Eine Analyse von Rainer Rupp
Auf seiner Suche nach neuen Wirtschaftsbeziehungen scheint Moskau unter anderem zwei starke Partner auf der Arabischen Halbinsel gefunden zu haben: Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), die sich nicht länger vom Westen dominieren lassen wollen. Sie haben die Zeichen der Zeit, nämlich den sich beschleunigenden Niedergang des Westens, erkannt und sind dabei, sich in Richtung Russland und China neu zu orientieren.
Innerhalb weniger Tage haben zwei arabische Potentaten - Scheich Mohamed bin Zayed Al Nahyan (MbZ) aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und der saudische Kronprinz und Premierminister Mohammed bin Salman Al Saud (MbS) - der US-Supermacht in Sachen Geopolitik und Energie eine peinliche strategische Niederlage zugefügt. Zugleich hat der Westen ungläubig zugesehen und am Ende verstanden, "dass die Sonne über dem amerikanischen Jahrhundert in der internationalen Politik untergegangen ist". Das zumindest ist die Reaktion des international angesehenen geo-strategischen Kommentators, seiner Exzellenz, Ex-Botschafter Indiens, M. K. Bhadrakumar, auf die jüngsten Ereignisse rund um die Öl- und Energiemärkte. Anlass dafür war die Entscheidung von OPEC plus, durch Produktionskürzungen um bis zu zwei Millionen Barrel/Tag das Preisniveau von Rohöl auf den Weltmärkten bei etwa 100 Dollar/Barrel zu stabilisieren.
Bhadrakumar hat in drei Jahrzehnten seiner diplomatischen Karriere Erfahrungen in der Sowjetunion, Pakistan, Iran Südkorea, Sri Lanka und Afghanistan gesammelt, aber auch im Westen, nämlich in Deutschland und der Türkei. Wenn er jetzt schreibt, dass "Putin an der Schwelle zu einem historischen Sieg über die vereinte Macht der NATO steht, der bereits die Konturen einer neuen Weltordnung abzeichnet", dann ist das sicher nicht einfach so dahingesagt. Auch macht Bhadrakumar keinen Hehl daraus, dass er in den neuen, engen und partnerschaftlichen Beziehungen zwischen Russland, den VAE und Saudi-Arabien "einen wichtigen Faktor für die regionale und allgemeine globale Stabilität" sieht.
Von der westlichen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt hatte sich diese tektonische Verschiebung der geo-politischen Platte im Mittleren Osten weg von Washington in Richtung Moskau seit mehreren Jahren angebahnt. Einen ersten deutlichen Hinweis gab es bei der Eröffnungssitzung des G20-Gipfels in Buenos Aires am 30. November 2018, als der saudische Kronprinz MbS den russischen Präsidenten lachend mit einem High-Five begrüßte, der dann in einem herzlichen Händedruck endete. Eine US-Zeitung kommentierte das Bild mit den besorgten Worten: "Es ist wie ein Autoalarm, der in einer (stillen) Bibliothek dröhnt."
Fast vier Jahre später, in der vergangenen Woche, hat Saudi-Arabien die zunehmenden Drohungen und Verleumdungen der politischen Eliten der USA wegen der Senkung der OPEC-Ölproduktion um zwei Millionen Barrel/Tag höflich, aber entschieden zurückgewiesen.
Die wütenden Behauptungen aus Washington, die OPEC-Entscheidung sei auf saudische Initiative erfolgt und politisch gegen die USA motiviert, um – was noch schlimmer ist – Russland zu helfen, insbesondere aber die Unterstellung, dass sich Saudi-Arabien im Zusammenhang mit der Ukraine-Situation mit Russland "ausrichte", hat ein hoher saudischer Regierungsbeamter letzten Donnerstag als vollkommen unbegründet bezeichnet. Zugleich hat der saudische Beamte drei inhaltliche Punkte unterstrichen:
- Die OPEC plus-Entscheidung stellt die einstimmige Meinung der Mitgliedsstaaten dar, und es ist absurd, sie Saudi-Arabien zuzuschreiben.
