Kampf um Deutungshoheit: Ist Russland wegen des Ukraine-Krieges international "isoliert"?

Obwohl der Westen sich im Rahmen seines Informationskrieges bemüht, Russland als "isoliert" darzustellen, zeigte die Abstimmung zur Verurteilung des Ukraine-Krieges bei der UN-Vollversammlung, dass bedeutende nicht-westliche Staaten nicht bereit sind, dem Westen bei der Isolation Russlands zu folgen. Im Ukraine-Krieg ist nicht Russland, sondern die Ukraine isoliert, die nach den Worten Selenskijs vom Westen alleingelassen wurde.

von Seyed Alireza Mousavi

Eine mediale Darstellung des Ukraine-Krieges mittels gängiger Narrative prägt nun die öffentliche Berichterstattung und Wahrnehmung im Westen und dient den Eliten zur Durchsetzung ihrer hybriden Kriegsführung gegen Russland. Die Medien-Propaganda geht allerdings mitten im Ukraine-Konflikt mit der gezielten Ausschaltung jener Alternativ-Medien einher, deren Darstellung von dem Narrativ des Westens abweicht. 

Der Westen versucht seit dem Beginn des Ukraine-Krieges die Kremlführung international zum Außenseiter zu machen. Insbesondere wird seit der mehrheitlichen Verurteilung von Russlands Angriff der Ukraine auf der UN-Vollversammlung am 2. März dieses Abstimmungsergebnis durch die führenden Medien ununterbrochen gefeiert. Dabei stellt der Westen in seiner Berichterstattung Russland als "isolierten Akteur" auf geopolitischen Ebene dar, da 141 UNO-Mitgliedsstaaten für die Resolution gestimmt hatten, die Russlands Offensive in der Ukraine verurteilt. 

Obwohl der Westen sich bemüht, im Rahmen seines Informationskrieges Russland als "Aggressor" und "isoliert" darzustellen, ließen sich in der UNO mehrere bedeutende Staaten davon nicht beeindrucken. Die Mainstream-Medien haben sich in ihrer Berichterstattung auf die Anzahl der Länder fokussiert, die in der UNO den Krieg verurteilten, während sie einen weiteren, aber noch wichtigeren Aspekt dieses Abstimmungsergebnisses in der UNO heruntergespielt hatten. 35 Staaten enthielten sich nämlich der Stimme. Zu diesen Staaten, welche die russische Offensive gegen die Ukraine also nicht verurteilten, gehören in Asien insbesondre die Großmacht China sowie die wichtigsten regionalen Mächte wie Indien, Pakistan und Iran.

Diese Länder spielen auf der geopolitischen Ebene eine entscheidende Rolle und ohne Zustimmung dieser Staaten kann der Westen Russland nicht isolieren – zumindest immerhin in Asien. Mit anderen Worten scheint in Asien kaum ein bedeutender Staat bereit zu sein, den US-Amerikanern und Europäern bei der angestrebten Isolation Russlands zu folgen. Dieser Aspekt ist insofern entscheidend, als die internationale Konfliktzone längst in die Indopazifische Region verlagert worden ist.

Verärgerung rief im Westen insbesondere das Verhalten Indiens in der UNO hervor. Indien wurde bereits von Präsident Joe Biden vergeblich aufgerufen, der "Aggression" Russlands in der Ukraine entgegenzutreten. Die Enthaltung der Vertreter Delhis in der UNO ist für USA ein geopolitisches Desaster, da das Land auch zugleich Mitglied des gegen China gebildeten indopazifischen Vierer-Bündnisses Quad (Quadrilateral Security Dialogue) ist. Die Ukraine-Krise hat nebenbei gezeigt, dass die Pläne für ein vertieftes Engagement des Westens im Indopazifik nicht so gut laufen. Die andere Atommacht Pakistan hatte ebenfalls unmissverständlich deutlich gemacht, dass das Land dem westlichen Narrativ über den Ukraine-Krieg nicht folgt. Genau zu dem Zeitpunkt, als der russische Angriff auf die Ukraine begann, reiste Ministerpräsident Imran Khan – trotz heftiger Kritik von westlicher Seite – zu einem lange geplanten Besuch nach Moskau und traf dort auch den Präsidenten Wladimir Putin.

