Die ohnehin seit Jahren äußerst angespannten Beziehungen zwischen der NATO und Russland erreichten zuletzt erneut einen Tiefpunkt. Am 6. Oktober entzog das Militärbündnis acht Mitarbeitern der russischen Mission bei der Organisation die Akkreditierung. Die NATO warf den Diplomaten Spionagetätigkeit vor. Die russische Regierung kündigte daraufhin an, die Arbeit seiner ständigen NATO-Vertretung – einschließlich die des obersten militärischen Vertreters – ab dem 1. November einzustellen. Die Grundlage für eine ernsthafte diplomatische Arbeit sei nun endgültig nicht mehr gegeben, so der russische Außenminister Sergei Lawrow. Laut dem russischen Top-Diplomaten sei die NATO offensichtlich nicht "an einem gleichberechtigten Dialog interessiert".
Der deutsche Außenminister Heiko Maas zeigte sich beunruhigt: "Es ist mehr als nur bedauerlich, diese Entscheidung aus Moskau wird die Beziehungen ernsthaft beschädigen."
Aktuellen Berichten nach zu urteilen, sind die Verteidigungsminister des transatlantischen Militärbündnisses NATO nun drauf und dran, sich auf einen "neuen Masterplan" zu einigen, um sich nach eigenem Bekunden gegen jedwede multidimensionale russische Bedrohung zur Wehr setzen zu können. Dies berichtet die Nachrichtenagentur Reuters mit Verweis auf Diplomatenkreise.
Die demzufolge vertrauliche Strategie gehe "über die bestehenden regionalen Verteidigungspläne hinaus".
"(Sie) zielt darauf ab, sich auf jeden gleichzeitigen Angriff in der Ostseeregion und im Schwarzmeerraum vorzubereiten, möglicherweise auch mit Atomwaffen, durch Hacken von Computernetzen oder aus dem Weltraum."
Parallel dazu erklärte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg nach der geplanten Schließung der russischen NATO-Mission, dass der Zug Russlands das "gegenseitige Verständnis" untergrabe. Dennoch, so Stoltenberg weiter, sei das transatlantische Militärbündnis nach wie vor "offen für einen Dialog", was etwa über den NATO-Russland-Rat geschehen könne.
Wie der Norweger weiter mitteilte, bedauere man, dass "die Beziehungen zwischen Russland und der NATO den tiefsten Punkt seit Ende des Kalten Krieges erreicht" hätten. Die Gründe dafür liegen nach NATO-Lesart einzig und allein bei der russischen Regierung.
Was den neuen Masterplan des transatlantischen Militärbündnisses anbelangt, stehe laut erwähnten NATO-Diplomaten und US-Offiziellen zwar kein unmittelbarer Angriff seitens Russland im Raum, doch genau dies sei jedoch zu befürchten. Daher gelte es, sich bereits jetzt zu wappnen, was das "Konzept für Abschreckung und Verteidigung im euro-atlantischen Raum" unabdingbar mache. Dies insbesondere, da Russland fortschrittliche Waffensysteme entwickele und Truppen sowie Ausrüstung näher an die Grenzen der Verbündeten verlege. Man ist sich einig:
"Wenn es zu einem derartigen Großkonflikt kommt, sind Aktivitäten im gesamten Einsatzgebiet erforderlich. Verschiedene Dinge könnten gleichzeitig passieren, und das erfordert wirklich eine ganzheitliche Planung."
Das gemeinsame Bedrohungsszenario soll demnach die "Kohärenz in der kollektiven Verteidigung" stärken helfen. Davon zeigte sich gegenüber Reuters zumindest der ehemalige Kommandeur der US-Truppen in Europa, Ben Hodges, überzeugt. Nun gelte es, sich auf die Schwarzmeerregion zu fokussieren. Dies sei nach Ansicht des US-Generalleutnants "der wahrscheinlichere Krisenherd als das Baltikum".
Auf Grundlage des Bedrohungsnarrativs unterzeichnete US-Verteidigungsminister Lloyd Austin am Montag mit seinem georgischen Amtskollegen Juansher Burchuladze in Tiflis eine Vereinbarung über die Ausweitung der von den USA geleiteten Militärausbildung und versicherte dem Schwarzmeer-Anrainer weitere Unterstützung gegenüber der "russischen Aggression". Bei dieser Gelegenheit wusste Austin von einer "Okkupation" georgischen Territoriums durch Russland zu berichten:
"Ein Punkt, den ich klarstellen möchte, ist, dass die Vereinigten Staaten die anhaltende Besetzung Georgiens und die Versuche Russlands, seinen Einfluss in der Schwarzmeerregion durch militärischen Druck und bösartige Aktivitäten auszuweiten, verurteilen."
Die US-Regierung betrachte die Schwarzmeerregion als entscheidend, um ihre "Vision eines vollständigen, freien und friedlichen Europas zu verwirklichen", beschrieb der US-Militär das mutmaßliche Ansinnen Washingtons. "Die USA haben die demokratische Entwicklung und die Unabhängigkeit Georgiens stets nachdrücklich unterstützt, und wir sind stets bemüht, die demokratischen Institutionen des Landes zu stärken."
Währenddessen äußerte sich auch der britische NATO-Funktionär und nun am Thinktank Friends of Europe beschäftigte Jamie Shea zum Plan, die "Kohärenz in der kollektiven Verteidigung" zu stärken. So könne dieser auch dazu beitragen, "den Fokus auf Russland zu einer Zeit zu festigen, in der die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich indopazifische Strategien entwickeln".
In dieser Region droht laut NATO ein weiterer, sich "aggressiv" gebärdender "systemischer Rivale": China.
Was das am Donnerstag beginnende zweitägige NATO-Treffen in Brüssel anbelangt, erklärte Generalsekretär Stoltenberg, dass die anwesenden Außenminister eine Verstärkung der "kollektiven Verteidigung und den Schutz des Territoriums der Mitgliedsstaaten" zu diskutieren beabsichtigten.
"Die Verbündeten investieren mehr, die Verbündeten stellen mehr High-End-Fähigkeiten zur Verfügung, und nicht zuletzt verstärken wir uns auch in neuen Bereichen wie Cyber, Hybrid und auch im Weltraum."
All das sei entscheidend für die kollektive Sicherheit der politischen und militärischen Allianz. Man habe es nun mit einer anderen Bedrohungslage als während des Kalten Krieges zu tun.
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