- Hinter der Entscheidung stehen rein wirtschaftliche Überlegungen, die den Erfordernissen der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts von Angebot und Nachfrage auf dem Ölmarkt und der Begrenzung der Volatilität Rechnung tragen.
- Saudi-Arabien hat in der Ukraine-Frage eine prinzipientreue Haltung eingenommen, wie seine Stimmen für zwei UN-Resolutionen bezeugen.
Zugleich hat die saudische Erklärung "jedes Diktat, jede Handlung oder jeden Versuch, Saudi-Arabiens edle Ziele zum Schutz der Weltwirtschaft vor der Volatilität des Ölmarktes zu verzerren, entschieden abgelehnt". Das ist eine deutliche Warnung an Washington, dass alle anti-saudischen Schritte auf Widerstand stoßen und Auswirkungen haben werden.
Die Ähnlichkeit der saudischen Erklärung mit der, die Präsident Putin gegenüber MdZ aus den Vereinigten Arabischen Emiraten anlässlich dessen Besuches in Sankt Petersburg am Dienstag letzter Woche gemacht hat, ist frappierend. Scheich Mohamed bin Zayed hatte trotz der aufziehenden Stürme in der Ukraine und des geifernden Chors der Verurteilungen Moskaus, der aus den westlichen Hauptstädten ertönte, diese Reise zu Putin unternommen, was nicht gerade ein Beleg für die vom Westen behauptete "internationale Isolierung Russlands" ist. Dem Wortlaut der Veröffentlichung auf der Webseite des russischen Präsidialamtes zufolge hat Putin zu Scheich Mohamed bin Zayed aus den VAE gesagt:
"Ich weiß, dass Sie besorgt sind über die gesamte Situation, die sich entwickelt hat, und ich weiß um Ihren Wunsch, einen Beitrag zur Lösung aller strittigen Fragen zu leisten, einschließlich der anhaltenden Krise in der Ukraine. Ich möchte darauf hinweisen, dass dieser wesentliche Faktor es in der Tat ermöglicht, Ihren Einfluss zu nutzen, um zur schrittweisen Lösung der Situation beizutragen."
Die Worte waren sorgfältig ausgewählt. Putin wies auf den Wunsch der Vereinigten Arabischen Emirate hin, "zur schrittweisen Lösung der Situation" in der Ukraine beizutragen, und betonte mit dem Wort "schrittweise", dass eine Lösung in naher Zukunft nicht in Sicht sei. Der Kern von Putins Äußerungen war jedoch etwas anderes. Es ging um OPEC plus, in dessen Formation Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Russland praktisch in gemeinsamer Führung durch die globalen Energiemärkte navigieren.
Putin signalisierte, dass Moskau die OPEC plus-Entscheidung nicht in Nullsummenbegriffen betrachtet, wo der Gewinn des einen den Verlust des anderen bedeutet. Vielmehr gehe es laut Putin darum, die globalen Energiemärkte zu stabilisieren, damit sich Verbraucher und Lieferanten ruhig, stabil und zuversichtlich fühlen, und damit Angebot und Nachfrage ausgeglichen werden.
Der indische Ex-Botschafter Bhadrakumar sieht in dieser höflichen Erklärung Putins zugleich eine "knallharte Botschaft an die G7 eingebettet". Und die lautet, dass jeder weitere Versuch des Westens, seine Sanktionen in Waffen zur Manipulation des globalen Energiemarkts umzuwandeln, vollkommen inakzeptabel ist und abgelehnt sowie besiegt werde.
Seinerseits signalisierte Scheich MbZ unmissverständlich, dass sich sein Besuch auf die Stärkung der bilateralen Beziehungen zu Russland, insbesondere im wirtschaftlichen Bereich, konzentriert. Da Putin in den letzten Monaten wiederholt erklärt hat, dass Russland gern mit jedem Land zusammenarbeite, das sich der westlichen Schikane entgegenstellt, hatten die VAE schnell begriffen, dass Russland sie als bevorzugtes Ziel für die Durchführung von Geschäften priorisierte. Die Einzigartigkeit der VAE für Moskau liegt in ihrem dynamischen Umfeld für die Geschäftstätigkeit sowie für die Öffnung eines Fensters für die russische Industrie zur westlichen Welt. Zugleich haben Moskaus europäische Geschäftspartner starkes Interesse an einer Wiederaufnahme der Geschäftsbeziehungen signalisiert, wenn auch nur indirekt über Drittländer wie die VAE. Und europäische und amerikanische Handelshäuser und Finanzinstitute blieben dabei außen vor.
