Pepe Escobar: 2023 – Willkommen beim Neuen Großen Spiel!

Das Jahr 2023 beginnt mit der kollektiven NATO im Ausflipp-Modus, nachdem der russische Verteidigungsminister Schoigu ankündigt hat, dass sich die Fregatte "Admiral Gorschkow" der russischen Marine auf Tournee begeben hat – komplett ausgestattet mit einem Satz Visitenkarten von Herrn Zirkon, von Beruf Hyperschallrakete. 

Von Pepe Escobar

Die Geschäftsreise der "Admiral Gorschkow" – Namenspatron einer ganzen Klasse neuer Mehrzweck-Kampfschiffe der russischen Seekriegsflotte mit Stealth-Eigenschaften für Schiffs-, U-Boot- und Flugabwehr – führt über den Atlantik, den Indischen Ozean und natürlich auch durch das Mittelmeer, das ehemalige Mare Nostrum (lateinisch für "unser Meer") des Römischen Reiches. Herr Zirkon auf Kreuzfahrt hat absolut nichts mit dem Krieg in der Ukraine zu tun. Es ist bloß ein Hinweis darauf, was als nächstes passieren könnte, wenn es darum gehen sollte, noch etwas Größeres frühstücken zu müssen als bloß einen Haufen Psychos in Kiew.

Das Jahr 2022 wurde mit der Ukraine als Frühstück begonnen, die auf einem übergroßen Teller serviert und nun fast vollständig verdaut wurde. Moskau hat damit den USA schmerzlich deutlich gemacht, dass man überhaupt keinen Grund mehr sieht, einer "nicht einigungsfähigen" untergehenden Supermacht zu vertrauen. So haben mittlerweile sogar Taxifahrer in Bangladesch Wetten am Laufen, wann die viel diskutierte "Winteroffensive" beginnt und wie weit sie gehen wird. Der Weg von General Armageddon in die Zukunft ist klar: Das ist die totale Entmilitarisierung und De-Elektrifizierung der Ukraine, mit dem kompletten Zermalmen der ukrainischen Streitkräfte im Donbass, zu den geringstmöglichen Kosten für die eigenen Kräfte, bis die Psychos in Kiew um Gnade winseln – oder auch nicht.

Ein weiteres großes Frühstück, das im Jahr 2022 serviert wurde, waren die späten Geständnisse zu den Hintergedanken bei den Minsker Abkommen von 2014/2015. Die Kellnerin war keine Geringere als die Altbundeskanzlerin Angela Merkel ("Versuch, Zeit für die Ukraine zu gewinnen"). Als Beilage kam ein nicht wirklich mehr rauchender Colt: Die Strategie der für die US-Außenpolitik verantwortlichen Neocons und Neoliberalen war von Anfang an, einen ewigen Stellvertreterkrieg gegen Russland zu entfesseln. Merkel hatte vielleicht etwas im Hinterkopf, als sie den Russen jetzt ins Gesicht sagte, dass sie – wie der Krypto-Mafioso Mike Pompeo – erst gemogelt und dann jahrelang immer und immer wieder gelogen hat. Das ist nicht peinlich für Moskau, wohl aber für Berlin, nämlich eine weitere anschauliche Demonstration der totalen Unterwerfung gegenüber den USA.

Die Antwort von Maria Sacharowa vom russischen Außenministerium war ebenfalls faszinierend: Merkels Geständnis könnte als konkreter Grund – und als Beweis – für ein Tribunal verwendet werden, bei dem westliche Politiker angeklagt werden, die für die Provokation eines Stellvertreterkriegs zwischen Russland und der Ukraine verantwortlich sind. Offensichtlich wird es niemand aktenkundig bestätigen, aber all dies könnte Teil einer sich entwickelnden, geheimen Absprache zwischen Russland und Deutschland sein, die dazu führen wird, dass Deutschland zumindest einen Teil seiner Souveränität wiedererlangt.

Zeit, die NATO zu frühstücken

Währenddessen erweiterte der Stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, der seine Reinkarnation bis zur völligen Hemmungslosigkeit sichtlich genießt, das Angebot im Frühstücksbuffet. "Letzte Warnung an alle Nationen", wie er es formulierte, sei: "Mit der angelsächsischen Welt kann es keine Einigung geben, weil sie Diebe, Betrüger und Falschspieler sind, denen alles zuzutrauen ist. Von nun an werden wir auf sie verzichten, bis dort eine neue Generation vernünftiger Politiker an die Macht gekommen ist. Es gibt niemanden im Westen, mit dem wir uns aus irgendeinem Grund über irgendetwas verständigen könnten."