Kurz vor der Abstimmung in der Dringlichkeitssitzung der UN-Generalversammlung hatten von den 15 Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates elf für den Entwurf zur Verurteilung des Krieges in der Ukraine gestimmt. Dabei enthielten sich also nicht nur China und Indien, sondern auch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) als enge US-Verbündete im Nahen Osten. Obwohl die VAE seit Langem mit den USA im Nahen Osten verbündet sind, markiert diese Enthaltung im UN-Sicherheitsrat zugleich eine neue Phase, in der die Golfstaaten dabei sind, ihre Beziehungen zur globalen Akteuren in einer neuen Weltordnung auszubalancieren, in der die USA nicht mehr der dominante Machtfaktor sind. 

Und obwohl sich Länder wie Brasilien oder Argentinien in Latina-Amerika oder Israel im Nahen Osten auf Druck der US-Regierung in der UNO hinter eine Verurteilung Russlands stellten, haben sie bereits auch widersprüchliche Signale gesandt, was sogleich Verärgerungen im Westen hervorrief. Der brasilianische Botschafter Costa Filho forderte kürzlich die Konfliktparteien auf, die Charta der UNO einzuhalten, aber er vermied es, Russland gleichlautend zur Darstellung der westlichen Medien als "Aggressor" zu bezeichnen. Israel versucht zudem, seine Neutralität in der Ukraine-Frage beizubehalten, da das Land seit der russischen Militärintervention auf Wunsch Syriens im Jahre 2015 eine funktionierende Sicherheitskoordination mit Russland pflegt.

Zudem hatten sich mehrere afrikanische Länder der UN-Resolution zur Verurteilung des Kriegs gegen die Ukraine nicht angeschlossen. Insbesondere die Enthaltung Südafrikas in der UN-Vollversammlung hat im Westen für Aufsehen gesorgt. Die Regierungspartei ANC hat noch aus der Zeit des Widerstandskampfes gegen die Apartheid enge Beziehungen zu Russland. Für die afrikanischen Staaten, die der Resolution zur Verurteilung Russlands nicht zustimmten, dürften noch weitere Gründe eine Rolle gespielt haben: von historischen Beziehungen zur damaligen Sowjetunion bis hin zum jüngst stärkeren wirtschaftlichen und militärischen Engagement Russlands in Afrika. Der Westen leidet auch im Fall Malis unter einem erkennbaren Glaubwürdigkeitsverlust. Russland wird nun als verlässlichere Alternative zu Frankreich, der ungeliebten ehemaligen Kolonialmacht in Mali wahrgenommen. 

Im Ukraine-Krieg ist nicht Russland isoliert, sondern vielmehr die Ukraine selbst. Kiew wurde – nach den Worten von Wladimir Selenskij – vom Westen alleingelassen. "Wir sind allein, um unser Land zu verteidigen. Wer wird nun mit uns kämpfen? Um ehrlich zu sein, sehe ich niemanden", sagte er kürzlich in einer Videobotschaft. 

Die Weltherrschaft des Westens und sein Weltordnungsanspruch wurden seit dem Debakel in Afghanistan massiv gefährdet, während die Politik der sogenannten "Demokratieförderung" vom Westen weltweit an Glaubwürdigkeit verloren hat. Der Ukraine-Krieg beweist zudem, dass sich die Welt für den Westen tatsächlich auf die westliche Hemisphäre beschränkt, wobei die nicht zur westlichen Wertegemeinschaft zählende Welt im Zuge des Ukraine-Krieges vom Westen als "unzivilisiert" gebrandmarkt wurde. Insofern zählen die Stimmen der bedeutenden, aber nicht "westlichen" Staaten wie China und Indien für den Westen gar nicht. Die Medien schaffen allerdings in den USA angesichts der Flucht von Menschen vor dem Ukraine-Krieg mittlerweile eine Zwei-Klassen-Gesellschaft unter Flüchtlingen. Während dem europäischen, "weißen" Schutzsuchenden voller Mitgefühl begegnet wird, relativieren oder verschweigen Journalisten wie bisher das Leid nicht-europäischer Flüchtlinge.

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