Eine Analyse von Seyed Alireza Mousavi
Mit dem NATO-Beitritt Schwedens und Finnlands dank letztendlicher Einwilligung der Türkei versucht der Westen mittels seiner medialen Berichterstattung die Einigkeit aller NATO-Mitglieder während der Ukraine-Krise gegen Russland zu demonstrieren: Mit einem Beitritt der Skandinavier würde sich die heutige Landgrenze zwischen Russland und der Allianz von 1.300 auf 2.600 Kilometer verdoppeln, so hieß es in westlichen Medien.
Inzwischen haben sich die Spekulationen über neue Annährungen zwischen Westen und der Türkei im Verlaufe des Ukraine-Krieges verdichtet, nachdem die Türkei kürzlich am Schwarzmeerhafen Karasu ein unter russischer Flagge fahrendes Küstenmotorschiff namens Zhibek Zholy angehalten hatte. Das Schiff soll Getreide geladen haben. Die ukrainische Regierung behauptet, die Russen hätten das "gestohlen". Die Festsetzung eines russischen Frachters "auf Bitten der Ukraine" durch die Türkei wäre eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse.
Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan hat auf der geopolitischen Ebene in den letzten Jahren stets zwischen Russland und den USA laviert. Nun ist zu fragen, ob Türkei aufgrund des Ukraine-Kriegs dabei ist, ihre Schaukelpolitik zugunsten des Westens zu beenden.
Die Türkei hat zwar die Militäroperation Russlands in der Ukraine verurteilt, aber das Land trägt weiterhin nicht die Sanktionen des Westens gegen Russland mit. Um die Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine wieder in Gang zu bringen, vermittelt die Türkei zwischen der Ukraine und Russland, wobei Ankara Moskaus Forderung über eine Lockerung der im Zuge des Ukraine-Krieges verhängten Sanktionen zur Erleichterung von Getreideexporten aus der Ukraine unterstützt. Bezüglich der Festsetzung des Frachtschiffes (Zhibek Zholy) bestätigte Russlands Außenminister Sergei Lawrow am Montag zwar, dass das Schiff russische Eigner habe, aber er fügte hinzu, "ich denke, es gehört Kasachstan und die Ladung wurde im Rahmen eines Vertrags zwischen Estland und der Türkei transportiert". Damit vermied der russische Top-Diplomat einer kritischen Haltung zu der türkischen Aktion.
Zur Aufnahme von Finnland und Schweden in die NATO durch grünes Licht von der türkischen Regierung ist anzumerken, dass die Türkei die entsprechende NATO-Absichtserklärung anders als ihre westlichen Partner interpretiert. Während der Westen die NATO-Norderweiterung als einen "historischen Moment" feiert, bezeichnen die Türken den neuen NATO-Zuwachs schlicht als einen "Sieg der Türkei". Der türkische Sender TRT kritisiert, dass westliche Medien den Diskurs um den NATO-Beitritt von Schweden und Finnland in eine ganz andere Richtung lenken wollten. Erdoğan gehe als "klarer Sieger hervor", "denn das Land bekommt das, was es wollte" – unter anderem die Auslieferung mehrerer kurdischer PKK-Aktivisten an die Türkei und Aufhebung des Waffenembargos gegen Ankara.
In den NATO-Mitgliedsstaaten beginnt mittlerweile die Ratifizierung der Protokolle zur NATO-Aufnahme Schwedens und Finnlands. Mehrere Mitgliedsstaaten wollen dies in Rekordgeschwindigkeit vollziehen. Die türkische Regierung kündigte aber nun an, dass sie das Protokoll überhaupt erst dann an das Parlament weiterleiten wolle, wenn die beiden neuen Mitgliedsstaaten ihre "Versprechen" erfüllt hätten. Erdoğan scheint die Lage weiterhin gelegen zu sein, um dem Westen noch mehr Zugeständnisse abzupressen. Das ist im Übrigen grundsätzlich die Vorstellung der Türkei von der Partnerschaft mit dem Westen innerhalb der NATO.
Während der Ukraine-Krieg weiter tobt, wuchs der Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland zu einem Kalten Krieg um Mittelmeergebiete heran. Von dem erst im März abgegebenen Bekenntnis dieser beiden NATO-Staaten, angesichts des Ukraine-Kriegs auf eine Verbesserung ihrer bilateralen Beziehungen hinzuwirken, ist nichts mehr übrig. Im Mai eskalierte die Lage zwischen Griechenland und Türkei drastisch, nachdem sich der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis bei seinem Besuch in Washington, D.C. gegen amerikanische Rüstungsgeschäfte mit Ankara ausgesprochen hatte – ohne dabei allerdings die Türkei beim Namen zu nennen. Athen ist vor allem an denselben US-Kampfjets wie die Türkei interessiert. In Ankara hat man insbesondere Angst, dass Washington Griechenland mit F16-Jets aufrüstet und damit eine Phase der gewissen Überlegenheit der türkischen Luftwaffe über den strategischen ägäischen Inseln zu Ende zu geht.
Athen hat in letzter Zeit versucht, Ankara den Rang als wichtigster sicherheitspolitischer US-Partner im östlichen Mittelmeer streitig zu machen – auch mit dem Argument, dass sich die Türkei bei der "Isolierung Russlands" quer gestellt habe. Die Militärhilfe an die Ukraine läuft vor allem über griechische Häfen. Erdoğan sieht in der neuen Strategie Griechenlands innerhalb der NATO eine Gefahr für die Türkei, da die NATO auch die Sicherheitsbedenken Ankaras in der Region ins Visier genommen hätte. Hinzu kommt die Frage, inwieweit sich die Türkei dem jüngsten strategischen Konzept der NATO anschließen würde, in dem Russland als eine "Bedrohung" für das Bündnis dargestellt wird. Die Führung in Ankara ist sich dessen bewusst, dass die Türkei bei einem möglichen Krieg zwischen NATO und Russland an vorderster Front in solch einen Konflikt geraten würde.
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