Im neuen Jahr droht Transnistrien eine von der EU organisierte Wirtschaftsblockade

Die seit 2006 existierende Unterstützungsmission der EU für die moldawisch-ukrainische Grenze hat direkte Kontrollen moldawischer Grenzer und Zöllner an den Zugängen zu der abtrünnigen Republik Transnistrien organisiert. Die Kontrollen starten im neuen Jahr und gefährden den Friedensprozess und die Sicherheit in der Region.

Am 1. Januar beginnen die Ukraine und Moldawien mit gemeinsamen Grenzkontrollen zwischen der Ukraine und der abtrünnigen Republik Transnistrien. Dies ermöglicht eine faktisch vollständige wirtschaftliche Blockade des international nicht anerkannten Gebildes. 

Die Republik Transnistrien (russisch: Pridnestrowskaja Respublika) entstand im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion und eines blutigen Konfliktes zwischen den die Region bevölkernden Ethnien in den Jahren 1990 bis 1992. Der schmale Landstreifen östlich des Flusses Dnister wurde erst 1940 Moldawien zugeschlagen und ist traditionell mehrheitlich von Russen und Ukrainer besiedelt. In der früheren Geschichte war der größte Teil des Landstriches hingegen niemals Teil Bessarabiens, wie Moldawien früher genannt wurde. 1924 wurde hier eine Moldawische Autonome Republik konstituiert, um den sowjetischen Anspruch auf das rumänisch besetzte Bessarabien zu unterstreichen. Bis 1940 war sie jedoch Teil der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik und wechselte erst mit der Annexion Bessarabiens und Ausrufung der Moldawischen Sozialistischen Sowjetrepublik am 2. August 1940 die administrative Zugehörigkeit. 

Rückblick auf einen blutigen Konflikt

Der ethnische Konflikt begann im Jahr 1989, als moldawisch-rumänische Nationalisten in Chișinău im Zuge der Perestroika Einfluss gewannen und die Annahme eines Sprachengesetzes forderten, der die Anwendung der russischen Sprache stark einschränkte. Insbesondere sollte Russisch als Unterrichtssprache in Schulen abgeschafft und die Verwendung des Russischen in öffentlichen Einrichtungen unter Strafe gestellt werden. Nach Protesten wurde das Gesetz schließlich in einer entschärften Form und ohne die ursprünglich vorgesehenen Grausamkeiten am 31. August 1989 vom Obersten Sowjet Moldawiens verabschiedet. 

In der durch die vorausgegangenen Debatten aufgeheizten Stimmung bot das Gesetz allein schon durch die Festschreibung der (vom Rumänischen nur leicht abweichenden) moldawischen Sprache als alleiniger Staats- und Verwaltungssprache dennoch Zündstoff. Die überwiegend russischsprachigen Bezirke forderten die Festschreibung der Zweisprachigkeit des Landes in der Verfassung. Die Verabschiedung des Sprachengesetzes führte zu einem Generalstreik im industriell geprägten Transnistrien. Im Dezember 1989 und Januar 1990 fanden in den größeren Städten Volksabstimmungen statt, die eine breite Mehrheit für die Gründung einer eigenen Transnistrischen Republik und deren direkte Mitgliedschaft in der UdSSR ergaben. Ab Mai 1990 eskalierte die Situation, nachdem die nationalistische Mehrheit im soeben neu gewählten Obersten Sowjet Moldawiens die Abgeordneten Transnistriens körperlich angriff und diese aus Protest das Parlament geschlossen verließen. 

Am 17. Mai 1990 töteten nationalistische Extremisten in Chișinău den 17-jährigen Dmitri Matjuschin, der sich weigerte, moldawisch zu antworten. Seine Freundin entkam mit viel Glück einem ähnlichen Schicksal. Die Begräbniszeremonie für den Jungen wurde von moldawischen Extremisten ebenfalls angegriffen und artete in eine Straßenschlacht aus. 

Als der nationalistisch dominierte Oberste Sowjet Moldawiens am 23. Juni desselben Jahres den  "Molotow-Ribbentrop-Pakt" für verbrecherisch und die Gründung der Moldawischen Sozialistischen Sowjetrepublik für unwirksam erklärte, lieferte er den sowjetischen Loyalisten in Transnistrien paradoxerweise das entscheidende rechtliche Argument. Denn nur aufgrund dieses für unwirksam erklärten Aktes gehörte Transnistrien überhaupt zu Moldawien. Nach einer nochmaligen Runde von Volksabstimmungen wurde daraufhin am 2. September 1990 die Moldawische Republik Transnistrien ausgerufen. 

Das Engagement der Moskauer Zentralmacht, noch gab es die Sowjetunion, beschränkte sich während der gesamten Zeit auf einen Appell Gorbatschows im Dezember 1990, das diskriminierende Sprachengesetz aufzuheben. Gleichzeitig stand die Zentralregierung den Abtrennungsbemühungen Transnistriens ablehnend gegenüber. 

