Von Juri Sainaschew
in der Stadt Artjomowsk (ukrainisch Bachmut) haben nach ihrer Befreiung vorläufige Minenräumarbeiten begonnen, erklärte am Montag das amtierende Oberhaupt der Volksrepublik Donezk Denis Puschilin. "Für uns ist wichtig, eine vollständige, gründliche Entminung durchzuführen. Dies ist eine aufwändige und komplizierte Arbeit, bedenkt man die Kämpfe, die dort stattfanden", teilte er dem Fernsehsender Rossija 24 mit. Dem Oberhaupt der DVR zufolge werden zuerst diejenigen Orte überprüft, an denen Zivilisten bleiben könnten.
"Es ist geplant, einen Stab nach der sich in anderen befreiten Städten bewährten Praxis zu organisieren. Der Stab wird seine Arbeit in nächster Zeit beginnen", berichtete Puschilin.
Währenddessen verneinte das offizielle Kiew den Verlust der Stadt am Montag immer noch. Die stellvertretende Verteidigungsministerin Anna Maljar behauptete, dass die Lage am Bachmuter Frontabschnitt sich "nicht wesentlich geändert" habe. Das ukrainische Militär kontrolliere demnach gewisse Objekte und das Privathausviertel im Bezirk Samoljot, um "gewisse Höhen an den Flanken" nördlich und südlich der Stadt werde noch gekämpft. "Der Gegner führt in den besetzten Stadtbezirken eine Säuberung durch und zieht zusätzliche Kräfte und Mittel an die Stadt heran", zitierte das ukrainische Nachrichtenportal Strana Maljar. Indessen erscheinen in sozialen Netzwerken immer mehr Videos der Flucht ukrainischer Soldaten aus Artjomowsk.
Im Gegensatz zum ukrainischen Verteidigungsministerium hielten die Washingtoner Experten des Institute for the Study of War am Montagmorgen eine Einnahme der Stadt für "wahrscheinlich". "Auf den Aufnahmen mit Standortbestimmung, die am 21. Mai veröffentlicht wurden, ist sichtbar, wie die Wagner-Einheiten die Flaggen Russlands und der Wagner-Gruppe über einem Wohnhaus im äußersten Westen von Bachmut hissen", räumte das Institut ein. Die französische Zeitung Le Figaro veröffentlichte am Sonntagabend ebenfalls einen Bericht über den "Fall von Bachmut".
"Seit dem Verlust von Mariupol hat sich an Kiews Verhalten nichts geändert. Wie lange brauchten sie, um den Verlust von Mariupol anzuerkennen? Etwa anderthalb Monate. Das Gleiche wird hier passieren. Kiew wird darauf bestehen, dass alle Berichte über einen Rückzug 'russische Propaganda' seien. Alternative Informationsquellen gibt es in der Ukraine nicht, alle Fernsehkanäle werden von Selenskij kontrolliert. Deswegen werden sie die Lage um Bachmut so darstellen, wie es ihnen passt", erklärteder ehemalige Abgeordnete der Werchowna Rada Spiridon Kilinkarow der Zeitung Wsgljad.
Natürlich habe das ukrainische Militär eine Niederlage erlitten, allerdings werde der Westen dies vorerst ignorieren, vermutete der Ex-Abgeordnete. Er betonte:
"Ernsthaft unter Druck setzen wird man Selenskij nicht jetzt, nach Bachmut, sondern wenn die große Gegenoffensive scheitert. Dann wird man ihm alles vermerken und dann werden politische Folgen für ihn eintreten. Denn bildlich gesprochen bestand der Vertrag darin, dass der Westen Waffen und Finanzen liefert, während Kiew das Personal stellt und sich verpflichtet, die geopolitische Strategie des Westens zu verwirklichen. Deswegen wird man Ergebnisse fordern."
Am Sonntag berichtete Russlands Verteidigungsministerium, dass Sturmverbände der Wagner-Gruppe mit Unterstützung der Artillerie und Luftstreitkräfte der Militärgruppierung Süd die Befreiung von Artjomowsk abgeschlossen haben. Präsident Wladimir Putin gratulierte den Wagner-Kämpfern und Militärangehörigen zur Befreiung der Stadt. Wie der Kreml mitteilte, werden alle, die sich darum verdient gemacht hatten, zur Auszeichnung vorgeschlagen.
Artjomowsk war ein wichtiger Transportknoten und starker Vorposten des ukrainischen Militärs im Donbass. Die Kämpfe um die Stadt hatten am 1. August begonnen. Die Schlacht wurde zu einer der größten während der Befreiung des Donbass seit 2014.