Was Moskaus an den VAE besonders schätzt, ist die Bedeutung, die Scheich MbZ der Erhaltung der strategischen Autonomie seines Landes beimisst. Zugleich spielen die Emirate mit ihren boomenden Handelshäusern und Finanzinstituten eine bedeutende Rolle, die weit über die Region hinausgeht.
Tatsächlich sind die VAE heute ein attraktives Investitionszentrum mit dem Potential, die wirtschaftliche, touristische und kommerzielle Drehscheibe für über zwei Milliarden Menschen zu werden. Der Logistics Performance Index der Weltbank zählt die VAE zu dem Top-Dutzend von 160 Staaten in Bezug auf Handelslogistik. All das macht die VAE für die Russen besonders attraktiv, zumal Moskau nicht vorhat, in absehbarer Zeit – wenn überhaupt - mit den Europäern zu einem "business as usual" zurückzukehren.
4.000 russische Unternehmen operieren bereits von den VAE aus. Für Russland bieten die Emirate ein erstklassiges Sprungbrett zu Märkten auf der ganzen Welt, vor allem in Afrika, Asien und auch Europa. Russland hat sich hohe Ziele gesetzt, um seine Beziehungen zu den afrikanischen Ländern auszubauen, wo es ein äußerst positives Renommee als anti-koloniale Macht aus der Sowjetzeit genießt.
In der ganzen Golfregion gibt es eine schnell wachsende russische Gemeinde. Vor allem aber in den VAE bietet Scheich MbZ den russischen Gästen ein freundliches Ambiente, unter anderem durch die Eröffnung der ersten russischen Schule, wahrscheinlich die erste Schule dieser Art in diesem Teil der Welt.
Aber zurück zu Saudi-Arabien, gegen das sich in den letzten Tagen zunehmend der geballte Zorn Washingtons richtet. Ein Grund dafür ist, dass der oben bereits erwähnte saudische Regierungsbeamte eine überraschende Enthüllung gemacht hat - nämlich dass die Biden-Regierung tatsächlich versucht hatte, Riad dazu zu bringen, die OPEC plus-Entscheidung um einen Monat zu verschieben.
Vermutlich richtet sich die Wut Washingtons derzeit weniger gegen die Aussicht auf höhere Ölpreise als vielmehr gegen diese Enthüllung, die so kurz vor den US-Zwischenwahlen des US-Kongresses Anfang November insbesondere Präsident Biden persönlich und seine Partei, die Demokraten, in ein schlechtes Licht rückt.
Denn ganz offensichtlich hatte Biden versucht, mit dem Versprechen stagnierender Ölpreise in die Zwischenwahlen zu gehen. Der Versuch, einen solch fragwürdigen Trick durchzuziehen, wird Biden in den Tagen bis zur Wahl zweifellos von den Republikanern ununterbrochen unter die Nase gerieben werden.
Es überrascht, dass die Saudis so weit gegangen sind, Washington mit seiner arroganten Anspruchshaltung derart vor den Kopf zu stoßen. Die USA sind gewohnt, dass ihre Vasallen auf den kleinsten Zuruf springen und – wie derzeit Deutschland – sich sehenden Auges in den Abgrund stürzen. Ganz offensichtlich will sich Saudi-Arabien unter Kronprinz MbS von der US-Umklammerung befreien und hat dabei den in den Augen der US-Eliten unverzeihlichen Frevel begangen, nicht nur Bidens Eitelkeit, sondern die US-Präsidentschaft zu beleidigen. Das hat Biden, das Weiße Haus und die Demokraten in Raserei versetzt. Einige Demokraten haben sogar den Verdacht geäußert, dass sich die Saudis absichtlich in die US-Innenpolitik eingemischt hätten, um mit höheren Ölpreisen dem oppositionellen Republikaner in Washington zum Wahlsieg zu verhelfen.
