung der Außenpolitik) und der NATO (gemeinsame Verteidigungsstrategie). Und dabei gibt es kein Recht auf einen Privatkrieg – zumindest dieser Art – in einer solchen Region und gegen eine solche Macht wie Russland.
Tatsache bleibt, dass man in Moskau diese Präsenz von europäischen Truppen in den neuen, vorübergehend von der Ukraine besetzten Gebieten Russlands als Invasion betrachten könnte. Und dementsprechend könnte man also nicht nur die eingedrungenen Einheiten angreifen, sondern auch das Territorium ihrer Staaten. Aus russischer Sicht wäre dies eine Ausübung des in der UN-Charta verankerten Rechts auf Selbstverteidigung – aus Sicht der NATO (die die neuen russischen Gebiete nicht anerkennt) wäre dies jedoch die Grundlage für die Aktivierung des NATO-Artikels 5 zur kollektiven Verteidigung.
Mit allen Konsequenzen – auch mit fliegenden, und zwar in beide Richtungen.
Somit bedroht die französische Initiative die französische Macht selbst. Sie bedroht die gesamte europäische Sicherheit, sogar die euroatlantische Sicherheit. Sie entwertet alle Versuche in Berlin und Washington, die Ausweitung eines zwar nicht mehr klassischen, aber dennoch eines "Konflikts an der Peripherie" zu vermeiden. Warum lassen sie es dann zu, dass Frankreich so offen eine Koalition für den Einmarsch von Truppen in der Ukraine zusammentrommelt? Warum schweigen sie, warum schlagen sie Macron nicht auf die Pfoten?
Paris bot noch eine dritte Option
Offenbar deshalb, weil sie einträchtig mit ihm agieren. Denn sie sehen in dieser französischen Initiative einen Ausweg aus der Sackgasse, in die sich die westliche Diplomatie in der Ukraine-Frage selbst manövriert hat.
Diese Sackgasse besteht nach Ansicht der EU aus zwei, beides unheilvolle Optionen, um auf die immer näher rückende Niederlage der Ukraine im Konflikt mit Russland zu reagieren. Die erste Option besteht darin, einfach zuzusehen, wie das Kiewer Regime an Territorium, Macht und Kontrolle über die Lage im Land verliert. Man müsste den russischen Sieg anerkennen und akzeptieren. Schlimmer für die westlichen Eliten ist jedoch, dass dieser Sieg den Zusammenbruch der ganzen Welt, die sie für sich aufgebaut haben, zur Folge haben wird. Nicht, weil Moskau seine Panzer in der Seine oder im Rhein waschen wird, ganz zu schweigen von der Weichsel – jedem ist klar, dass Wladimir Putin nicht einmal in die baltischen Staaten Truppen schicken wird (obwohl die es natürlich verdient hätten), sondern weil der Sieg Russlands die Dominanz des Westens in der Weltagenda zunichtemachen, die US-amerikanisch-europäische Strategie zur Unterdrückung der "globalen Mehrheit" entwerten wird. Und damit ist dann nicht mehr klar, wie die europäischen Eliten weiterleben werden. Vor allem, wenn Trump als Neoisolationist die Wahlen in den USA gewinnen sollte.
Die zweite Option besteht darin zu versuchen, das Kiewer Regime durch eine Eskalation der Beteiligung am Konflikt zu retten. Das hieße also durch den Einmarsch von NATO-Truppen. Aber wie bereits erwähnt, kann dies einen Atomkrieg zur Folge haben, den auch Europa nicht will.
Und nun wollen die USA und die EU mit der Hilfe von Macron den dritten, sichersten Ausweg aus der Sackgasse umsetzen, den sie sich ausgedacht haben – nämlich so zu tun, als ob ein Teil der westlichen Staaten "im Namen von Freiheit und Demokratie" Truppen entsenden würde, während der andere Teil angeblich sein Bestes tut, um sich dagegen zu wehren. Er versucht es und versucht es – aber es scheitert. Und damit die Stimme der Vernunft in Europa die Oberhand gewinnen könne, wäre es nötig, dass Russland ihnen beim "richtigen Handeln" hilft. Das heißt, dass es Zugeständnisse zu machen hat.
Vereinfacht gesagt: Der Westen versucht, mittels der Demonstration von Macrons angeblich entgleister Rationalität Moskau einzuschüchtern und dem Teil der russischen Elite, der ein Ende der speziellen Militäroperation zu den für Russland minimal akzeptablen Bedingungen befürwortet, zusätzliche Argumente zu liefern. Überzeugen Sie nur Wladimir Putin, einen für den Westen akzeptablen Kompromiss anzunehmen! Zum Beispiel das berüchtigte Einfrieren des Konflikts. Andernfalls drohen sie, ihre Hände in Unschuld zu waschen und zuzulassen, dass die Falken aus Frankreich und dem Baltikum den Ausbruch eines Atomkriegs riskieren.
Natürlich wird diese ganze Strategie in Moskau durchschaut. Die Chance, dass das westliche Spiel vom "good Guy and bad Guy" zum Erfolg führt, ist gering. Man muss sich jedoch darüber im Klaren sein, dass die USA und die EU jetzt in einer Logik des Eskapismus handeln. Da sie nicht bereit sind, zwischen zwei (ihrer Meinung nach) gleichermaßen inakzeptablen Optionen zu wählen, werden sie sich an jede Alternative klammern, die zumindest eine minimale Chance auf Erfolg hat. Zumindest, um die berüchtigte Wahl so lange wie möglich hinauszuzögern.
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei Wsgljad.
Geworg Mirsajan ist außerordentlicher Professor an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation, Politikwissenschaftler und eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Geboren wurde er 1984 in Taschkent. Er machte seinen Abschluss an der Staatlichen Universität in Kuban und promovierte in Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt USA. Er war von 2005 bis 2016 Forscher am Institut für die Vereinigten Staaten und Kanada an der Russischen Akademie der Wissenschaften.
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