Beweisen Satellitenbilder die Kriegsverbrechen von Butscha?

Satellitenbilder werden in westlichen Medien als Beleg präsentiert, dass die Leichen in Butscha bereits am 19. März auf den Straßen lagen. Diese "Beweisführung" trägt jedoch eher dazu bei, an der Darstellung der Ukraine zu zweifeln.

Eine Analyse von Bernd Murawski

Die Satellitenbilder von Maxar Technologies werden in westlichen Medien als Beleg präsentiert, dass die Leichen bereits am 19. März auf den Straßen lagen. Diese "Beweisführung" trägt jedoch eher dazu bei, an der Darstellung der Ukraine zu zweifeln.

Für den Zeitraum zwischen dem 30. März und dem 3. April gibt es allenfalls Hinweise, wer für die Ermordung der Personen auf der Yablunska-Straße verantwortlich sein könnte. Erst nach einer forensischen Untersuchung der Toten und einer Befragung der Anwohner und anderer Zeugen wird es möglich sein, einen Schuldigen zu benennen. Wenn sich die Leichen aber bereits am 19. März oder früher an derselben Stelle befunden haben, dann hat dies Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit der von beiden Seiten vorgetragenen Versionen.   

Äußerst seltsam erscheint, dass die Toten nicht innerhalb der verfügbaren Zeit von zwei Wochen weggeräumt und beerdigt wurden. Sie wurden nicht einmal zugedeckt wie an anderen Kriegsschauplätzen in der Ukraine. Die Gegend war zu diesem Zeitpunkt offenbar bewohnt, und Beschuss gab es nur sporadisch, wie die weitgehend intakten Gebäude belegen (im Gegensatz etwa zu Mariupol). Hatten die Toten keine Verwandten? Oder sah sich sonst niemand aufgefordert, die Leichen wegzuschaffen, allein schon aus hygienischen Gründen? 

Die Temperaturen waren in der zweiten Märzhälfte durchgehend im positiven Bereich und stiegen tagsüber weit über zehn Grad. Dass der Verwesungsprozess bereits nach einer Woche vom Äußeren einer Person nicht viel übrig lässt, zeigen Bilder auf einer entsprechenden Wikipedia-Seite. Die Leichen sahen aber, soweit man dies erkennen konnte, recht frisch aus, als wären sie erst vor ein paar Tagen gestorben.

Mit diesen Zweifeln soll ukrainischen Behauptungen über Gräuel der russischen Seite an anderen Orten nicht die Glaubwürdigkeit abgesprochen werden. Nicht nur im ukrainischen Asow-Bataillon, sondern auch in den russischen Verbänden kämpfen Erznationalisten, die schwer zu zügeln sind. Ebenso wurde den Kadyrow-Truppen wiederholt vorgeworfen, international anerkannte Regeln der Kriegsführung zu missachten. Es erscheint dennoch als höchst unwahrscheinlich, dass – sollten die Täter von Butscha der russischen Armee angehören – die Spuren nicht beseitigt wurden. Besonders deshalb, weil einige Leichen gefesselt waren und durch Genickschuss hingerichtet wurden, was ein klares Kriegsverbrechen darstellt. Zur Räumung des Tatorts bestand genügend Zeit, und das Ereignis hätte sich mit Sicherheit herumgesprochen. Gleichwohl hätte der Bürgermeister davon wissen müssen, was aber in seiner Rede vom 01. April keine Erwähnung fand.

Sind die Satellitenaufnahmen also manipuliert? Der russische Journalist Alexander Newsorow, der die Militäraktion seines Landes verurteilte, hält die Bilder vor dem eigenen Erfahrungshintergrund für echt. Als Beleg für deren Authentizität wird ferner angegeben, dass Maxar Technologies andernfalls die Reputation des Unternehmens aufs Spiel setzen würde. Dass eine Fälschung ohne Weiteres möglich ist, bestätigen Bildbearbeitungsexperten, zumal Satellitenaufnahmen eine schwache Auflösung haben. Sollte tatsächlich eine Bildmanipulation nachgewiesen werden, dann wird diese Information kaum an die breite Öffentlichkeit gelangen. Falls dennoch, könnte das Unternehmen angesichts der aktuellen Stimmungslage mit Sympathie und Verständnis rechnen.

Abschließend ist zu betonen, dass der Nachweis einer gezielten Nachbearbeitung der Satellitenbilder nicht automatisch bedeutet, dass die russische Darstellung korrekt ist. Einseitige Berichterstattung, Verzerrung von Fakten und unmittelbare Lügen sind Bestandteil jeder Kriegspropaganda, auf beiden Seiten. Es bleibt zu hoffen, dass die Wahrheit über die Morde von Butscha an die Öffentlichkeit kommt. Jedoch ist zu befürchten, dass die im Westen erfolgte Vorverurteilung Russlands eine überparteiliche Untersuchung unmöglich macht.

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