Die saudischen Enthüllungen waren am Donnerstag der vergangenen Woche - wenige Stunden nach einem Interview von Biden mit dem Sender CNN - veröffentlicht worden. Laut den Enthüllungen hat Biden den Saudis "Konsequenzen" angekündigt "für das, was sie gemeinsam mit Russland getan haben".
John Kirby, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Hauses, sagte, dass Biden glaube, "es ist Zeit, die Beziehung (zu Saudi-Arabien) noch einmal zu überdenken und sicherzustellen, dass sie unseren nationalen Sicherheitsinteressen dient".
Der einflussreiche demokratische Senator aus New Jersey, Bob Menendez, drohte, die Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien zu blockieren. Er verurteilte Saudi-Arabien und beschuldigte es, "Putins Krieg durch das OPEC plus-Kartell zu unterstützen". Menendez sagte weiter, dass die USA "sofort alle Aspekte unserer Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien einfrieren müssen, einschließlich aller Waffenverkäufe und Sicherheitskooperationen, die über das hinausgehen, was zur Verteidigung von US-Personal und Interessen absolut notwendig ist". Und wie von den überheblichen Amerikanern nicht anders zu erwarten, fügte Menendez noch ein Ultimatum hinzu, dass er "keiner Zusammenarbeit mit Riad grünes Licht geben werde, bis das Königreich seine Position in Bezug auf den Krieg in der Ukraine neu bewertet. Genug ist genug."
Die historische Abfuhr, die US-Präsident Biden von Saudi-Arabien bekommen hat, hing sicherlich mit seinem unrühmlichen diplomatischen Geschick gegenüber Kronprinz MbS zusammen, als er Saudi-Arabien für das US-Fantasieprojekt an Bord holen wollte, die Ölpreise auf Kosten Saudi-Arabiens zu senken, um damit Russlands Einnahmen aus Ölexporten zu verringern. Das ist jedoch nicht in Saudi-Arabiens Interesse, welches anscheinend seine Zukunft bei den verlässlicheren Partnern im Osten sieht, genau wie die Vereinigten Arabischen Emiraten.
In den USA fordern Politiker der Demokraten inzwischen sogar den Abzug der US-Truppen aus den VAE und Saudi-Arabien sowie die Minderung der Waffenlieferungen. Im starken Kontrast dazu liest sich der letzte Teil der oben erwähnten saudi-arabischen Erklärung an Washington, die mit folgendem Ratschlag für die US-amerikanische Diplomatie endet:
"Die Lösung wirtschaftlicher Herausforderungen erfordert die Einrichtung eines nicht politisierten konstruktiven Dialogs und die kluge und rationale Abwägung dessen, was den Interessen aller Länder dient."
Der Absatz endete mit der Erinnerung daran, dass "die soliden Säulen, auf denen die saudisch-amerikanischen Beziehungen in den letzten acht Jahrzehnten gestanden haben", unter anderem auf gegenseitigem Respekt und gemeinsamen Interessen beruht haben.
Mit seinem Besuch in Sankt Petersburg hat Scheich Mohammed bin Zayed aus den VAE auf seine eigene, scharfsinnige Weise gezeigt, dass rohe amerikanische Drohungen nur kontraproduktiv sind. Bereits vor knapp einem Jahr war er von der Biden-Regierung schikaniert worden. Washington verlangte von den Emiraten, die Beziehungen zu China herunterzufahren, wenn sie die modernen US-Kampfflugzeuge vom Typ F-35 haben wollten. Daraufhin hatte MbZ den Milliarden-Dollar-Auftrag für die US-Rüstungsindustrie gekündigt und französische Rafale-Jets bestellt.
Wenn das unüberlegte Verhalten Washingtons auf internationalem Parkett fortbesteht, dann haben Russland, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate gemeinsam das Potential, in der geo-strategischen Energiepolitik die tatsächlichen Machtverhältnisse in einer multipolaren Welt zu beeinflussen.
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