Macron, Blinken, Orbán – Spielräume für Verhandlungen im Ukraine-Konflikt

Der Konflikt in der Ukraine fördert die Sollbruchstellen des Westens zutage. Die Kosten und Lasten sind zwischen den Bündnispartnern ungleich verteilt. Die militärische Unterstützung kommt an eine Grenze. Der Preis für ein Weiter-so wird immer höher. Es zeichnet sich der Weg zu Verhandlungen ab.

In einem Interview mit dem Fernsehsender CBS thematisierte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die unterschiedliche Situation der EU und der USA im Hinblick auf den Konflikt in der Ukraine und die Sanktionsantwort des Westens darauf. 

Macron stellt fest, dass die wirtschaftlichen Lasten ungleich verteilt seien. Die Energiekosten liegen für die von Energieimporten abhängige EU wesentlich höher als in den USA, die Energie exportieren. Steigende Energiepreise treiben die Inflation daher in der EU wesentlich stärker als in den USA. Dort lag die Inflation im Oktober bei 7,7 Prozent, in der EU dagegen bei 11,5 Prozent.

Gleichzeitig haben die USA mit dem Inflation Reduction Act ein massives Subventionsprogramm aufgelegt, das die Industrieproduktion in den USA begünstigt und Importe aus der EU benachteiligt. Anlässlich des von Deutschland aufgelegten Subventionsprogramms in Höhe von 200 Milliarden Euro kam es bereits zwischen Frankreich und Deutschland zu Verwerfungen. Die protektionistischen Maßnahmen einzelner Länder drohen jetzt zum Zankapfel und Spaltpilz im westlichen Bündnis zu werden.

Hinsichtlich der USA lässt es Macron bei diesem einen wirtschaftlichen Aspekt bewenden, könnte für die ungleiche Lastenverteilung aber noch andere Beispiele anführen. Eines davon ist, dass die Industrien der EU in Russland wesentlich stärker investiert waren als die der USA. Sie trifft der durch die Sanktionen verordnete Rückzug wesentlich härter, zumal der Rückzug US-amerikanischer Marken aus dem Russland-Geschäft weitgehend eine Täuschung ist. US-Marken sind nach wie vor in Russland präsent, während sich zahlreiche Marken aus der EU auf politischen Druck tatsächlich zurückgezogen haben. 

Zudem profitieren die USA von der Umverteilung des globalen Energiemarktes. Vor allem in der EU wurde faktisch der wichtigste Konkurrent der USA ausgeschaltet.  

Auch Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán schließt sich der Kritik an. Die Sanktionen müssen auf den Prüfstand, fordert er in einem Tweet. Orbán steht mit seiner Kritik in der EU nicht mehr allein da. Absehbar werden sich weitere Länder anschließen, denn die zunehmenden Proteste in zahlreichen Ländern der EU angesichts der hohen Inflation und der steigenden Lebenshaltungskosten bringen die Regierungen unter Druck.  

Aber auch in den USA wackelt die Unterstützung für die Ukraine. In einem Interview mit dem Wall Street Journal sagte US-Außenminister Antony Blinken, der Konflikt müsse letztlich am Verhandlungstisch gelöst werden. Einerseits versichert er der Ukraine die Unterstützung der USA und der westlichen Verbündeten, teilte aber gleichzeitig mit, die Reichweite der von den USA an die Ukraine gelieferten Mehrfachraketenwerfer HIMARS sei eingeschränkt worden. Vor dem Eskalationspotenzial ukrainischer Amokläufe fürchtet man sich allem Anschein auch in den USA.

Zuletzt ging man in Washington zur ukrainischen Behauptung, Russland habe eine Rakete auf Polen abgefeuert, ganz deutlich auf Distanz und widersprach dem ukrainischen Präsidenten offen. Zudem besteht Blinken zwar darauf, Russland müsse sich auf die Grenzen vor dem 24. Februar zurückziehen, macht damit aber deutlich, dass die Krim-Frage für die USA gelöst ist. Die Krim ist Teil Russlands. Man wird das in Kiew nicht gerne gehört haben.