An der Kriegsfront wird der frische und offensive Brötchenkorb von General Armageddon in den nächsten Monaten zu einer unbestreitbaren Tatsache vor Ort führen: Die Teilung zwischen einem dysfunktionalen Schwarzen Loch namens Restukraine im Westen und Noworossija im Osten. Selbst der IWF zögert jetzt, noch zusätzliche Mittel in das Schwarze Loch zu werfen. Kiews Haushalt für 2023 weist ein – irreal anmutendes – Defizit von 36 Milliarden US-Dollar auf. Und die Hälfte dieses Haushalts ist militärischen Zwecken gewidmet. Das reale Defizit im Jahr 2022 belief sich auf etwa fünf Milliarden US-Dollar – allerdings pro Monat – und wird unweigerlich weiter ansteigen.

Timofei Milowanow, Professor an der Kiewer Hochschule für Wirtschaft, wartete dazu mit einem Schluchzer auf: Der IWF mache sich Sorgen um die "Kreditwürdigkeit" der Ukraine – und er fügte hinzu: "Wenn sogar der IWF besorgt ist, stellen Sie sich vor, was private Investoren denken." Es wird keine "Investitionen" in die Rumpfukraine geben. Multinationale Geier werden das Land – und was auch immer für mickrige produktive Vermögenswerte noch übrig bleiben mögen – für quasi umsonst an sich reißen.

Das wohl größte Brötchen, das 2023 gebacken wird, ist die Demontage des Mythos der mächtigen NATO. Jeder ernsthafte Militäranalytiker, darunter nicht wenige US-amerikanische, weiß, dass die russische Armee und der militärisch-industrielle Komplex heute ein System darstellen, das dem der totgerüsteten UdSSR und dem der USA und dem Rest der heutigen NATO weit überlegen ist. Der letzte Schlag gegen ein mögliches Bündnis zwischen Deutschland EU, Russland und China – der wirkliche Grund hinter dem US-Stellvertreterkrieg in der Ukraine – verläuft nicht gemäß den feuchten Träumen der Planer im Westen.

Saddam Hussein, ein ehemaliger imperialer Vasall, wurde beseitigt, weil er den Petro-Dollar umgehen wollte. Jetzt haben wir den unvermeidlichen Aufstieg des Petro-Yuan – "in drei bis fünf Jahren", wie Xi Jinping in Riad (!) ankündigte. Das kann man nicht einfach mit Bomben auf Peking verhindern. Im Jahr 2008 begann Russland mit einem massiven Wiederaufbau seiner Raketenstreitkräfte und einem 14-Jahres-Plan zur Modernisierung der landgestützten Streitkräfte. Herr Zirkon, der seine Hyperschall-Visitenkarte quer über das Mare Nostrum verteilt, ist nur ein kleiner Teil dieses großen Ganzen.

Der Mythos der US-Übermacht

Die CIA musste Afghanistan in einem demütigenden Rückzug verlassen – und dabei sogar die Heroin-Schmuggelrouten aufgeben –, nur um in die Ukraine weiterzuziehen, um dort erneut die gleiche alte verstimmte Leier zu spielen. Die CIA steckt hinter den anhaltenden Sabotagen der russischen Infrastruktur – gemeinsam mit dem MI6 und anderen Geheimdiensten – und früher oder später wird es einen Gegenschlag geben.

Nur wenige Menschen – einschließlich der CIA-Agenten – wissen vielleicht, dass New York City beispielsweise mit einer einzigen Handlung lahmgelegt werden kann: Mit der Sprengung der George-Washington-Brücke. Ohne diese Brücke kann die Stadt nicht mit Lebensmitteln und den Bedarfsartikeln versorgt werden. Man kann das Stromnetz von New York City zerstören, indem die zentralen Steuerungen ausgeschaltet werden. Der Wiederaufbau könnte mehr als ein Jahr dauern.

Obwohl vom dichten Pulverdampf des Krieges durchzogen, ist die aktuelle Situation in der Ukraine immer noch ein bloßes Scharmützel. Der eigentliche Krieg hat noch nicht einmal begonnen. Er könnte aber bald beginnen. Außer den ukrainischen Streitkräften und Söldnern aus Polen, sind noch keine nennenswerten NATO-Truppen dort involviert. Deutschland hat noch einen lächerlichen Vorrat an Munition für gerade einmal zwei Tage, während die Türkei keinen einzigen Soldaten schicken wird, um in der Ukraine gegen Russen zu kämpfen.

