Afghanistan: EU eröffnet "minimale Präsenz"

Die EU hat begonnen, wieder eine "minimale Präsenz" in Afghanistan einzurichten. Botschafter werden aber nicht vor Ort sein. Am Wochenende sind zudem Gespräche in Oslo geplant, zu denen Vertreter der Taliban sowie mehrerer westlicher Staaten eingeladen wurden.

Die Europäische Union hat am Donnerstag angekündigt, dass sie mit der Wiederherstellung einer "minimalen Präsenz" in der afghanischen Hauptstadt Kabul begonnen hat.

Seit der Machtübernahme der Taliban hat die EU so erstmals wieder eine offizielle Vertretung in dem Land, in der internationale Delegationsmitarbeiter vor Ort sein sollen, um die Lieferung von humanitärer Hilfe zu erleichtern und die humanitäre Lage zu überwachen. Das erklärte ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell am Freitag.

"Unsere minimale Präsenz in Kabul darf in keiner Weise als Anerkennung" der dortigen Taliban-Regierung verstanden werden", so Sprecher Peter Stano in einer Erklärung. "Dies ist auch den De-facto-Behörden klar mitgeteilt worden", betonte er.

Die Taliban hatten zuvor mitgeteilt, dass nach mehreren Treffen und einer Einigung mit EU-Vertretern die EU "ihre Botschaft mit einer permanenten Präsenz offiziell eröffnet und praktisch den Betrieb aufgenommen" habe. Aus EU-Kreisen hieß es, ein Botschafter werde nicht vor Ort sein.

Bisher hat kein Land der Welt die Taliban-Regierung anerkannt. Seit der militärischen Machtübernahme der Taliban im August 2021 sind die Botschaften westlicher Länder in Kabul geschlossen, darunter auch die deutsche Botschaft. Die diplomatischen Missionen mehrerer Länder, darunter Russland, China, die Vereinigten Arabischen Emirate und Iran, sind aktuell geöffnet und mit Botschaftern besetzt. Seit der Schließung der US-Botschaft in Kabul vertritt das Golfemirat Katar die Interessen der Vereinigten Staaten in Afghanistan.

Gespräche in Oslo

Am Freitag teilte die Regierung Norwegens mit, dass die Taliban zu Gesprächen über die Situation in Afghanistan nach Oslo eingeladen wurden. Sie sollen von Sonntag bis Dienstag stattfinden. Außer Vertretern Norwegens, der Taliban und anderer afghanischer Gruppen, darunter Frauen, Journalisten und Menschenrechtler, sollen auch EU-Gesandte und Vertreter aus den Vereinigten Staaten, Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien teilnehmen, wie die norwegische Zeitung VG berichtete. Ein Sprecher der Taliban bestätigte die Teilnahme auf Twitter. Eine hochrangige Delegation unter der Leitung des amtierenden Außenministers Amir Chan Muttaki werde nach Oslo reisen. Zuvor waren Vertreter der Taliban nach Russland, Iran, Katar, Pakistan, China und Turkmenistan gereist. 

Norwegen hatte Geheimgespräche zwischen den USA und den Taliban eröffnet, als sich bereits im Jahr 2013 abzeichnete, dass der Konflikt militärisch nicht zu gewinnen sei. Dies führte zur Eröffnung des politischen Büros der Taliban in Doha (Katar), wo Washington 2018 die Verhandlungen über den endgültigen Abzug der US- und NATO-Truppen aus Afghanistan einleitete, die im August in dem chaotischen Ende des Krieges gipfelten. Das Außenministerium in Oslo erklärte, Afghanistan leide aktuell neben den Auswirkungen des jahrelangen Konflikts unter Dürre, Pandemien und dem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Rund 24 Millionen Menschen sind demnach von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen.

Afghanistan war unter der vorherigen, von den USA unterstützten Regierung nahezu vollständig von ausländischer Hilfe abhängig und befindet sich angesichts eingestellter Milliardenhilfen und Sanktionen in einer schweren wirtschaftlichen und humanitären Krise. UN-Generalsekretär António Guterres hatte Washington und die Weltbank im Januar aufgefordert, dem afghanischen Finanzsystem eine Liquiditätsspritze zu verabreichen. Guterres warnte davor, dass das von den Taliban kontrollierte Land vor einer Art "Kernschmelze" stehe, die zu Armut, Hunger und Elend für Millionen von Menschen führen würde. Nach UN-Angaben dürften in diesem Jahr 4,7 Millionen Menschen in Afghanistan an schwerer Unterernährung leiden, davon 3,9 Millionen Kinder. Hunderttausenden von ihnen drohe ohne zusätzliche Hilfe der Hungertod.

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