Insgesamt senden die USA immer deutlichere Signale an die Ukraine, dass die materielle Unterstützung an ein Ende kommt und lediglich die verbale noch etwas aufrechterhalten wird, um einen gesichtswahrenden Rückzug möglich zu machen. Es stehen Verhandlungen an, machen all die aus Washington kommenden Signale deutlich. Die Ukraine hat man vollständig in der Hand. Sollte sich die Regierung in Kiew den US-amerikanischen Vorstellungen nicht fügen, können die USA den Krieg durch Einstellen der Waffenlieferungen und Zahlungen sofort beenden. Washington beteuert zwar, es liege ausschließlich an Kiew zu entscheiden, wann und unter welchen Bedingungen der Zeitpunkt für Verhandlungen gekommen sei, aber es ist offensichtlich, dass Kiew faktisch über gar nichts entscheidet.  

Flankiert wird der Schwenk in der westlichen Kommunikation von Berichten darüber, dass die Waffen- und Munitionsvorräte der NATO-Staaten weitgehend erschöpft seien. Die Waffenlieferungen werden für die NATO-Staaten zu einem Sicherheitsrisiko, da sie inzwischen die eigene militärische Handlungsfähigkeit einschränken. Der Verbrauch an Waffen und Munition in der Ukraine sei enorm, heißt es. Ein Tag in der Ukraine entspreche dem Verbrauch von mindestens einem Monat in Afghanistan, sagte Camille Grand, Experte am European Council on Foreign Relations, der bis vor Kurzem noch für die NATO gearbeitet hat, der New York Times.

Demgegenüber steht Russland, das trotz aller westlicher Unterstützung der Ukraine und trotz all der Sanktionen, mit denen man den Kriegsverlauf meinte beeinflussen zu können, jederzeit jeden Punkt der Ukraine mit seinen Waffen erreichen kann, ohne dass das Militär der Ukraine dem viel entgegenzusetzen hätte. Die Zerstörung der ukrainischen Energieinfrastruktur läuft ungebremst, die Ukraine ist ebenso wie der kollektive Westen gezwungen, dem mehr oder weniger tatenlos zuschauen zu müssen.

Es hat daher den Anschein, als käme der Krieg in der Ukraine an sein Ende und als würde der Westen ihn verlieren. Militärisch zeigt er die Grenzen der Leistungsfähigkeit des NATO-Bündnisses auf. Die Fliehkräfte innerhalb der westlichen Allianz nehmen durch die ökonomischen Rückwirkungen der Sanktionen zu und drohen sie zu zerreißen. Besteht Washington weiterhin auf seinem protektionistischen Kurs und bürdet die Lasten des Krieges vor allem den Staaten der EU auf, werden immer mehr Länder den Kriegskurs der EU-Kommission infrage stellen. Auf der anderen Seite schweißt der Konflikt die Länder des Südens immer weiter zusammen. Sie bilden eine machtvolle Koalition, die das westliche Sanktionsregime bricht. 

Macrons Forderung nach Sicherheitsgarantien für Russland ist daher folgerichtig. Sie ergibt sich aus dem Ablauf der Ereignisse. Die westliche Koalition wird sich dieser Frage stellen müssen, denn dass die russische Forderung nach Sicherheitsgarantien bis Februar unbeantwortet blieb, war der Grund für den Einmarsch Russlands. Hätte man sie zu Beginn des Jahres in einer für Russland befriedigenden Weise geklärt, wäre der Konflikt nie eskaliert. Russland hat damit gezeigt, wer letztlich in Europa die Regeln bestimmt. Die EU ist es nicht, und die USA sind es nicht mehr. 

Doch während in weiten Teilen des westlichen Bündnisses angesichts der Lage der Fakten nach und nach Vernunft einkehrt, bleibt Deutschland seiner doch recht eigenwilligen Deutung des Konfliktverlaufs treu. Nahezu geschlossen auf Kriegskurs bleiben vor allem die deutschen Medien. Der Tagesspiegel beispielsweise lässt seine Leser unter Bezugnahme auf den außenpolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion wissen, Macron habe die Narrative des Kreml übernommen. 

Es scheint sich aber im Gegenteil immer deutlicher abzuzeichnen, dass sich das deutsche Narrativ von einem "brutalen Angriffskrieg Russlands" nicht nur außerhalb des Westens, sondern inzwischen auch innerhalb des westlichen Bündnisses nicht mehr lange wird aufrechterhalten können. Es entspricht nicht der Realität und ist daher als Basis für die Lösung des Konflikts ungeeignet. Eine Lösung braucht es inzwischen aber, denn der Westen hat sein Potenzial verspielt. Deutschland wird sich von seiner antirussischen Propaganda verabschieden müssen. Für manche Hardliner in den deutschen Redaktionsstuben stehen daher harte Tage der Prüfung bevor. 

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