Die georgische Regierungspartei Georgischer Traum hat den umstrittenen Gesetzentwurf über die Einführung eines Registers für "ausländische Agenten" nach zwei Nächten gewalttätiger Proteste am frühen Donnerstagmorgen zurückgezogen. Das teilte ein Sprecher der Partei am Morgen in der Hauptstadt Tiflis mit. Damit reagierte die Parteiführung auf die wachsende Protestbewegung in dem Land, die in der Nacht zum Donnerstag in Ausschreitungen gegipfelt war.
Entzündet hatte sich der Protest an einem umstrittenen Gesetzentwurf, der vorsah, dass alle Medien und Nichtregierungsorganisationen, die 20 Prozent ihrer Mittel aus dem Ausland erhalten, als "ausländische Agenten" eingestuft werden. Kritiker hatten bemängelt, der Entwurf ähnele ähnlichen Gesetzen, die in Russland angeblich zur Unterdrückung von Dissens und politischer Opposition eingesetzt werden.
Damit beziehen sie sich auf ein vom russischen Präsidenten Wladimir Putin 2012 unterzeichnetes Gesetz zur Verschärfung der Kontrollen für aus dem Ausland finanzierte Bürgerrechtsgruppen. Im Ausland war die Reform als Versuch gewertet worden, gegen Andersdenkende vorzugehen. Erst im vergangenen Juni hatte die russische Staatsduma ein weiteres Gesetz gebilligt, das drakonische Beschränkungen für Personen und Organisationen vorsieht, die "unter ausländischem Einfluss" stehen.
Vertreter des Georgischen Traums hatten erklärt, dass ein ähnliches Gesetz auch in Georgien notwendig sei, um die Transparenz der Finanzierung zu gewährleisten. Die Opposition hatte sich jedoch entschieden gegen das Gesetz ausgesprochen. Sie hatte insbesondere bemängelt, es sei "dasselbe wie das russische Gesetz, das Einzelpersonen und Gruppen, die der Regierung kritisch gegenüberstehen, als 'ausländische Agenten' bezeichnet". Aber auch die georgische Zivilgesellschaft, die Medien und Analysten kritisieren das Gesetz, da es "den Untergang der georgischen Demokratie bedroht".
Die Ankündigung des Georgischen Traums, die Pläne für das umstrittene Gesetz fallen zu lassen, erfolgte nur wenige Stunden, nachdem sich Zehntausende von Menschen vor dem georgischen Parlament zu einer Kundgebung versammelt hatten, bei der es zu Zusammenstößen mit der Polizei kam. Unter anderem setzten die Beamten Wasserwerfer und Tränengas ein, um die Menschenmengen zu zerstreuen. Allein am Parlament in Tiflis hatten sich am Mittwoch Beobachtern zufolge zwischen 10.000 und 15.000 Menschen versammelt.
Es seien mehr als am Dienstag gewesen, berichtete ein Reporter der Nachrichtenagentur dpa. Die Demonstranten schwenkten Flaggen der Ukraine und der Europäischen Union, der Georgien beizutreten hofft, und skandierten "Nein zu Russlands Gesetz". Bei den späteren Straßenschlachten drängte die Polizei die verbliebenen Demonstranten ab, diese wiederum warfen mit Steinen und Flaschen. Das georgische Innenministerium teilte am Mittwoch mit, dass über 70 Personen festgenommen worden seien.
Georgien befindet sich seit Langem in einem heiklen Spagat zwischen der proeuropäischen Einstellung seiner Bürger und den geopolitischen Zielen seines mächtigen Nachbarn Russland. Die kleine Ex-Sowjetrepublik steht seit Langem unter Druck des großen Nachbarn. Moskau unterstützt auch die abgespaltenen Gebiete Südossetien und Abchasien. Die derzeitige Führung des Georgischen Traums verfolgt einen eher russlandfreundlichen Kurs. In ihrer Mehrheit wollen die Georgier aber, dass ihr Land Mitglied in EU und NATO wird. Sie befürchten, dass diese Chance durch Gesetze wie das über "ausländische Agenten" zunichtegemacht wird.
Der Sprecher des US-Außenministeriums Ned Price bezeichnete den umstrittenen Gesetzentwurf am Mittwoch etwa als "vom Kreml inspiriert" und zeigte sich "tief beunruhigt". "Dass das Parlament diesen vom Kreml inspirierten Gesetzesentwurf vorantreibt, ist unvereinbar mit dem klaren Wunsch des georgischen Volkes nach europäischer Integration und demokratischer Entwicklung", so Price. In einer Erklärung der EU vom Dienstag war darüber hinaus davor gewarnt worden, dass das Gesetz "mit den Werten und Normen der EU unvereinbar" sei und "ernste Auswirkungen auf unsere Beziehungen" haben könnte.
Und auch die georgische Präsidentin Salome Surabischwili sagte, sie glaube, dass das Gesetz "sehr nach russischer Politik aussieht". "Es gibt keinen Grund für dieses Gesetz, es kommt aus dem Nichts. Niemand hat darum gebeten", erklärte Surabischwili am Mittwoch gegenüber Medien. Georgien hatte im März 2022 einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt. Obwohl dem Land der Kandidatenstatus nicht gewährt wurde, hat der Europäische Rat seine Bereitschaft bekundet, diesen Status zu gewähren, wenn Georgien bestimmte Reformen durchführt.
"Für Georgien gab es bestimmte Bedingungen, die sehr stark mit der demokratischen Legitimation für demokratische Reformen verbunden sind", sagte EU-Vizekommissar Maroš Šefčovič gegenüber CNN. Die Mitgliedsstaaten des Blocks hätten seitdem "sehr intensive Diskussionen" über die Kandidatur Georgiens geführt. "Dieses Gesetz ist mit den Werten und Normen der EU unvereinbar", mahnte auch Borrell in einer Erklärung. "Seine endgültige Verabschiedung kann ernsthafte Auswirkungen auf unsere Beziehungen haben."
Georgien hat sich im vergangenen März um die EU-Mitgliedschaft beworben, erhielt jedoch nicht den Kandidatenstatus und muss zunächst mehrere Reformen durchführen, darunter die Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz des Landes. Die Regierung steht auch unter Druck, den ehemaligen georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili, der seit mehr als einem Jahr in Tiflis inhaftiert ist und sich offenbar in einem schlechten Gesundheitszustand befindet, zur Behandlung freizulassen.
Mehr zum Thema – Polizei löst Anti-Regierungs-Protest in Georgien auf