Eine Analyse von Alexander Männer
Teil 1 finden Sie hier.
Infolge des Umsturzes in Kiew 2014 und der daraus resultierenden geopolitischen "Korrektur" in der Schwarzmeerregion sollte die Ukraine zu einem der wichtigsten Außenposten des westlichen Militärbündnisses NATO in Osteuropa aufsteigen. Russlands Militärintervention in der Ukraine brachte diese Pläne der USA und Co. allerdings durcheinander, weshalb das besagte Vorhaben wohl nicht mehr realisiert wird. Um den Einfluss in der Region trotzdem weiter ausweiten zu können, bleibt der NATO noch die Ex-Sowjetrepublik Moldawien – eine aus militärpolitischer Sicht vielversprechende Option, was die jüngsten Entwicklungen in diesem Land zeigen.
Moldawien galt seit dem Zerfall der Sowjetunion lange Zeit offiziell als ein militärisch neutraler Staat, der weder den Beitritt zur NATO noch ein militärisches Bündnis mit Russland oder einem anderen Staat anstrebte. Allerdings hat diese Politik Chişinăus seit dem Machtantritt der proeuropäischen Politikerin Maia Sandu im November 2020 grundlegend geändert. Inzwischen deutet sich offenbar das an, was zuvor in der Ukraine im Zuge des sogenannten Euromaidans 2014 geschehen war – die Revision der bestehenden sicherheitspolitischen Strategie des Landes und die Implementierung eines neuen Kurses, der vollständig auf den Westen hin ausgerichtet ist.
Zwar hat die Führung in Chişinău bislang nur den Beitritt zur Europäischen Union beantragt, allerdings ist eine Annäherung Moldawiens zur NATO oder gar der Beginn der Integration in diesen Militärblock offensichtlich. So hat Sandu vor wenigen Monaten im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg erklärt, die Nordatlantikallianz könne ihrem Land helfen, "seinen neutralen Status zu schützen".
Kooperation zwischen Moldawien und NATO
Diese vermeintliche Neutralität Moldawiens wird jedoch schon seit Längerem bezweifelt und nicht erst seit der Präsidentschaft Sandus. Zum Beispiel wegen der seit Jahren anhaltenden Beteiligung des moldawischen Militärs an der NATO-geführten Friedensmission im Kosovo. Das ist im Übrigen auch ein klares Zeichen dafür, dass eine langsame Integration der moldawischen Streitkräfte in die NATO bereits stattfindet.
Für die Moldawier verheißt es aufgrund der Erfahrung der Ukraine allerdings nichts Gutes, da die NATO auch Moldawien lediglich als militärpolitisches Werkzeug für ihre geopolitischen Spielchen nutzen könnte. Um etwa die eigene Rolle in Osteuropa zu stärken und den Einflussbereich Russlands zu verkleinern. Denn die NATO-Mitglieder hatten ihre "Kooperation" mit Kiew immer nur dahingehend gefördert, dass diese in erster Linie ihren eigenen militärpolitischen Plänen nutzen sollte. Man kann also annehmen, dass das Primärziel der Zusammenarbeit mit Moldawien höchstwahrscheinlich ebenfalls die gegen Russland gerichtete Aufrüstung der Armee und die Verlagerung der NATO-Militärinfrastruktur in dieses Land sein wird.
Dass die USA und andere NATO-Staaten inzwischen offen die Möglichkeit von Waffenlieferungen nach Moldawien sowie die Ausbildung der moldawischen Soldaten im Rahmen der NATO-Kooperation erwägen, sollte alle Zweifel an der Absicht dieses wichtigsten militärpolitischen Instrument des "kollektiven Westens" ausräumen.
Diesbezüglich hatte die britische Zeitung The Guardian im vergangenen Mai in einem Artikel auf Großbritanniens Außenministerin Elizabeth Truss verwiesen, die den russischen Präsidenten Wladimir Putin bezichtigte, ein "Großrussland" schaffen zu wollen, und Moldawien deshalb dazu aufrief, die Verteidigungsfähigkeit "angesichts der russischen Invasion in der Ukraine" dauerhaft zu gewährleisten. Außerdem plädierte Truss dafür, dass die moldawischen Streitkräfte "nach NATO-Standard" ausgerüstet werden sollten.
