Eine Analyse von Gevorg Mirzayan
US-Außenminister Antony Blinken wird China im Februar besuchen und voraussichtlich im März wird der chinesische Präsident Xi Jinping Russland besuchen. Die Amerikaner werden die Differenzen zwischen Moskau und Peking auszuspielen versuchen, über deren Ausmaß die Experten unterschiedlicher Meinung sind. Was möchte China wirklich: sein Bündnis mit Russland aufrechterhalten oder sich von der militärischen Spezialoperation distanzieren?
Derzeit ist China der mit Abstand wichtigste außenpolitische Partner Russlands. In den ersten 10 Monaten des Jahres 2022 wuchs der Handel zwischen den beiden Ländern um fast ein Drittel, und aus politischer Sicht steht Peking (zumindest formell) hinter Moskau in seinem Konflikt mit dem Westen.
Genau so werden die Beziehungen zwischen den beiden Ländern in den russischen Medien dargestellt. Im westlichen Informationsraum gibt es hingegen unterschiedliche Ansichten zu diesem Thema.
Die einen Experten stimmen mit der russischen Sichtweise überein. "Das chinesisch-russische Abkommen stellt nicht eine einfache ideologische Sympathie zwischen den beiden revisionistischen Autokratien dar, wie es im Westen oft gesehen wird. Vielmehr handelt es sich um ein pragmatisches, zum Teil geschäftliches Bündnis", ist der renommierte amerikanische Politikwissenschaftler Robert Manning überzeugt.
Doch es gibt noch eine andere Sichtweise. "Nach 2022 kam der eigentliche Charakter der russisch-chinesischen Zusammenarbeit zum Vorschein. Es ist keineswegs eine Achse von Autokraten, sondern eine einseitige Partnerschaft, deren Bedingungen von ihrem wichtigsten Mitglied Xi Jinping bestimmt werden, in erster Linie im Interesse Chinas selbst", so The Atlantic.
Schließlich dann die dritte Gruppe, die den Wunsch Chinas nach Ausgeglichenheit betont: "[...] bleibt seinem langjährigen und engen Partner Russland gegenüber loyal, versucht aber, die europäischen Länder nicht abzuschrecken", schreibt Asia Times.
Eine Reihe westlicher Medien unternimmt den Versuch, allen (sowohl ihren Zuschauern als auch indirekt den Russen) zu vermitteln, dass die Ziele Moskaus und Pekings divergieren. Russland sei, am besten mit den Worten der Rand Corporation ausgedrückt, keine den Vereinigten Staaten ebenbürtige Macht, sondern "ein gut bewaffneter Schurkenstaat, der danach strebt, die internationale Ordnung zu untergraben, in der es seine Vorherrschaft nicht vorzustellen vermag". Derweil sei China unter diesen Umständen ein ebenbürtiger Konkurrent, "der solch eine internationale Ordnung zu gestalten wünscht, in der er zur Vorherrschaft streben kann".
In diesem Weltbild ist der Genosse Xi mit dem Vorgehen Moskaus unzufrieden und zwinge die russische Seite fast zur Einstellung der Kampfhandlungen. Allerdings stimmt dies nicht so ganz.
In der Tat, formell rufen die Chinesen zum Frieden auf. Zur gleichen Zeit, Ende Oktober 2022, erklärte der damalige chinesische Außenminister Wang Yi, dass Peking die russische Seite, angeführt von Präsident Putin, nachdrücklich dabei unterstützen werde, das russische Volk zu vereinen, um Schwierigkeiten und Hindernisse zu überwinden, das strategische Ziel der Entwicklung zu verwirklichen und den Status Russlands als Großmacht weiter zu stärken.
Es sei daran erinnert, dass nach den Worten Wladimir Putins der Westen versucht, "das historische Russland auseinanderzureißen", während Moskau daran arbeitet, "das russische Volk zu einen". Das bedeutet, wie einige Experten die Worte des Präsidenten interpretieren, die Wiedervereinigung der russischen Gebiete, die vorübergehend unter ukrainischer Kontrolle standen. Stellt sich heraus, dass China diese Pläne des Kremls unterstützt?
Zum Teil schon, denn die chinesische Führung ist im Grunde genommen mit dem gleichen Ziel beschäftigt – der Vereinigung des chinesischen Volkes. Die Rückführung Taiwans unter die Kontrolle Pekings ist eines der Hauptziele der Volksrepublik China, deshalb betrachten die Chinesen die russische Spezialoperation in erster Linie durch dieses Prisma. Die Frage ist, ob diese der Erreichung des Ziels dienlich ist – oder, umgekehrt, ob sie China bei der Erreichung des Ziels eher schadet.
Es gibt zwei Standpunkte zu diesem Thema. Einem Standpunkt zufolge sind die Maßnahmen Russlands eher hinderlich.