Von den 80.000 in Europa stationierten US-Truppen sind nur 10 Prozent bewaffnet. Kürzlich kamen 20.000 hinzu, keine große Sache. Wenn die US-Amerikaner ihre Truppen in Europa aktivieren würden – was an sich ziemlich lächerlich wäre – fänden sie keinen Ort, um Nachschub oder Verstärkung anzulanden. Alle Flug- und Seehäfen würden innerhalb von Minuten durch russische Hyperschallraketen zerstört – in Kontinentaleuropa ebenso wie in Großbritannien.

Gleichzeitig würden alle großen Treibstofflager für Öl und Erdgas zerstört werden, sowie alle militärischen Einrichtungen, einschließlich der wichtigsten Stützpunkte der US Air Force in Europa (USAFE): Grafenwöhr, Hohenfels, Ramstein, Baumholder, Vilseck, Spangdahlem und Wiesbaden in Deutschland; die Aviano Air Base in Italien; der Stützpunkt Lajes auf den Azoren; die Marinebasis Rota in Spanien; Incirlik Air Base in der Türkei und die Standorte der Royal Air Force Lakenheath und Mildenhall in Großbritannien. Alle Kampfjets und Bomber würden zerstört – nach der Landung oder während der Landung. Es gäbe keinen Landeplatz mehr außer Autobahnen, wo sie zum Abschuss freigegeben festsitzen. Patriot-Raketen wären wertlos – wie man in Saudi-Arabien gesehen hat, als man versuchte, aus dem Jemen einfliegende Raketen der Huthi auszuschalten. Israels "Iron Dome" kann nicht einmal die selbstgebauten, primitiven Raketen aus dem Gazastreifen ausschalten.

Die militärische Übermacht der USA ist der größte Mythos im Brötchen-Sortiment. Im Wesentlichen versteckt man sich hinter Stellvertretern wie den ukrainischen Streitkräften. Die US-Streitkräfte sind wertlos, außer bei einem lustigen Tontaubenschießen wie im Irak 1991 und 2003 gegen einen unfähigen Gegner ohne Luftverteidigung, inmitten einer Wüste. Und man darf nie vergessen, wie die NATO erst jüngst von den Taliban völlig gedemütigt wurde.

Die letzte Sollbruchstelle

Im Jahr 2022 endete eine Ära: Der endgültige Zusammenbruch der "regelbasierten internationalen Ordnung", die nach dem Zerfall der UdSSR errichtet wurde. Das Imperium betrat den Pfad der Verzweiflung und warf alles bis auf die Küchenspüle ins Endspiel – einen Stellvertreterkrieg in der Ukraine, AUKUS und die Taiwan-Hysterie – nur um damit jenes System zu demontieren, das man selbst vor langer Zeit geschaffen hatte – im Jahr 1991.

Selbst der Rückbau der Globalisierung wird jetzt vom Imperium angestrebt. Das reicht von der Kaperung des Marktanteils EU bei den Energieexporten Russlands, damit die glücklosen europäischen Vasallen ultrateure US-Energieträger kaufen müssen, bis hin zur Zerschlagung der gesamten weltweiten Halbleiter-Lieferketten, um China zu "isolieren". Der Krieg zwischen der NATO und Russland in der Ukraine ist nur ein Rädchen im Getriebe dieses "Neuen Großen Spiels". Für den globalen Süden kommt es jetzt darauf an, die Integrationsprozesse zu koordinieren, von der Belt & Road Initiative (der Neuen Seidenstraßen-Initiative Chinas) bis hin zur Erweiterung der Mitgliederzahl bei BRICS+, über die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), den Internationalen Nord-Süd Transportkorridor (INSTC), die OPEC+ bis zur Eurasischen Wirtschaftsunion.

Wir sind zurückgekehrt in eine Welt, wie sie vor 1914 oder vor 1939 aussah, allerdings mit einem etwas anderen Vorzeichen: China, Russland, Indien, Iran, Indonesien und andere – es gibt eine Vielzahl von Nationen, die darum kämpfen, zwar ihren Einfluss auszudehnen, aber sie alle setzen auf Multipolarität – oder "friedliche Modernisierung", wie Xi Jinping es nannte – und nicht auf "ewigen Krieg".

Also: Tschüss 1991 bis 2022. Die harte Arbeit beginnt jetzt. Willkommen beim Neuen Großen Spiel.

Übersetzt aus dem Englischen. Zuerst erschienen bei Strategic Culture.

Pepe Escobar ist ein unabhängiger geopolitischer Analyst und Autor. Sein neuestes Buch heißt "Raging Twenties" (Die wütenden Zwanziger). Er wurde von Facebook und Twitter aus politischen Gründen verbannt aber man kann ihm auf Telegram folgen.

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