Eine Analyse von Seyed Alireza Mousavi
Eine Nachricht vom Ukraine-Krieg hat am Freitag für Schlagzeilen gesorgt. Tschetschenische Kämpfer sollen nach Angaben vom Oberhaupt der tschetschenischen Republik Ramsan Kadyrow die Kontrolle über das Rathaus der seit Wochen eingekesselten südukrainischen Hafenstadt Mariupol übernommen haben.
Nur zwei Tage nach Beginn der russischen Militäroperation in der Ukraine hatte Ramsan Kadyrow bereits den Einsatz seiner Spezialeinheiten in der Ukraine angekündigt. Zu Beginn des Krieges kamen aus Tschetschenien Videos von der Mobilisierung, in denen zu sehen war, dass sich in Grosny Hundertschaften schwarz gekleideter Männer versammelten, um ihre Bereitschaft zu zeigen, den russischen Truppen in der Ukraine beizuspringen.
Bereits im Zuge der Wiedervereinigung der Krim im Jahr 2014 sollen angeblich Tschetschenen die russischen Truppen bei Operationen der im Wesentlichen kampflosen Besetzung unterstützt haben. Zuvor hatten tschetschenische Kämpfer auch am Krieg in Georgien 2008 teilgenommen. Der Präsident der tschetschenischen Republik Kadyrow hatte bereits Männer nach Syrien geschickt, um dort russische Militäroperation gegen islamistische Terrorgruppen zu unterstützen. Kadyrow hatte seinerzeit bekanntgegeben, dass die Mehrheit der russischen Militärpolizisten in Syrien Tschetschenen seien.
Die tschetschenischen Kämpfer gelten als kampferprobt. Die Kämpfer hätten Erfahrung im "Häuserkampf" und könnten den russischen Truppen demnach auch bei der Einnahme Kiews helfen, da einige der älteren Kämpfer über Erfahrungen aus dem Häuserkampf um Grosny verfügen. Die "Kadyrowzy" bilden ein Spezialregiment innerhalb der russischen Nationalgarde, die dem Innenministerium untersteht. Die Mitglieder der Einheit sind ehemalige Mitglieder des Sicherheitsdienstes des Ex-Präsidenten der Tschetschenischen Republik Achmat Kadyrow, dem Vater von Ramsan Kadyrow. Wie viele Männer genau von dieser Einheit in die Ukraine geschickt wurden, ist nicht nachprüfbar.
Tschetschenien: Kampf gegen Wahhabismus
Der inzwischen 45-jährige Ramsan Kadyrow kam 2007 an die Macht, drei Jahre nachdem sein Vater, der frühere tschetschenische Präsident Achmat Kadyrow, ermordet worden war. Die beiden kämpften im Ersten Tschetschenienkrieg (1994-1996) noch auf der Seite der separatistischen Kräfte, aber im Zweiten Tschetschenienkrieg (1999-2000) hatten sie die Seiten gewechselt und halfen der russischen Armee, die Separatisten zu besiegen. Kadyrow ist Moslem und Anhänger des sunnitischen Sufismus. Nach Ansicht von Kadyrow haben Ende 2010 die Führung und die Geistlichen der Republik einen Sieg gegen den Wahhabismus in Tschetschenien errungen. Kadyrow bezeichnete die Wahhabiten als Feinde des Islam, die den Weg in die Hölle gehen würden.
Im Jahr 2014 wurde Kadyrow im Zusammenhang mit der russischen Politik in Bezug auf die Ukraine auf die Sanktionsliste der Europäischen Union gesetzt. 2017 verhängten zudem die USA Sanktionen gegen den tschetschenischen Präsidenten wegen seiner "Menschenrechtsbilanz". Während seiner 15-jährigen Amtszeit als Präsident Tschetscheniens präsentierte sich Kadyrow als Garant des Friedens, ging hart gegen Separatisten vor, während er Anti-Terror-Operationen startete. In seiner Rhetorik und politischen Tätigkeit hat Kadyrow regelmäßig seine Treue gegenüber Präsident Putin bewiesen, indem er sich für Souveränität und territoriale Integrität Russlands einsetzt. Im Gegenzug bekam er in Russland ein hohes Maß an Autonomie für Tschetschenien eingeräumt, während Moskau mittlerweile auch riesige Geldsummen in diese muslimische Region im Süden Russlands gepumpt hat, um sie wieder aufzubauen.