Nach dem Beginn der militärischen Spezialoperation haben Washington und Taipeh Parallelen zu Taiwan gezogen, sodass sich die Inselregierung ernsthaft um ihre Sicherheit sorgte, woraufhin die Vereinigten Staaten nicht nur damit begonnen hatten, ihre Beziehungen zu Taiwan zu intensivieren, sondern auch die anderen Verbündeten in die Pflicht zu nehmen, die Insel im Falle eines Krieges zu verteidigen – insbesondere Japan.
Zusätzlich haben die USA damit begonnen, den Faktor Taiwan verstärkt als Druckmittel gegen China einzusetzen. Die gefährlichste Provokation war der kürzliche Besuch der damaligen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, auf der Insel.
Und einer anderen Sichtweise zufolge sind alle diese Punkte taktischer Natur. In strategischer Hinsicht wird das Vorgehen Moskaus China helfen, Taiwan zurückzugewinnen, allerdings nur in dem Fall, dass Russland den Konflikt in der Ukraine entscheidet. Der Sieg Moskaus über einen De-facto-Block westlicher Länder wird die Grenzen der amerikanischen Macht aufzeigen und der Führung Taiwans den Gedanken vermitteln, dass, wenn es Moskau gelungen war, sein Land zurückzuholen, Peking dies auch kann.
Es ist daher notwendig, mit Genosse Xi freundschaftlich zu verhandeln, bevor die chinesische Führung beschließt, dass die Optionen für "freundschaftliche Verhandlungen" erschöpft seien und das wiederholt, was die russische Führung im Februar 2022 getan hat.
Unter anderem deshalb benötigen die Vereinigten Staaten eine Niederlage Russlands. Und sie werden weiterhin versuchen, Russland zu schwächen, indem sie der russisch-chinesischen Zusammenarbeit ins Handwerk pfuschen.
Außenminister Antony Blinken wird am 5. und 6. Februar in China zu Gast sein und Gespräche mit seinem chinesischen Amtskollegen Qin Gang führen, der noch vor kurzem Chinas Botschafter in den Vereinigten Staaten war. Die westlichen Medien sind zuversichtlich, Blinken werde von der chinesischen Seite verlangen, ihre Unterstützung für Russland zu reduzieren (einschließlich der informellen Kanäle).
Einige Experten empfehlen dem Außenminister, sich nicht auf Drohungen zu fokussieren, sondern zu versuchen, die "russisch-chinesischen Verwerfungslinien" zu nutzen, d. h. die Punkte, in denen sich die Ansätze Moskaus und Pekings voneinander unterscheiden. Insgesamt wird sich der Außenminister bemühen, seinem chinesischen Amtskollegen zu vermitteln, dass der amerikanisch-chinesische Konflikt umso schwächer ausfallen wird, je weniger Unterstützung Russland erfährt.
Für China ist das ein Argument. Peking fürchtet in der Tat einen Konflikt mit den Vereinigten Staaten. "Die verbale Unterstützung Chinas gegenüber Russland ist eindeutig, allerdings ist diese Unterstützung militärisch und wirtschaftlich viel schwächer", ist Charles Dunst, Wissenschaftler am US Center for Strategic and International Studies, überzeugt.
Die Vereinigten Staaten warnen regelmäßig, dass die militärische und wirtschaftliche Unterstützung Russlands zu Sanktionen der USA führen wird. Und China, "dessen Wirtschaft sich in einer heiklen Lage befindet, versucht, diese Situation zu vermeiden", betont er.
Die Chinesen begründen ihre Befürchtungen damit, dass die Zeit auf ihrer Seite ist. Es ist ihnen bewusst, dass ein Konflikt mit den USA unvermeidlich ist, doch sie zögern den Moment der direkten Konfrontation hinaus, um den amerikanischen Markt optimal auszuschöpfen und ihre wirtschaftliche und politische Position zu stärken, unter anderem dank der Krise in der Ukraine.
Die Feststellung von Asia Times zeigt, dass sich Peking in diesem Zusammenhang als eine Insel der Stabilität inmitten einer unruhigen See positioniert.
Auf der anderen Seite blufft Blinken ein wenig. Die Amerikaner sind im Moment auch nicht auf eine direkte Konfrontation mit Peking angewiesen. Auch sie betrachten einen Zusammenstoß als unvermeidlich – und versuchen, diesen zu vertagen. Die Vereinigten Staaten wollen nicht an zwei Fronten kämpfen und planen, zunächst die Ukraine-Krise zu lösen, bevor sie sich vollumfänglich mit China befassen.
Dieser Aspekt sowie die katastrophalen Folgen einer möglichen russischen Niederlage in der Ukraine für die Volksrepublik China, machen die Pläne des Westens hinsichtlich einer Spaltung von Moskau und Peking unausführbar. Xi Jinping wird Russland im März besuchen, und danach dürften die russisch-chinesischen Beziehungen eine weitere Aufwertung erfahren.
Übersetzt aus dem Russischen.
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