Von Dagmar Henn
Die ukrainische Führung und ihre überseeischen Betreuer scheinen sich auf ihre Niederlage vorzubereiten. Das ist zumindest der Schluss, den man aus einigen Ereignissen der letzten Tage ziehen kann.
Die Punkte, die darauf hindeuten, sind folgende:
- der Artikel in der Washington Post, einem Blatt, das als besonders CIA-nah gilt, in dem der US-Auslandsgeheimdienst versuchte, sich von den Terroranschlägen des ukrainischen SBU zu distanzieren;
- der Brandanschlag auf das Haus des ukrainischen Journalisten Anatoli Scharij in Spanien;
- und das Attentat auf den ehemaligen ukrainischen Präsidentschaftskandidaten Oleg Zarjow.
Wie kann das alles zusammenhängen? Klar ist, in den letzten beiden Punkten geht es um Anschläge, für die der ukrainische SBU der Hauptverdächtige ist. Die Liste versuchter wie auch erfolgreicher Anschläge seitens dieses Dienstes ist lang. Genau das wurde durch CIA-Vertreter auch in besagtem Artikel in der Washington Post eingestanden. Zusammen mit einem ganz lauten "Wir waschen unsere Hände in Unschuld", das glauben kann, wer mag.
Dass eine solche Distanzierung erfolgt, liegt mit Sicherheit nicht daran, dass die CIA auf einmal von moralischen Skrupeln geplagt ist. Ihre über dreihundert Mordversuche an dem kubanischen Präsidenten Fidel Castro sind legendär. Sicher, das war und ist nicht die gesamte CIA, sondern nur eine bestimmte Abteilung. Aber es ist ein bekannte Praxis, um die politische Vorherrschaft der USA zu sichern. Man denke nur an die Gladio-Strukturen in Europa. Nein, der gegenwärtige Distanzierungsversuch kann nur zwei Gründe haben – zum einen, dass dieses Vorgehen dabei ist, politisch zu scheitern.
Man wird nicht gerne mit Niederlagen in Verbindung gebracht. Es gibt eine ganze Menge Dreck, der emporgespült werden wird, wenn die gegenwärtige Macht in Kiew verloren hat; man denke nur an den Abschuss von MH17. Das Risiko, dass Zeugen oder Mittäter womöglich zur Verfügung stehen, um zu belegen, wer was wann getan hat, ist enorm.
Diese Distanzierung richtet sich nicht an das Publikum im globalen Süden, sondern an das im Westen. Sie erfolgt nicht ausgelöst durch Ereignisse in der Vergangenheit, sondern als vorbeugende Maßnahme mit Hinblick auf Ereignisse, die erwartet werden. Denn bisher gelingt die Abschottung der Medien noch, und das offizielle Narrativ über den "friedlichen Maidan" hält, wenn auch allmählich unter Mühen. Aber bei allen derartigen Konflikten war es so, dass dieses Narrativ irgendwann bricht. Dass die CIA jetzt öffentlich erklärt, sie habe mit den Mordanschlägen des SBU nichts zu tun, ist ein klares Indiz dafür, dass die Kiewer Niederlage inzwischen als unabwendbar gesehen wird.
Dass eine solche Sicht nicht mit jener der US-Regierung korreliert, tut nichts zur Sache. Es ist nicht einmal so ungewöhnlich – in Krisenmomenten folgen solche Strukturen dem Eigeninteresse. Und das fordert, schon einmal dafür zu sorgen, dass nicht alle Untaten auf der eigenen Kappe landen. Es gibt sogar einen Punkt, der die CIA tatsächlich zumindest von einem Teil möglicher Verantwortung entlastet – die letztendlichen Entscheidungen über derartige Anschläge erfolgen in der Regel ganz oben, hieße in diesem Falle Wladimir Selenskij persönlich, wie vor ihm Petro Poroschenko, und darüber gegebenenfalls die jeweiligen politischen Instrukteure. Aber technisch ist und war die CIA mit Sicherheit vielfach involviert, nicht nur in Ausbildung und Aufklärung, sondern auch in der Planung, wenn nicht gar bei der Durchführung.
Es gibt aber womöglich noch einen Grund für diesen plötzlichen Bekenntniseifer, und der hängt mit den zwei jüngsten Anschlägen zusammen. Beide Opfer sind in der Ukraine bekannt, beide stehen in klarer Opposition zum gegenwärtigen Kiewer Regime, und beide gelten als integer. Das bedeutet, es handelt sich um zwei Personen, die womöglich Teil einer künftigen Kiewer Regierung sein könnten.
Es wäre nicht überraschend, wenn der hoch ideologisierte Apparat der SBU vor seinem Machtverlust noch versucht, die Voraussetzungen für einen politischen Neubeginn in der Ukraine dauerhaft zu verschlechtern. Egal, auf welche Art und Weise die militärische Auseinandersetzung endet, egal, ob wir hinterher von einem Teil der Russischen Föderation oder einem weiterhin selbständigen Staat reden, es wird politisches Führungspersonal brauchen, das unbelastet ist und persönlich die Garantie dafür bieten kann, mit der jetzt herrschenden Bandera-Ideologie nichts zu tun zu haben. Man könnte die Situation mit Deutschland 1945 vergleichen.
