Laut der Nachrichtenseite The Messenger ist die US-Regierung dabei, Evakuierungspläne für in Taiwan lebende US-amerikanische Staatsbürger vorzubereiten.
Die Planungen laufen dem Bericht zufolge seit mindestens sechs Monaten. Laut einer hochrangigen anonymen Quelle aus den Reihen des US-Geheimdienstes soll sich die Lage "in den letzten zwei Monaten zugespitzt haben".
Der US-Geheimdienstmitarbeiter erklärte, dass die Vorbereitungen auf einem "erhöhten Spannungsniveau" vor sich gingen. "Es ist nichts, was man nicht in den Nachrichten lesen würde", sagte er gegenüber The Messenger. Und weiter:
"Die Kräfte sammeln sich. China verbündet sich mit Russland in der Ukraine."
Eine weitere, mit der Angelegenheit vertraute Person, nannte die militärische Eskalation in der Ukraine als Anstoß für die Planung. "Die Ukraine hat dazu geführt, dass die Pläne überdacht wurden", so der Informant.
Die US-Regierung hat derartige Vorbereitungen bisher nicht öffentlich diskutiert. Das US-Außenministerium lehnte eine Bitte um Stellungnahme vonseiten des Portals The Messenger ab. Der Sprecher des Pentagons, Oberstleutnant Martin Meiners, sagte lediglich:
"Wir sehen einen Konflikt in der Straße von Taiwan weder als unmittelbar bevorstehend noch als unvermeidlich an."
Der Planungsprozess sei geheim gehalten worden, weil er für die taiwanesische Regierung ein sensibles Thema sei, sagte die anonyme Quelle. Ein Beamter des Außenministeriums betonte:
"Selbst wenn man über einen [Evakuierungsplan] spricht, denken die Leute, dass etwas im Gange ist, selbst wenn es nur eine vorsichtige Planung ist."
Im Jahr 2019 befanden sich mehr als 80.000 US-Amerikaner in Taiwan. Einige US-Beamte erklärten damals, dass es in den kommenden Jahren "zu einer Invasion kommen könnte", während andere Beamte und Experten bezweifelten, dass die chinesische Regierung angesichts ihres langjährigen Versprechens der "Wiedervereinigung" mit Taiwan zu Gewalt greifen wird.
"Geografische Lage Taiwans ein wichtiger Faktor"
Die Planung einer Evakuierung aus Taiwan "ist eine sehr umsichtige Sache", sagte Mark Cancian, ein leitender Berater am US-amerikanischen Thinktank "Center for Strategic and International Studies", der 1975 an der Evakuierung der Amerikaner aus Saigon beteiligt war. Er fügte jedoch hinzu, dass es sich nur um Notfallpläne handele:
"Die Tatsache, dass die USA dies tun, bedeutet nicht, dass sie einen Krieg erwarten. Es ist lediglich eine Erklärung, dass es zu einem Krieg kommen könnte."
Die Details der US-Pläne würden noch ausgearbeitet, ließen die Informanten gegenüber The Messenger verlauten, einschließlich der Frage, wohin US-Bürger evakuiert werden könnten, falls dies als notwendig erachtet würde.
"Die geografische Lage Taiwans ist ein wichtiger Faktor", so eine Quelle weiter. Es gebe oft nur eine Hauptroute zwischen zwei Punkten. Zudem könnten die vielen Tunnel der gebirgigen Insel zu Engpässen werden. Sollten Evakuierungen angeordnet werden, würden sich wahrscheinlich Hunderttausende anderer Ausländer in Taiwan – und taiwanesische Bürger – ebenfalls auf diesen Straßen befinden.
Das US-Außenministerium rät seinen Bürgern im Ausland rechtzeitig kommerzielle Verkehrsmittel zu nutzen, um ein Land vor einer Krise zu verlassen, aber das sei nicht immer möglich. "Sobald die Schießerei beginnt, ist es sehr, sehr schwierig", sagte Cancian. Er verwies auf die Herausforderung, sichere Korridore für Evakuierungen und humanitäre Hilfe in der Ukraine aufrechtzuerhalten, als ein Beispiel.
In Taiwan liegen die wichtigsten Flughäfen an der China zugewandten Westküste der Insel und könnten deshalb bei einer Eskalation zeitnah angegriffen werden. Anstelle von Verkehrsflugzeugen könnten gecharterte Schiffe eingesetzt werden, aber auch diese Option wäre im Falle eines Krieges schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Cancian dazu:
"Stellen Sie sich eine Invasion am D-Day vor, und dann will ein Drittland – die Schweiz oder etwas Ähnliches – ein Kreuzfahrtschiff durch die US-Flotte in die Normandie schicken, um seine Bürger abzuholen."