Die Situation eskalierte weiter als nach dem Augustputsch des Jahres 1991 die moldawische Führung einen offenen Kurs hin zur Unabhängigkeit des Landes einschlug. Die Entwicklung gipfelte in dem bereits dritten Referendum über die Unabhängigkeit Transnistriens, das am 1. Dezember 1991 stattfand. An diesem nahmen 78 Prozent der wahlberechtigten Einwohner teil, 97,7 Prozent stimmten für die Loslösung von Moldawien. 

Darauf reagierte die Führung des nunmehr unabhängigen Moldawiens mit der Entsendung bewaffneter Kräfte in die Region. Wiederholt kam es an verschiedenen Orten zu Zusammenstößen und Scharmützeln, bei denen auf beiden Seiten Opfer zu beklagen waren. Den Sicherheitskräften Transnistriens gelang es, die moldawischen Kräfte auf das rechte Ufer zurückzudrängen und die Brücken über den Fluss unter ihre Kontrolle zu bringen. Die abtrünnigen Städte und Siedlungen standen jedoch weiterhin unter Beschuss durch Scharfschützen und Artillerie. Ab März gab es zudem bewaffnete Angriffe auf die in der Region stationierte 14. Sowjetische Armee, die unter dem Kommando von General Lebed stand. 

In der Zwischenzeit kam die Bildung der Moldawischen Armee voran, in die 18.000 Personen mobilisiert wurden, und die Waffen aus sowjetischen Beständen erhalten hatte. Mitte Juni 1992 begann die moldawische Führung schließlich einen großangelegten militärischen Angriff auf Transnistrien. Beim Einsatz von Bombern kamen mehrere Zivilisten ums Leben und beim Beschuss von Kasernen der 14. Armee 26 russische Soldaten. Das zwang die russische Führung, in den Konflikt einzugreifen.

Zugleich setzten in Chișinău massive Proteste kommunistischer und linker Kräfte gegen den Krieg ein. Beide Einflüsse zwangen die nationalistische Regierung zum Rücktritt, und am 21. Juli 1992 konnte unter russischer Vermittlung ein Friedensabkommen unterzeichnet werden, das bis heute die Grundlage der Beziehungen zwischen Moldawien und Transnistrien bildet. Bis dahin hatte der Konflikt etwa 1.000 Todesopfer auf beiden Seiten, darunter etwa 500 Zivilisten ausschließlich in Transnistrien gefordert. 

Die zarte Pflanze des Friedens

Die folgende Entwicklung kann unter den zahlreichen blutigen Konflikten, die der Zerfall der Sowjetunion verursacht hat, als ein positives Beispiel der Friedensstiftung gelten. Obwohl eine endgültige Lösung noch nicht gefunden ist – weder ist Moldawien bereit, die Unabhängigkeit Transnistriens anzuerkennen, noch kann sich Transnistrien eine Rückkehr in das sich an Rumänien orientierende und nach einem Beitritt in die EU strebende Moldawien vorstellen – heilte die Zeit doch die Wunden und führte schnell zu pragmatischen Lösungen in vielen Bereichen.

Die transnistrische Wirtschaft hat zwar Sonderstatus und profitiert von traditionellen Kontakten in den Osten, zahlt aber Steuern in Moldawien und darf ihre Exportwaren als Waren moldawischer Herkunft deklarieren. Die Waffen schweigen seit 1992, und man schaut sich wieder in die Augen.

Sichtbarstes Zeichen dessen, wie entspannt man auf zwischenmenschlicher Ebene inzwischen miteinander umgeht, ist die verblüffende Tatsache, dass transnistrische Fußballmannschaften in der obersten Moldawischen Liga spielen. Eine darunter, "Scheriff Tiraspol" wurde in den 21 Jahren seit der sportlichen Wiedervereinigung 19 Mal moldawischer Meister. Nicht nur, dass die Fans sich seit 20 Jahren ohne besondere Konflikte bei Auswärtsspielen gegenseitig besuchen, bei internationalen Wettbewerben drückt das ganze Land – auf rumänisch, wie auf russisch – den "Scheriffen" die Daumen. 

Der Westen zündelt im geopolitischen Spiel

In diese optimistisch stimmende Situation platzen nun seit 2014 immer wieder geostrategische Spiele des "kollektiven Westens": Die USA und die NATO betrachten Transnistrien als einen der wunden Punkte Russlands, über die man Druck auf den Kreml ausüben kann. Die Versorgung Transnistriens und des dort stationierten russischen Friedenssicherungskontingents ist entweder auf das Wohlwollen Moldawiens oder auf dasjenige der Ukraine angewiesen. Solange der Transit durch die Ukraine frei war, war Transnistrien mehr oder weniger immun gegen wirtschaftliche Sanktionen und ökonomische Erpressung aus Chișinău. Dass die moldawische Regierung bis 2014 gar nicht erst die Illusion haben konnte, die abtrünnige Republik militärisch oder wirtschaftlich in die Knie zwingen zu können, brachte sie auf den Weg der Kompromissbereitschaft und Rationalität und ermöglichte erst die oben beschriebenen Fortschritte im Friedensprozess. 