Die Nazis haben übrigens ähnlich reagiert und noch zuletzt versucht, Führungspersonen der gegnerischen Seite zu beseitigen, wie beispielsweise Ernst Thälmann. Die Berechnung dahinter lautet: Je weniger Positionen die Gegner des jetzigen Regimes besetzen und kontrollieren können, desto größer sind die Teile der zweiten Garnitur der jetzigen Macht, die sich auch danach noch halten können.
Trotz des schnellen Schwenks hin zum Kalten Krieg war es selbst in den Westzonen einige Jahre lang die Voraussetzung für jede bedeutsamere Tätigkeit, nicht Teil des Naziapparats gewesen zu sein. Anders ist diese enorme Aufgabe, einen völlig untergeordneten Staatsapparat umzubauen, auch nicht zu bewältigen – das geht von den Sicherheitsbehörden bis zu den Lehrplänen in den Schulen. Augenblicklich ist all das von der Bandera-Ideologie durchdrungen; aber jede Art demokratischer Struktur kann erst funktionieren, wenn dieser Prozess erfolgreich umgekehrt wird.
Darum ist die persönliche Integrität des Personals, das den Umbau leitet, so wichtig. Die Menschen, die dem Wahn bisher gefolgt sind, müssen die Chance haben, zu erkennen, wie sehr sie in die Irre geführt wurden. Und um dies zu erkennen, dürfen diejenigen, die die politische Verantwortung übernehmen, nicht im Verdacht eines rein opportunistischen Wandels stehen. Das wiederum bedeutet, dass alle Personen, die in den Jahren seit 2014 glaubwürdig für die andere Ukraine standen, gewaltig an Bedeutung gewinnen. Und genau darum jetzt zum Ziel einer letzten blutigen Kampagne werden könnten.
Wenn die Vermutung zutrifft – und sehr vieles spricht dafür –, dann ist das ein Wechsel in den Zielen, die die Anschläge des SBU verfolgen. Bisher waren es Führer des Donbass-Widerstands, dann zusätzlich Publizisten, die als besonders wirksam erachtet wurden, und die Vertreter der neuen Strukturen in den neuen russischen Regionen. Das, worauf jetzt gezielt wird, ist das mögliche Regierungspersonal für eine Ukraine "danach".
Und das ist genau der Moment, an dem die CIA ein Problem hat. Denn sie existiert weiter, wenn der SBU längst aufgelöst ist. Für ihre ukrainischen Handlanger geht es um die Möglichkeiten, selbst mit heiler Haut davonzukommen – es wäre interessant, zu wissen, ob die große Aktenvernichtung in Kiew bereits begonnen hat. Die CIA hat aber die US-Regierung als Auftraggeber, die wiederum irgendwie mit der künftigen Ukraine umgehen muss, und eine künftige Regierung, deren Mitglieder ein ganz persönliches Hühnchen mit Langley zu rupfen haben, ist weder für die CIA noch für die USA ein angenehmes Gegenüber.
Die politische Manipulation und die berüchtigten "wet jobs" sind schließlich nur ein Teil des Auftrags der CIA. Ein anderer ist die schlichte Informationsgewinnung. Doch selbst Letztere wird ausgesprochen schwierig, wenn die verantwortlichen Personen in der neuen Führung eingefleischte Feinde sind.
Nachdem der Einfluss der CIA bei der Entwicklung des Bandera-Sumpfes so stark war, wie inzwischen von ihr selbst eingestanden, wird das ohnehin schwierig. Wenn von Kiew aus jetzt versucht wird, einen möglichen Neuanfang schon vorab zu erschweren, genügt die übliche "glaubwürdige Abstreitbarkeit" nicht mehr.
Der Artikel in der Washington Post könnte sich also letztlich nicht einmal an das westliche Publikum oder an die Russische Föderation richten, sondern an das zukünftige politische Personal in der Ukraine (welche Form sie auch immer annimmt). Womöglich ist man in Langley zu der Einsicht gelangt, dass eine Wiederholung der Rettungsmanöver, die noch im Frühjahr 1945 zwischen der Vorläuferorganisation der CIA, dem OSS in Gestalt der Brüder Dulles, und dem Reichssicherheitshauptamt der Nazis vereinbart wurden und die Grundlage für den Kalten Krieg legten, in diesem Fall nicht möglich ist. Dann wäre es absolut logisch, spätestens jetzt auf Distanz zu gehen und das ukrainische Ziehkind fallen zu lassen.
Für diejenigen, die bisher sichtbare Vertreter einer Bandera-freien, antifaschistischen Ukraine waren, ein extrem gefährlicher Zeitpunkt. Die meisten davon befinden sich längst nicht mehr in der Ukraine; aber zumindest im Westen ist die Bereitschaft, dem SBU nicht in den Arm zu fallen, relativ hoch. Sicherer wird es für sie erst dann, wenn Langley den zweiten Schritt zur Schadensbegrenzung unternähme und den Kiewer Plänen aktiv entgegenarbeiten würde.
Ob das passiert? Schwer einzuschätzen. Jedenfalls haben all diese Personen augenblicklich eine Aufgabe, die allem anderen vorangeht, nämlich, das eigene Überleben zu sichern. Denn eine Tatsache wird sowohl durch die plötzliche Auskunftsfreudigkeit der CIA als auch durch die neueste Wendung der SBU-Mordkampagne belegt – beide gehen davon aus, dass die Schlacht um die Ukraine entschieden und es an der Zeit ist, zu Plänen für die Zeit nach der Niederlage überzugehen.
Mehr zum Thema - Warum der Westen wegschaut, wenn der ukrainische Geheimdienst Journalisten und Aktivisten tötet