Ein Kommentar von Robert Inlakesh
Das unter syrischer Flagge fahrende Schiff Laodicea, das im libanesischen Hafen von Tripoli anlegte, wurde am vergangenen Samstag behördlich festgesetzt. Somit kann eine dringend benötigte Lieferung von Mehl und Gerste nicht zu den Menschen im Land gelangen.
Zu der Maßnahme kam es, nachdem der Westen Drohungen gegen Beirut ausgesprochen hatte, basierend auf einer unbegründeten Behauptung aus Kiew, dass die Fracht der Ukraine gestohlen worden sei. Gegen den Eigner des Schiffes, das seit dem Jahr 2015 wegen angeblicher Transporte von der sanktionierten Krim auf einer schwarzen Liste der USA steht, wird nun ermittelt.
Unter Berufung auf die ukrainische Botschaft in Beirut tauchten am vergangenen Freitag in westlichen Medien Vorwürfe auf, dass vermeintlich gestohlenes Mehl und Gerste in den libanesischen Hafen Tripoli verbracht worden seien und dass Kiew die libanesische Regierung vor einem Aufkauf der Ladung gewarnt habe. Diese Berichte sorgten umgehend für Proteste westlicher Regierungen, die den libanesischen Außenminister Abdallah Bou Habib wegen der angeblich gestohlenen Fracht warnten. Es stellte sich jedoch heraus, dass Kiew keinerlei Beweise dafür hat, dass das Mehl und die Gerste an Bord des Schiffes aus der Ukraine stammen. Trotzdem hat der Libanon infolge des Drucks aus dem Westen das Schiff festsetzen lassen und wird in dieser Angelegenheit gemäß den geltenden Verfahrensvorschriften vorgehen.
Die ukrainische Botschaft in Beirut behauptete gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass "das Schiff von einem Hafen auf der Krim kam, der für die internationale Schifffahrt geschlossen ist und 5.000 Tonnen Gerste und 5.000 Tonnen Mehl an Bord hat, von denen wir vermuten, dass sie aus ukrainischen Silos stammen" – ohne jegliche Beweise zur Untermauerung der vorgebrachten Behauptung zu liefern.
Ein Sprecher des für den Import des Getreides verantwortlichen Privatunternehmens Loyal Agro mit Sitz in der Türkei bestritt nicht nur, dass es sich bei der Ladung um Getreide aus der Ukraine handelt, sondern stellte auch klar, dass das Schiff insgesamt 8.000 Tonnen Mehl und 1.700 Tonnen Gerste an Bord hat. Das Schiff soll ausschließlich nach privaten Käufern im Libanon Ausschau gehalten haben – und nicht danach, die Ladung an die libanesische Regierung zu verkaufen. Nach dem Stopp in Tripoli sollte das Schiff weiter in Richtung Syrien fahren.
Darüber hinaus erklärte Russlands Botschaft in Beirut, man habe "keine Informationen über das syrische Schiff oder eine Fracht, die von einem privaten Unternehmen in den Libanon gebracht wurde". Ein Beamter der libanesischen Hafenbehörde erklärte zudem, dass mit der Ladung an Bord des Schiffes "nichts falsch" sei. All dies reichte jedoch nicht aus, um das Problem aus der Welt zu schaffen und Drohungen gegen den Libanon zu verhindern.
Was dieses Problem beunruhigend macht, ist, dass westliche Nationen gemeinsam mit Kiew den Libanon offen – und ohne jegliche Beweise vorzulegen – unter Druck setzen können, seiner Bevölkerung dringend benötigte Grundnahrungsmittel vorzuenthalten. Im vorliegenden Fall möglicherweise über einen längeren Zeitraum, zumindest aber während der 72-stündigen Beschlagnahme des Schiffes und dessen Ladung.
Der Libanon erlebt derzeit den schlimmsten wirtschaftlichen Zusammenbruch aller Zeiten. Das Land leidet unter anhaltendem Mangel an Lebensmitteln, Medikamenten, Strom und weiteren lebenswichtigen Gütern. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen leben heute etwa 78 Prozent der libanesischen Bevölkerung in Armut. Die Lebensmittelknappheit führt zu langen Warteschlangen vor Bäckereien. Die Menschen streiten sich um die begrenzten Vorräte an Brot, was wiederholt zu Schlägereien oder gar Schießereien führt. Die Ukraine-Krise hat die missliche Lage im Libanon noch zusätzlich verschärft, da es an Getreidelieferungen aus der Ukraine mangelt und es aufgrund von Sanktionen gleichzeitig zu Engpässen bei der Einfuhr von Waren aus Russland gekommen ist. Auch die westlichen Sanktionen gegen Syrien haben die Situation eskaliert, da der Libanon in der Vergangenheit wirtschaftlich stark von seinem größeren Nachbarn profitieren konnte.
Kiews Vorgehen, das die Zukunft der bilateralen Beziehungen zwischen dem Libanon und der Ukraine bedroht, könnte man als Erpressung interpretieren. Die Ukraine ist im Besitz von 20 Millionen Tonnen Weizen, den sie noch nicht exportiert hat. Ein Abbruch der Beziehungen zu Beirut könnte bedeuten, dass der Libanon möglicherweise beim zukünftigen Erwerb von Weizen aus der Ukraine außen vor gelassen wird. Die libanesische Regierung ist eindeutig in einer schwachen Position und Kiew versucht nun, unterstützt von der Macht der NATO-Staaten, Beirut mit unbegründeten Behauptungen zu schikanieren, die zwar von allen anderen Beteiligten bestritten werden und ungeachtet dessen, dass offizielle Stellen ihre Behauptungen nicht einmal untermauern können.
Ein weiteres Problem ist die Doppelmoral, die hier im Spiel ist. Während westliche Nationen selbst wirtschaftlich leiden, zögern sie nicht, alle zwei Wochen Milliarden von US-Dollar an Hilfe in die Ukraine zu schicken. Doch wenn es darum geht, Sanktionen dahingehend zu ändern, damit zum Beispiel Ägypten Gas in den Libanon liefern darf, um die Energiekrise im Land zu lindern, dann lehnen die USA dies ab. Dies, obwohl Washington erst grünes Licht versprochen hatte, eine Genehmigung ein Jahr später aber noch immer nicht gegeben hat.
Stattdessen ist der Libanon aufgrund unbewiesener Behauptungen gezwungen, noch mehr zu leiden, indem man ein Damoklesschwert in Form von Grundnahrungsmitteln über seinem Haupte baumeln lässt. Selbstgerecht wie der Westen nun mal gerne handelt und den Libanon davor warnt "gestohlenes" Getreide zu kaufen, vergisst er dabei gerne, dass US-Truppen illegal die fruchtbarsten landwirtschaftlichen Flächen des benachbarten Syriens besetzen – zusätzlich zum Großteil seiner Öl- und Gasfelder.
Den USA wurde wiederholt vorgeworfen, syrisches Getreide und Öl in den Irak geschmuggelt zu haben. Ressourcen, die der syrischen Regierung gehören und die Teil einer Antwort auf die derzeitige Lebensmittelknappheit im Libanon sein könnten.
Übersetzt aus dem Englischen
Robert Inlakesh ist politischer Analyst, Journalist und Dokumentarfilmer und lebt derzeit in London. Er hat aus den besetzten palästinensischen Gebieten berichtet und dort gelebt und arbeitet derzeit für Quds News und Press TV. Er ist Regisseur des Films "Diebstahl des Jahrhunderts: Trumps Palästina-Israel-Katastrophe". Man kann ihm auf Twitter unter @falasteen47 folgen.
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