Ende März sprach Wladimir Selenskij in einem Interview mit westlichen Journalisten von den Folgen eines Verlusts von Artjomowsk. "Selenskijs Kommentare sind eine Anerkennung der Tatsache, dass eine Niederlage in der siebenmonatigen Schlacht um Bachmut eher zu einer kostspieligen politischen als zu einer taktischen Niederlage wird", schrieb Associated Press.
Selenskij war besorgt, dass die ukrainische Gesellschaft kriegsmüde und ihn zu einem Kompromiss mit Russland drängen wird, und dass die Kampfmoral der ukrainischen Truppen gebrochen wird.
"Auf die PR-Geschichte um Artjomowsk werden immer noch große Kräfte geworfen: Es sei noch zu früh, einen Punkt zu setzen, an den Flanken werde noch gekämpft und so weiter. Dabei wurde zu einem der wichtigsten Sprecher nicht etwa Selenskij, sondern Präsident Biden, der dieses Thema während des G7-Gipfeltreffens in Hiroshima ansprach. Berücksichtigt man auch die Erklärungen seines Nationalen Sicherheitsberaters Jake Sullivan und anderer, können wir zum Schluss kommen, dass die USA bisher keine größeren Probleme für sich sehen. Ihre Aufgabe ist es, den Konflikt in die Länge zu ziehen. Läuft der Konflikt weiter? Na, dann wird die Aufgabe erfüllt", erklärte der Politologe und Kommentator des Radiosenders Goworit Moskwa Alexander Assafow. Ihm zufolge scheint Washington mit der Lage bisher zufrieden zu sein, sodass Selenskij trotz seiner Behauptungen im März keinen Druck vom Westen zu erwarten habe.
"Was den Druck 'von unten' angeht, hier ist ein Beispiel: Praktisch niemand hörte davon, dass am Wochenende in Kiew ein Marsch der Mütter von Militärangehörigen stattfand, die an der Front, darunter in Artjomowsk, gefallen waren. Dabei fand er statt. Doch von diesem Marsch haben nicht einmal Telegram-Kanäle berichtet, geschweige denn Medien, denn die ukrainische Medienlandschaft ist komplett gleichgeschaltet", bemerkte Assafow.
"Betrachten Sie die Nachrichtenthemen der ukrainischen Medien, werden Sie feststellen, dass einer der wichtigsten und ernsthaftesten Faktoren heute die Suche nach Spionen sei. Der Inlandsgeheimdienst SBU jagt alle, die eines Dissens erst verdächtigt werden, geschweige denn, die ihn irgendwie zeigen. Die Menschen sind schlicht eingeschüchtert, besonders diejenigen ukrainischen Männer, die sich den Versuchen, sie an die Front zu schicken, zu entziehen versuchen. Die Gesellschaft ist jeder Möglichkeit beraubt, irgendwelchen Druck auf Selenskij von unten auszuüben, denn das Kiewer Regime ist durch einen repressiven Apparat in all seiner Stärke und mit allen notwendigen Institutionen geschützt", erklärte der Politologe.
"An dieser Stelle ist auch anzumerken, dass Selenskij die Parlamentswahlen aussetzen will. Ihm ist klar, dass das Volk die Abstimmung ernst nehmen und seine Einstellung zur regierenden Partei deutlich machen könnte. Deswegen warnt Selenskij, dass er die Wahlen zur Werchowna Rada wegen der Kriegslage wahrscheinlich nicht durchführen werde. Dies ist ein wichtiges indirektes Indiz", schlussfolgerte Assafow.
Bisher wird Kiew seine Niederlagen verschweigen, wie es mit Artjomowsk geschieht, und der Bevölkerung zum Ausgleich "taktische Erfolge" vorsetzen, die entweder aufgebläht oder gar frei erfunden werden können. Nach Meinung des Ex-Abgeordneten Kilinkarow sei es kein Zufall, dass die Diversion im Gebiet Belgorod gerade jetzt stattfand.
"Wir verstehen das Ziel solcher Diversionsakte sehr gut – sie sollen vom Bachmuter Frontabschnitt ablenken und den politischen Effekt des Verlusts von Artjomowsk durch die ukrainische Seite minimieren", erklärte diesbezüglich auch der Pressesprecher des russischen Präsidenten Dmitri Peskow. Zuvor hatte der Gouverneur des Gebiets Belgorod Wjatscheslaw Gladkow erklärt, dass in der Region eine Operation zur Eliminierung eines vorgedrungenen ukrainischen Sabotagetrupps im Gange sei.
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei Wsgljad.
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