"Die eurozentrische Welt geht ihrem Ende entgegen": Lulas Ex-Berater wirft Westen Arroganz vor

Der Ton gegenüber dem Westen wird rauer. Angesichts seines Beharrens im Hinblick auf den Ukraine-Konflikt wird dem Westen von Vertretern der südlichen Länder Arroganz vorgeworfen. Denn darin spiegelt sich auch sein mangelndes Interesse an einem Ende dieses Krieges wider.

Arroganz und Ignoranz sind Vorwürfe gegenüber dem Westen, die immer häufiger und stetig lauter geäußert werden. Zuletzt vom brasilianischen Politikwissenschaftler und ehemaligen Präsidentenberater Giorgio Romano Schutte. Er wirft der Berliner Regierung vor, sie gebe sich "nicht die geringste Mühe", "Brasiliens Haltung zu verstehen und zu respektieren". Darauf weist der außenpolitische Blog German-Foreign-Policy hin.

Diese Doppelmoral des Westens stößt in der Welt auf Ablehnung, meint der ehemalige Berater des brasilianischen Präsidenten Lula da Silva. Angesichts des Ukraine-Krieges werden diese doppelten Standards deutlich sichtbar. Schutte erinnert in diesem Zusammenhang an den Jugoslawienkrieg im Jahr 1999 sowie die Kriege gegen Irak und gegen Libyen in den Jahren 2003 beziehungsweise 2011. Alle drei stellten einen Verstoß gegen das Völkerrecht dar.

"Die Behauptung, die NATO-Staaten und ihre Verbündeten seien 'die Stimme der internationalen Staatengemeinschaft, die eine regelbasierte Ordnung respektiert'", sei "schlicht und einfach unzutreffend", zitiert German-Foreign-Policy den brasilianischen Wissenschaftler. 

"Europa mag steif und fest behaupten, dass Russland sich selbst isoliert – aus der Perspektive des Globalen Südens stellt sich das ganz anders dar."

Schutte ist sich daher sicher, dass die eurozentrische Welt an ihrem Ende angekommen ist. Auch umfassende Waffenlieferungen an die Ukraine werden daran seiner Auffassung nach nichts ändern. 

Anlass für Schuttes Einlassungen waren die westlichen Reaktionen auf den Besuch Lulas in China und auf den Besuch des russischen Außenministers Sergei Lawrow in Brasilien. Die Berichte in westlichen und deutschen Medien über die geopolitisch bedeutenden Treffen waren überwiegend abfällig.

Erst als Lula in Portugal die territoriale Verletzung der Ukraine verurteilte und damit scheinbar die Argumentation westlicher Staaten übernahm, wurde die Berichterstattung wohlwollender. Dabei liegt hier ein Missverständnis vor. Westliche und deutsche Medien deuten die Verurteilung des Einmarschs Russlands als Zustimmung zur westlichen Sichtweise auf den Konflikt.

In dieser westlichen Lesart wird jede Verantwortung des Westens für die Entstehung des Konflikts zurückgewiesen. Die Verurteilung des Einmarschs wird zudem gleichgesetzt mit einer angeblichen Isolation Russlands. Dazu herangezogen werden in der deutschen Diskussion die Annahmen von bereits zwei Resolutionen durch die UN-Generalversammlung, die den Einmarsch Russlands in die Ukraine als Verstoß gegen das Völkerrecht verurteilen. Daraus wird eine Isolation Russlands abgeleitet. Dies ist jedoch eine Fehlinterpretation. 

Schutte sagt in diesem Zusammenhang, dass der Globale Süden deutlich sehe, dass der Westen die Sicherheitsinteressen Russlands ignoriert hat. Außerhalb der westlichen Hemisphäre herrscht deshalb die Auffassung vor, dass der Westen mindestens eine Mitverantwortung, wenn nicht sogar die Hauptschuld an der Entstehung des Konflikts trägt. Westliche – allen voran deutsche Politiker – weigern sich jedoch, diese Position auch nur zur Kenntnis zu nehmen. 

Dabei untermauert eine Studie des European Council on Foreign Relations (ECFR), die bereits im Februar erschienen ist, die Thesen Schuttes. Die Positionen sowohl zum Ukraine-Krieg als auch zu Russland unterscheiden sich fundamental zwischen denen der Länder des Westens und denen des Globalen Südens. So stieß die Aussage, es ginge dem Westen in der Ukraine darum, seine Dominanz zu behaupten, bei den Bürgern der Türkei, Chinas und Russlands auf eine deutliche Mehrheit. Dort glaubt man auch, dass Russland gestärkt aus dem Konflikt hervorgehen wird. 

Während Russland von den Bürgern in westlichen Ländern überwiegend als Gegner oder Rivale eingestuft wird, glaubt eine Mehrheit der Befragten in China, der Türkei und Indien, dass es sich bei Russland um einen Kooperationspartner oder Verbündeten handelt. 

Angesichts dieser Ergebnisse wäre es wesentlich plausibler, anstelle einer Isolation Russlands eine deutliche Isolation des Westens zu registrieren.

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