Eine Analyse von Pjotr Akopow, RIA Nowosti
Die COVID-19-Quarantäne ist kein Hindernis mehr, Summits – oder multilaterale Gipfeltreffen, sind wieder an der Tagesordnung der diplomatischen Praxis. Zuerst kehrte der Westen zu persönlichen Treffen zurück (EU- und NATO-Gipfel finden schon seit Langem statt), und nun ist der Osten an der Reihe.
Die asiatischen Staats- und Regierungschefs haben sich seit über drei Jahren nicht mehr getroffen, doch in einer Woche findet in Samarkand der Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) statt, auf dem sich die Führungskräfte der Organisation zum ersten Mal treffen werden. Bis zum letzten Moment hatte es keine Klarheit darüber gegeben, ob der chinesische Präsident Xi Jinping kommen wird, denn einige Beobachter waren der Meinung, er werde Peking bis zur Tagung der Kommunistischen Partei Mitte Oktober nicht verlassen. Allerdings wurde gestern der Besuch des chinesischen Staatschefs in Kasachstan für die kommende Woche angekündigt, sodass seine Reise nach Usbekistan ebenfalls feststeht.
Das Treffen zwischen Xi und Putin findet zum zweiten Mal in diesem Jahr statt, jedoch zum ersten Mal seit dem Beginn unserer Spezialoperation in der Ukraine. Für den indischen Premierminister Narendra Modi und den pakistanischen Premierminister Shehbaz Sharif wird es in Samarkand das erste Treffen überhaupt sein – für die beiden Nachbarländer, deren Beziehungen mehr als angespannt sind, wird die SOZ zu einer wichtigen Bühne des Dialogs. Die SOZ selbst, zunächst ein russisch-chinesisches Sicherheitsbündnis in Zentralasien (unter Einbeziehung der zentralasiatischen Republiken), wächst schnell über ihr ursprüngliches Format hinaus. Die Organisation umfasst nun vier atomare Mächte, also fast alle nicht westlichen Staaten, die über Atomwaffen verfügen (außer Nordkorea).
In Usbekistan werden die acht Mitglieder der SOZ um eines erweitert – das Beitrittsverfahren Irans wird abgeschlossen sein. Allerdings wird die Organisation nicht lange bei dieser Konstellation verbleiben – die Absicht, Weißrussland von einem Beobachter zu einem vollwertigen SOZ-Mitglied zu machen, steht bereits fest. Und dabei wird es nicht bleiben – weitere Länder, darunter einige einflussreiche, wollen der SOZ beitreten.
In den vergangenen Jahren gab es in der Organisation vier Beobachter (vergleichbar mit Beitrittskandidaten), doch jetzt ist Iran praktisch Mitglied, Weißrussland beginnt mit dem Übergangsprozess, sodass Afghanistan und die Mongolei übrig bleiben. Die Präsenz der US-Truppen in Afghanistan war früher das Haupthindernis für die Aufnahme Afghanistans, doch dieses Problem besteht nun nicht mehr, sodass die Aufnahme Afghanistans in die SOZ zweifellos erfolgen wird, wenn auch nicht sofort und nicht jetzt, sondern nach der Stabilisierung der Lage und der Errichtung eines umfassenden Verwaltungssystems und des friedlichen Lebens (natürlich mithilfe der SOZ-Länder). Die Mongolei darf jederzeit ein gleichberechtigter Teilnehmer werden – keiner der Mitgliedsstaaten hat irgendwelche Einwände, doch das Land zögerte bisher selbst und bevorzugte, ein Beobachter zu bleiben. Übrigens, die zunehmende globale Spannung wird sich auch auf Ulaanbaatars Position auswirken – ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Warteschlange der potenziellen SOZ-Mitglieder auch die mongolische Führung dazu veranlassen könnte, aktiv zu werden.