Chişinău nimmt solche politischen Stützen dankbar an und scheut auch nicht davor zurück, die Beziehung mit Moskau noch weiter zu belasten. So hatte Präsidentin Sandu angesichts eines heftigen Krieges nahe Moldawien im EU-Parlament sogar gefordert, die russischen Friedenstruppen aus der abtrünnigen Provinz Transnistrien abzuziehen, da die Anwesenheit der Russen die Neutralität Moldawiens verletze.
Transnistrien-Konflikt
Experten sind der Auffassung, der Westen könnte den bereits eingeschlagenen antirussischen Kurs Chişinăus so lange durch umfangreiche Waffenlieferungen und eine massive Aufrüstung der Armee fördern, bis es zu Spannungen und einem Konflikt zwischen Moldawien und Russland kommt. Wie bereits in der Ukraine geschehen, könnte in diesem Fall ebenfalls ein nicht gelöster Konflikt zwischen der Zentralmacht und den prorussisch eingestellten Landesteilen als Trigger für eine bewaffnete Auseinandersetzung dienen.
Dafür in Betracht kommt vor allem die Region Transnistrien, die sich 1992 in Folge eines Bürgerkrieges und eines Volksreferendum von Moldawien abgespalten hatte. Die Menschen in dieser selbsternannten "Transnistrischen Moldawischen Republik", die eine 450 Kilometer lange Grenze zur Ukraine hat, wollen die traditionellen Beziehungen zu Moskau aufrechterhalten und betrachten das bei ihnen im Rahmen einer Friedensmission stationierte russische Militär als Garanten für den Frieden und die Unabhängigkeit ihrer Provinz von Chişinău.
Hinsichtlich der neuesten Entwicklungen in Moldawien sowie in der gesamten Region bekundet man in der Hauptstadt Tiraspol ernste Besorgnis, da es nicht auszuschließen ist, dass der Konflikt zu gegebener Zeit erneut aufflammen könnte.
Anzeichen dafür gab es bereits vor wenigen Monaten. Wie im ersten Teil des Artikels angesprochen, war es in Transnistrien damals vor dem Hintergrund der Eskalation in der Schwarzmeerregion zu mehreren Zwischenfällen gekommen, die aus sicherheitspolitischer Sicht zu unvorhersehbaren Folgen für die gesamte Region hätten führen können.
Laut Deutschlandfunk wurden in Transnistrien Ende April, also in der Phase, in der das russische Kontingent routinemäßig ausgetauscht wird, drei Sprengstoffanschläge von Unbekannten verübt, einer gegen das Gebäude der Staatssicherheit, zwei gegen Funkmasten. Dabei ist niemand zu Schaden gekommen. Dennoch verschärfte sich die Situation zunächst und löste Kriegsangst unter den Menschen aus. Zum Glück wurde eine weitere Eskalation vermieden. Trotzdem bleibt die Sicherheitslage in der Provinz weiterhin angespannt.
Die Besorgnis darüber, dass Moldawien im Zuge der "Westintegration" in die geopolitischen Spiele des Westens gegen Russland hineingezogen und als Instrument gegen Moskau benutzt werden könnte, hat der moldawische Ex-Präsident Igor Dodon zum Ausdruck gebracht. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur TASS sagte der Politiker, der inzwischen wegen des "Verdachts auf Korruption" in Chişinău in Untersuchungshaft sitzt, dass er und seine Landleute "in Wirklichkeit […] Kandidaten für neue politische und militärische Experimente geworden sind, am traurigen Beispiel der Ukraine".
Im Endeffekt riskiere Moldawien, nicht nur die lukrativen Wirtschaftsbeziehungen zu den Partnern im Osten einzubüßen, sondern auch, einen Teil seines Territoriums zu verlieren, so Dodon.
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