Seit die Ukraine 2014 vollständig unter die direkte Kontrolle der USA und der NATO gefallen ist, ist die Möglichkeit des Transits auf dem Land- oder Luftweg stark eingeschränkt. Da ein erheblicher Teil der Einwohner Transnistriens ethnische Ukrainer sind, wagte es die ukrainische Führung bislang nicht, die Grenzen vollständig zu schließen. Direkte Lieferungen nach oder aus Russland sind unmöglich geworden und eine direkte Kommunikation mit den in Tiraspol stationierten russischen Verbänden ist vom Wohlwollen der moldawischen Führung abhängig. Unangetastet blieben bis heute die Handelsbeziehungen Transnistriens mit Weißrussland, Kasachstan, anderen GUS-Staaten, und der Ukraine selbst. Das ist die wirtschaftliche Grundlage, auf der Transnistrien bislang überlebt hat. 

In den letzten Jahre schikanierten moldawische Behörden schon mehrmals die russische Seite, indem sie den Durchflug oder die Durchreise russischer Militärs und Politiker untersagten. Und selbst wenn man das moldawische Wohlwollen durch Präferenzen bei Gaslieferungen oder in den Handelsbeziehungen noch erzielen kann, erreicht man Moldau – solange es über die Ukraine nicht möglich ist – von Russland aus nur über mehrere NATO-Mitgliedsländer. Zu der befürchteten großen Blockade Transnistriens kam es bislang indes nicht. Noch nicht. 

Ausgerechnet die Friedensnobelpreisträgerin Europäische Union mischt sich nun auf Seiten von Washingtons Geostrategen eskalierend in die Situation ein und gefährdet damit den Friedensprozess um Transnistrien. Im Jahr 2005 initiierte die EU-Kommission, die sich für die Grenzen außerhalb der EU offensichtlich genauso zuständig fühlt wie für die EU-Außengrenze, die Gründung der European Union Border Assistance Mission to Moldova and Ukraine (EUBAM)  –zu Deutsch: "Unterstützungsmission der Europäischen Union betreffend die Grenze zwischen Moldawien und der Ukraine". Diese Organisation gibt das Geld europäischer Steuerzahler dafür aus, die Grenzkontrollen zwischen Moldawien und der Ukraine – dazu gehört eben auch die Grenze zwischen der Ukraine und Transnistrien – "effizienter" zu gestalten. Zu ihren Rechten gehört die Anwesenheit an der Grenze und die Überwachung der Grenzkontrollen, ein seltener Eingriff in die ureigenen souveränen Rechte, auf die sich die Ukraine und Moldawien da eingelassen haben.  

Bei einem Treffen am 30. November 2021 vermittelte EUBAM nun eine Einigung zwischen der Ukraine und Moldawien, nach der an der ukrainischen Grenze zu Transnistrien nunmehr Grenz- und Zollkontrollen durch moldawische Grenzschützer und Zöllner stattfinden werden. Die EU hat damit faktisch die Schaffung einer Infrastruktur an der ukrainisch-transnistrischen Grenze gefördert, mit deren Hilfe das offizielle Chişinău die Kontrolle über die Einfuhr jeglicher Importe nach Transnistrien vollständig kontrollieren wird, und jederzeit blockieren kann.

Die geltenden moldawischen Zollbestimmungen und Einfuhrbeschränkungen betreffen dabei auch Waren des Grundbedarfs. Die Einfuhr von Lebensmitteln und Medikamenten aus Weißrussland, die bislang den Grundbedarf der transnistrischen Bevölkerung deckte, wird dadurch ab dem 1. Januar unmöglich werden. Transnistrien gerät damit in genau jene Abhängigkeit von den moldawischen Machthabern, die letzteren die Illusion verschaffen wird die Abtrünnigen in die Knie zwingen zu können. Statt der Fortsetzung des Dialogs unter Gleichberechtigten droht nun eine erneute Eskalation, in deren Folge entweder Transnistrien gewaltsam unterworfen wird und seine Bürger ihrer Rechte beraubt werden, oder Russland gezwungen wird zu intervenieren. Letzteres bedeutet aufgrund der geografischen Gegebenheiten den Krieg zwischen Russland und der Ukraine, den sich die westlichen Geostrategen schon so lange herbeiwünschen und herbeischreiben. 

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