Interessenten an einem Beitritt zur SOZ hatte es schon früher gegeben, in diesem Jahr sind sie jedoch von Worten zu Taten übergegangen. Und die Rede ist nicht nur von den "Dialogpartnern" (ein weiteres Format Interaktion), deren es neun Länder sind: Armenien, Aserbaidschan, Kambodscha, Nepal, Sri Lanka, die Türkei, Katar, Ägypten und Saudi-Arabien. Dabei sind die drei letztgenannten Länder erst vor einem Jahr in den Genuss dieses Status gekommen, wollen ihn aber bereits aufwerten. Das heißt, sie wollen Beobachter werden, um der Organisation uneingeschränkt beitreten zu können. Auch Syrien und Myanmar zeigen Interesse an einem Beitritt, und die Vereinigten Arabischen Emirate fragten sogar nach einer direkten Aufnahme in die SOZ. Obwohl das nicht möglich ist, doch es zeigt das schnell wachsende Interesse an der Organisation. Also an der chinesisch-russischen Allianz, um die Dinge bei ihrem richtigen Namen zu nennen.
Die Ursachen dafür liegen auf der Hand: Zwar hat die Konsolidierung der nicht westlichen Welt im letzten Jahrzehnt stetig an Fahrt gewonnen, doch seit Anfang 2020 hat sich die Entwicklung beschleunigt. Zuerst war die COVID-19-Pandemie und die daraus resultierenden Lockdowns der Auslöser für eine Krise der Globalisierung gewesen, dann ließ unsere Spezialoperation in der Ukraine den Westen die Bedingung aufstellen: Wer nicht mit uns gemeinsam Russland blockiert, der ist für Putin. Und schließlich beeinträchtigte die Provokation in der Taiwan-Frage die Aussichten auf eine Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Westen und China. Die ganze Welt wird zu einer Entscheidung gezwungen: Auf wessen Seite stehst du? Unter diesen Bedingungen besteht das optimale Modell für viele einflussreiche Länder der islamischen Welt darin, ihre Selbständigkeit zu demonstrieren, die als äquidistant zu den beiden Polen, Russland-China und USA-EU, dargestellt wird. Wie sollen denn solche Verbündeten der USA wie die Türkei und Saudi-Arabien ihre Selbständigkeit demonstrieren? Durch den Beitritt zur SOZ. Wahrhaftig, denn sie ist keine militärische Vereinigung, aber die Zugehörigkeit zu dieser Organisation zeigt eine deutliche Bereitschaft, sich den antirussischen und antichinesischen Kombinationen des Westens zu widersetzen.
Gerade deshalb wird Recep Tayyip Erdoğan nach Samarkand fliegen, und möglicherweise auch der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman. In einem solchen Fall wird der SOZ-"Neuner", wenn auch zunächst inoffiziell, zu einem "Elfer-Klub", d. h. zu einer Plattform des Dialogs zwischen Russland, China, Indien und den vier wichtigsten Länder der islamischen Welt (Saudi-Arabien – "das reichste und einflussreichste", Iran – "das älteste und leidenschaftlichste", die Türkei – "das am weitesten entwickelte und ehrgeizigste", Pakistan – "das einzige nukleare Land"). Zusätzlich gehören zu den Beobachtern der SOZ auch noch Ägypten, "das wichtigste Land der arabischen Welt", und Katar, "der Informations- und Propagandagigant".
Sicher, diese islamischen Länder haben keine leichten Beziehungen untereinander (insbesondere die saudisch-iranischen), aber in der Vergangenheit wurden solche Widersprüche vom Westen tatkräftig für sein globales Spiel genutzt. Dagegen sind Russland und China daran interessiert, nicht die Feindschaft der Muslime untereinander zu schüren, sondern sie in den Aufbau einer neuen, post-westlichen Weltordnung mit einzubeziehen. Sollte es den drei Großmächten – Russland, China und Indien – gelingen, strategische Beziehungen zur islamischen Welt aufzubauen, um auf eine neue Weltordnung hinzuarbeiten, dann wäre dies gleichbedeutend mit dem endgültigen Zunichtemachen des angelsächsischen Projekts der globalen Vorherrschaft.
Beim neuen Gebot der Atlantiker geht es nicht mehr um die Organisation eines Konfliktes zwischen Russland und China, sondern darum, Indien und China gegeneinander auszuspielen. Und sie sind sich nahezu sicher, dass es ihnen gelingen wird, die islamische Welt in ihrer Umlaufbahn zu behalten (und sie sogar in ihrem Spiel gegen Peking und Moskau einzusetzen). Daher wird die Beteiligung islamischer Länder in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit die wichtigste Herausforderung für das angelsächsische Gegenprojekt sein – und ein Zeichen für dessen vollständigen Zusammenbruch.
Übersetzt aus dem Russischen
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