Der US-Senator und ehemalige demokratische Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders hat die US-Regierung von Joe Biden aufgefordert, die von Washington eingefrorenen afghanischen Gelder in Milliardenhöhe "sofort freizugeben". Die Mittel seien notwendig, um eine Krise in dem südzentralasiatischen Land abzuwenden und zu verhindern, dass Millionen von Menschen an Hunger und Unterernährung sterben.
Der Appell des 80-jährigen Senators aus Vermont kommt nur wenige Tage, nachdem UN-Generalsekretär António Guterres Washington und die Weltbank aufgefordert hatten, dem afghanischen Finanzsystem eine Liquiditätsspritze zu verabfolgen. Guterres warnte letzte Woche davor, dass das von den Taliban kontrollierte Land am Rande einer "Kernschmelze" stehe, die zu Armut, Hunger und Elend für Millionen von Menschen führen würde.
Im vergangenen Monat hatte eine Gruppe von 46 Demokraten aus dem Repräsentantenhaus unter der Leitung von Pramila Jayapal die Biden-Regierung in einem Schreiben aufgefordert, die US-Politik des Einfrierens von Vermögenswerten in Afghanistan zu ändern. In dem Schreiben äußerten sie ihre Sorgen:
"Wir befürchten, ebenso wie Hilfsorganisationen, dass die Beibehaltung dieser Politik im kommenden Jahr mehr zivile Todesopfer fordern könnte als in 20 Jahren Krieg."
Große internationale Hilfsorganisationen, darunter das von den Vereinten Nationen unterstützte Welternährungsprogramm, beklagten, dass die Entscheidung Washingtons, die Finanzmittel Afghanistans einzufrieren, zu einer Inflationskrise und einer Dürre geführt habe. Dadurch seien fast 23 Millionen Afghanen von "akutem Hunger" bedroht.
Laut einer Schätzung des Welternährungsprogramms leiden in Afghanistan bereits fast 3 Millionen Kinder an Unterernährung. Letzten Monat erklärte die größte humanitäre Organisation der Welt, dass sie jeden Monat 220 Millionen Dollar benötige, um den von Unterernährung und Hunger bedrohten Afghanen Nahrungsmittelhilfe zukommen zu lassen.
Die Regierung Biden hat ihrerseits die Freigabe der Mittel für Afghanistan davon abhängig gemacht, dass die Taliban die bei der Unterzeichnung des Friedensabkommens von Doha eingegangenen Verpflichtungen einhalten. Diese beinhalten unter anderem die Bildung einer inklusiven Regierung, in der alle wichtigen ethnischen Gruppen vertreten sind, und die die Rechte von Frauen und anderen Minderheiten respektiert.
Die USA und mehrere internationale Institutionen haben angesichts der Besorgnis über eine drohende humanitäre Katastrophe den Fluss von Geldern nach Afghanistan bereits mehrfach gelockert. Die Weltbank erklärte letzten Monat, dass sie 280 Millionen Dollar für das Welternährungsprogramm (WFP) und das Kinderhilfswerk UNICEF, die beide in Afghanistan tätig sind, freigeben werde, um der afghanischen Bevölkerung die dringende humanitäre Hilfe zukommen lassen zu können. In der Erklärung der Weltbank heißt es:
"UNICEF wird 100 Millionen US-Dollar erhalten, um in Zusammenarbeit mit der WHO grundlegende Gesundheitsdienste durch die am Sehatmandi-Programm (Verteilung der Hilfe durch Partner-NROs) beteiligten Anbieter bereitzustellen, und das WFP wird 180 Millionen Dollar erhalten, um die Maßnahmen zur Ernährungssicherheit und Ernährung im Land auszuweiten."
Im Dezember nahm der UN-Sicherheitsrat eine Resolution einstimmig an, die die Bereitstellung von Mitteln aus den eingefrorenen Vermögenswerten für die humanitäre Hilfe in Afghanistan genehmigt. Wenige Tage nach der Verabschiedung der Resolution durch den UN-Sicherheitsrat erklärte US-Außenminister Antony Blinken auf seiner Jahresend-Pressekonferenz am 31. Dezember, dass die Liquiditätsspritze für das afghanische Finanzsystem eine der Prioritäten der Regierung Biden für das Jahr 2022 sei.
Auch Russland und China forderten die westlichen Länder auf, dem afghanischen Volk Hilfe zu leisten. Der russische Präsident Wladimir Putin warnte auf seiner Jahrespressekonferenz im vergangenen Monat, dass die humanitäre Krise in Afghanistan Folgen für die Nachbarländer haben könnte:
"Jetzt ist es notwendig, dem afghanischen Volk Hilfe zu leisten. Und das sollten in erster Linie die Länder tun, die der afghanischen Wirtschaft und Gesellschaft so großen Schaden zugefügt haben. Diejenigen, die seit 20 Jahren dort sind und die Wirtschaft zerstört haben, müssen zuerst Hilfe leisten."
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