Bei einigen der schlimmsten Evakuierungen in der Geschichte der USA – Saigon 1975 oder Kabul 2021 – wurde das US-Militär als letztes Mittel zur Hilfe herangezogen. In Taiwan ist die derzeitige US-Präsenz auf etwa 200 Soldaten beschränkt – im vergangenen Jahr waren es nur 30 – und selbst diese Präsenz ist eine Quelle von Spannungen mit China.
Im Rahmen der US-Politik sind die Botschaften in aller Welt damit beauftragt, Notfallpläne für das Botschaftspersonal und die US-amerikanischen Bürger zu erstellen, während die detailliertere operative Planung für Evakuierungen in Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsministerium erfolgt.
John McLaughlin, ehemaliger stellvertretender Direktor der CIA und Gastprofessor an der Johns Hopkins School of International Studies, erklärte, dass ein grundlegender, aber kritischer Schritt bei der Evakuierungsplanung in Taiwan die Identifizierung und Lokalisierung amerikanischer Bürger auf der Insel sei.
McLaughlin sagte gegenüber The Messenger:
"Eine Sache, die sie tun könnten und die ich tun würde, ist, einen Weg zu finden, die Amerikaner dort vor Ort zu bitten, sich in dieser Datenbank zu registrieren."
Kürzlich hat das American Institute of Taiwan, das in Ermangelung einer offiziellen US-Botschaft diplomatische Aufgaben wahrnimmt, offenbar genau das getan – ohne auf die geopolitische Lage einzugehen.
Andere Länder sind schon weiter
Im Februar nach den Erdbeben in der Türkei veröffentlichte das Institut auf seiner Webseite eine Nachricht mit der Überschrift "Preparing Now for Disasters" (Jetzt auf Katastrophen vorbereiten), in der es die Bürger daran erinnerte, dass Taiwan in einer "katastrophenanfälligen Region" liege, und sie aufforderte, sich in das Register einzutragen sowie "Notfalltaschen" und persönliche Dokumente bereitzuhalten.
Die für die Planung zuständigen Bediensteten des Außen- und Verteidigungsministeriums in Washington seien auch dafür verantwortlich, mögliche Treffpunkte, Evakuierungsrouten und Verkehrsmittel für eine Reihe von Eventualitäten zu ermitteln. Dazu McLaughlin:
"Für den Notfall muss man vorhersehen, wie viele Flugzeuge man benötigt, wie schnell sie ein- und ausfliegen müssen und wer dafür zuständig ist. Und dann ist da noch der interne Transport, wie man die Menschen zu den Flughäfen bringt und wieder herausholt."
Andere Regierungen haben bereits Evakuierungspläne für Taiwan erstellt oder sind dabei, dies zu tun – darunter auch Indonesien, das mit rund 300.000 Bürgern in Taiwan die größte ausländische Bevölkerungsgruppe auf der Insel stellt, die sich hauptsächlich aus Wanderarbeitern zusammensetzt.
Beamte der Philippinen, die für etwa 150.000 Landsleute in Taiwan zuständig sind, erklärten ebenfalls, dass sie bereits Notfallpläne in Kraft gesetzt hätten. Und im vergangenen Jahr hatten Japan und Taiwan Gespräche über einen Evakuierungsplan für japanische Bürger aufgenommen.
Die US-Politik sieht vor, dass die Regierung unter den richtigen Bedingungen bei der Evakuierung US-amerikanischer Bürger helfen könne, aber sie garantiert eine solche Unterstützung nicht. Die Regierung Biden ist in die Kritik geraten, weil sie den US-Amerikanern nicht genügend Hilfe geleistet hat – zuletzt im Sudan, wo im April schwere Kämpfe ausgebrochen waren.
Die USA erklärten zunächst, dass sie keine Evakuierung durchführen, weil nur wenige Menschen darum gebeten hätten; später änderte die Regierung ihre Position und organisierte mehrere Konvois aus Khartum.
Im Falle Afghanistans wurden Hunderte US-Amerikaner und Zehntausende Afghanen, die für die USA gearbeitet hatten, in den hektischen und gefährlichen letzten Tagen der Evakuierung aus Kabul zurückgelassen. Diese Erfahrung dürfte den US-Beamten, die an den Plänen für Taiwan arbeiten, "schwer im Magen liegen", so Cancian.
"Die Spannung besteht darin, dass die US-Regierung ihr Personal nicht zu früh abziehen möchte, da dies einen Mangel an Vertrauen signalisieren würde", erklärte Cancian. "Aber sie wollen sie auch nicht zu spät abziehen, weil sie dann nicht mehr in der Lage wären, alle Leute herauszuholen", so der Experte weiter.
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