Die kanadische Außenministerin Mélanie Joly erklärte am Mittwoch, dass ihre Regierung die fünf Turbinen aus Montreal nach Deutschland zurückschicken werde – obwohl in Kanada lebende Ukrainer und die Botschafterin Kiews in Ottawa gefordert hatten, diese Maschinenteile nicht an Berlin zu liefern. Joly teilte mit, dass die Entscheidung auf eine Anfrage des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz zurückgehe, der in den vergangenen Tagen Kanada besuchte.
"Das war die Entscheidung, die wir getroffen haben", sagte Joly in einem Interview mit dem staatlichen Sender CBC. Sie ergänzte:
"Das ist genau das, worum Deutschland uns gebeten hat."
Im Gespräch mit der CBC-Journalistin Hannah Thibedeau erklärte die kanadische Außenministerin weiter, dass Ottawa mit diesem Schritt dem russischen Präsidenten Wladimir Putin "keinen Vorwand" geben wolle, Russlands Energielieferungen nach Europa weiter "als Waffe" zu benutzen.
Sechs Siemens-Turbinen befanden sich zur Wartung in Montreal, als Kanada wegen des Konflikts in der Ukraine ein Embargo gegen Russland verhängte. Aufgrund der russischen Militäroperation in der Ukraine waren die Strafmaßnahmen gegen Moskau erweitert und die Öl-, Gas- und Chemieindustrie mit Sanktionen belegt worden. Im Juni hatte der Energietechnikkonzern Siemens dann Energy mitgeteilt, dass die in Kanada überholte Gasturbine wegen der Sanktionen nicht aus Montreal zurückgeliefert werden könne. Auf Ersuchen Deutschlands kündigte Ottawa daraufhin im Juli eine Ausnahmeregelung für die Turbinen an und schickte eine von ihnen nach Deutschland zurück. Der russische Energieriese Gazprom verweigerte letztlich allerdings die Annahme, unter Berufung auf Unregelmäßigkeiten in der Dokumentation.
Bundeskanzler Scholz war diese Woche zusammen mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nach Ottawa gereist, um mit seinem kanadischen Amtskollegen Justin Trudeau ein Abkommen über die Entwicklung der Wasserstoffenergieproduktion zu unterzeichnen. Gegenüber CBC erklärte er, dass die beiden Länder weiterhin zusammenarbeiten würden, um die Rückgabe der fünf verbleibenden Turbinen zu erreichen. Der SPD-Politiker sagte im Gespräch mit der kanadischen CBC-Politikjournalistin Vassy Kapelos:
"Ich denke, es gibt eine politische Übereinstimmung darüber, dass wir zusammenarbeiten werden, dass wir Freunde sind und dass wir es nicht zulassen werden, dass das russische Spiel funktioniert."
Die Ukraine und Deutschland haben Russland vorgeworfen, die EU mit Gaslieferungen in Geiselhaft zu nehmen. Das russische Unternehmen Gazprom hatte demgegenüber erklärt, es werde alle seine vertraglichen Verpflichtungen erfüllen, könne aber nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn die EU oder Kanada einseitige Embargos auf Ausrüstungen verhängen – wie etwa die Siemens-Turbinen für Nord Stream 1. Die Pipeline verläuft unter der Ostsee und umgeht die Ukraine.
Sowohl Kiew als auch die Lobby der ukrainischstämmigen Bevölkerung Kanadas haben gegen die Entscheidung der Regierung des nordamerikanischen Landes protestiert, die Turbinen zurückzugeben. Sie verwiesen darauf, dass dies Moskau nicht daran hindern werde, die EU mit der Zurückhaltung von Gas zu "terrorisieren".
Die ukrainische Botschafterin in Ottawa, Julia Kowaliw, sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Canadian Press:
"Wir sind der Meinung, dass diese Ausnahmegenehmigung aufgehoben werden sollte, und zwar sofort."
Der Ukrainisch-Kanadische Kongress, eine Lobbyorganisation der ukrainisch-kanadischen Exilgemeinde, gab unterdessen eine Erklärung ab, in der es hieß, es sei "enttäuschend für unsere Gemeinschaft, dass Kanada die Gelegenheit verpasst hat, die Genehmigung während des Besuchs des Bundeskanzlers aufzuheben."
Der Erdgaspreis in der EU ist diese Woche in die Höhe geschnellt, nachdem Gazprom angekündigt hatte, Nord Stream 1 zwischen dem 31. August und dem 2. September für Reparaturen herunterzufahren. Eine andere Leitung – Nord Stream 2 –, wo keine Siemens-Turbinen zum Einsatz kommen, ist bereits fertiggestellt. Allerdings ist diese Pipeline nicht in Betrieb, da Deutschland aus Protest gegen Russlands Anerkennung von Donezk und Lugansk als unabhängige Staaten die Zertifizierung verweigert hatte. Einige Politiker in Deutschland haben – angesichts der Energiekostensteigerungen – allerdings gefordert, eine Eröffnung der Pipeline Nord Stream 2 dennoch in Betracht zu ziehen.
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