Den Berichten zufolge sollen tschetschenische Kämpfer Teil des russischen Konvois sein, welcher derzeit in Richtung Kiew vorrückt. Spezialeinheiten von Tschetschenen sollen sich auch in der belagerten Stadt Mariupol befinden. Laut Kadyrow, der sich selbst auch als "Putins Fußsoldat" bezeichnet, waren seine tschetschenischen Kämpfer an vorderster Front in Mariupol im Einsatz. Inzwischen sagt das Oberhaupt von Tschetschenien, seine Einheiten hätten die ukrainische Hauptstadt schnell erobern können, doch es gelte, menschliche Verluste zu vermeiden. Seine Truppe soll nach ukrainischer Darstellung angeblich Jagd auf ukrainische Politiker machen. Der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij sprach von einer Liste, und behauptete, er selbst sei die Nummer eins darauf.
Es bleibt allerdings weiterhin unklar, ob tschetschenische Kämpfer bei Gefechten an der Frontlinie teilnahmen hätten. Laut Experten im Westen gehöre der sichtbare Einsatz von Tschetschenen zur "psychologischen Kriegsführung": "Bei der [psychologischen Operation] handelt es sich darum, die Menschen glauben zu machen, dass das, was in Tschetschenien passiert ist, auch in der Ukraine passieren wird", hieß es bei Foreign Policy. Die Lage könnte sich jedoch ändern, wenn sich der Krieg in die Länge zieht und es um die Städte geht. Die Tschetschenen sind dafür bekannt, dass sie beim Häuserkampf Kampferfahrung haben.
Tschetschenische Dschihadisten kämpfen auf ukrainischer Seite
Auch die Ukrainer sollen ausgewanderte Tschetschenen in ihren Reihen haben – und zwar jene, die erbitterte Gegner von Kadyrow sind und als Separatisten gelten. Der in Großbritannien lebende tschetschenische Exilpolitiker Achmed Sakajew hatte bereits tschetschenische Separatisten in Europa dazu aufgerufen, sich dem Krieg in der Ukraine gegen die russische Armee anzuschließen. Exiltschetschenen, die gegen Kadyrow sind, haben in den letzten Jahren Gelegenheiten ergriffen, den inneren Kampf um Tschetschenien im Ausland auszutragen: in Syrien, im Donbass und nun in der gesamten Ukraine.
Die Beteiligung tschetschenischer Kämpfer unter der Führung von Kadyrow an dem russischen Krieg in der Ukraine hat inzwischen auch einen Streit unter den Islamisten in Idlib ausgelöst. Die Dschihadisten in Idlib ihrerseits verurteilen Kadyrow und seine Soldaten, die an dem Ukraine-Krieg teilnehmen, als "ungläubige Abtrünnige", die vom Glauben abgefallen seien.
Laut Al-Monitor-Informationen haben sich zahlreiche Dschihadisten in Idlib, unter anderem solche mit tschetschenischen Wurzeln, bereit erklärt, an der Seite der ukrainischen Regierung gegen Russen zu kämpfen. Dschihadisten in Idlib möchten Teil der "muslimischen Kämpfer" sein, die in der Ukraine gegen die Russen kämpfen, hieß es bei Al-Monitor.
Mittlerweile ist das Auftauchen separater Einheiten, die aus tschetschenischen Oppositionellen gegen Kadyrow bestehen, in der Ukraine bereits Realität geworden. Kommandeure zweier Bataillone, bestehend aus tschetschenischen Freiwilligen, erklärten kürzlich, dass sie sich an der "Verteidigung" der Ukraine beteiligen wollen. Ein Bataillon von Freiwilligen ist nach dem ersten tschetschenischen Präsidenten Dschochar Dudajew benannt, angeführt von Adam Osmajew. Ein anderes ist nach Scheich Mansur benannt, angeführt vom Muslim Cheberlojewski.
Im Ukraine-Krieg scheinen beide gegnerische Seiten angeworbene muslimische Kämpfer aus Tschetschenien für den Kampf nutzen zu wollen. Es besteht nun sogar die Gefahr, dass der Ukraine-Krieg zum Schauplatz eines Bruderkrieges zwischen tschetschenischen Muslimen wird, falls sich der Krieg in Länge zieht. Der Einsatz der muslimischen Kämpfer wird diesen Krieg an der Grenze zu EU mit der überregionalen Dynamik verbinden, wobei der Krieg unter anderem Islamisten beider Seiten ein Stück näher an die Grenze zum Westen bringt.
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