Laut einem im Vorfeld des UN-Gipfels für Ernährungssysteme am 23. September veröffentlichten Bericht der UNO schaden 90 Prozent der weltweiten Agrarsubventionen den Menschen und dem Planeten. Der Studie "Eine milliardenschwere Chance – Umwidmung von Agrarsubventionen zur Umgestaltung von Lebensmittelsystemen" zufolge sind Subventionen in der bisherigen Form in mehrfacher Hinsicht sehr teuer – knapp eine halbe Billion Dollar an Subventionen pro Jahr tragen in hohem Maß dazu bei, die Gesundheit von Menschen und Tieren zu schädigen, die Natur und Lebensgrundlagen zu zerstören und die Ungleichheit zu fördern, indem Kleinbauern vom Markt gedrängt werden.
"Die Ernährungssysteme und der Agrarsektor haben beeindruckende Fortschritte gemacht, eine wachsende Bevölkerung zu ernähren, die realen Lebensmittelpreise in vielen Ländern zu senken, die Lebensmittelsicherheit zu verbessern und lebensmittelbedingte Krankheiten zu reduzieren", heißt es in der Studie von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) und dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP).
Doch zeigten aktuelle Untersuchungen, dass die Welt nicht auf dem richtigen Weg ist, um Hunger, Ernährungsunsicherheit und Unterernährung zu beseitigen, sondern mit den bisherigen Mitteln, diese zu verstärken drohe. Demnach waren im vergangenen Jahr mehr als 720 Millionen Menschen auf der Welt mit Hunger konfrontiert, und fast jeder dritte Mensch der Welt (2,37 Milliarden) hatte keinen Zugang zu angemessener Nahrung.
Von den Subventionen profitiere in erster Linie die "übergroße" Fleisch- und Milchindustrie in den reichen Ländern auf Kosten der Umwelt, der menschlichen Gesundheit und der kleineren Erzeuger. Laut der Studie liegt die Nettounterstützung für die landwirtschaftlichen Erzeuger im Durchschnitt bei knapp 540 Milliarden USD pro Jahr und entspricht etwa 15 Prozent des gesamten landwirtschaftlichen Produktionswerts.
Die Studie umfasst dabei nicht alle Subventionen für die Landwirtschaft weltweit, sondern basiert auf verfügbaren Daten aus lediglich 88 Ländern zwischen 2013 und 2018, so dass die Gesamthöhe der Subventionen pro Jahr sogar noch über 540 Milliarden jährlich liegt.
Von den 540 Milliarden wurden etwa 294 Milliarden USD durch Preisanreize und rund 245 Milliarden USD als steuerliche Subventionen für Landwirte geleistet. Rund 70 Prozent der Subventionen waren an die Produktion eines bestimmten Rohstoffs gebunden. Auf diese Weise werden Monokulturen gefördert, der Einsatz umstrittener Agrochemikalien erhöht und die Schieflage zugunsten weniger Erzeuger verstärkt. Außerdem werden laut dem Bericht vorrangig ungesunde Produkte, wie Zucker und emissionsintensive Produkte (Rindfleisch, Milch und Reis), weltweit am meisten unterstützt, während nahrhaftere Lebensmittel wie Obst und Gemüse weit weniger gefördert werden.
Zudem wird ein bedeutender Anteil der produzierten Lebensmittel nicht einmal verwertet, sondern durch Müll zu einer weiteren Umweltbelastung, laut Schätzungen sind dies etwa ein Drittel, nach früheren Schätzungen des WWF sogar 40 Prozent.
Außerdem werden in großem Maß Lebensgrundlagen zerstört, so Böden, Grundwasser und Wald, durch den übermäßigen Einsatz von Düngemitteln, indem Rindfleisch und Milch die höchsten Subventionen erhielten – ausgerechnet jene Sektoren, in denen massive Industriekonzerne agieren. Große industrielle Agrarkonzerne sind nicht nur Nutznießer der bisherigen Politik, sondern zudem bedeutende politische Akteure, meist weiter zum Nachteil der natürlichen Ressourcen und der Mittellosen. Bekannt ist beispielsweise der Fall des brasilianischen Fleisch-Konzerns JBS, der mit Korruption, Verstößen gegen Umwelt- und Indigenenrechte sowie schlechte Arbeitsbedingungen in Verbindung gebracht wird.
"Dieser Bericht ist ein Weckruf für Regierungen auf der ganzen Welt, die landwirtschaftlichen Stützungsregelungen zu überdenken, um sie zweckdienlich zu gestalten und unsere Agrar- und Ernährungssysteme umzugestalten und zu den vier wichtigsten Zielen beizutragen: bessere Ernährung, bessere Produktion, bessere Umwelt und ein besseres Leben", so Qu Dongyu, der Generaldirektor der FAO.
Laut Joy Kim vom UNEP ist die Landwirtschaft für ein Viertel der Treibhausgasemissionen, 70 Prozent des Verlusts an biologischer Vielfalt und 80 Prozent der Entwaldung verantwortlich.
Der Leiter des UNDP, Achim Steiner, betonte, dass die Umlenkung der Subventionen auch die Lebensgrundlage der 500 Millionen Kleinbauern weltweit verbessern würde, indem die ungleichen Wettbewerbsbedingungen zur industriellen Landwirtschaft verbessert würden.
Die Subventionen würden – ohne eine Reform – bis zum Jahr 2030 auf 1,8 Milliarden Dollar pro Jahr ansteigen, was sowohl die menschliche Gesundheit weiter beeinträchtigen als auch die Umweltprobleme weiter verschärfen würde. Bereits in den letzten Jahren wurde der Gesamtschaden durch diese Art der Unterstützung auf 12 Milliarden Dollar pro Jahr geschätzt.
Der Bericht soll ein klarer Aufruf zum Handeln auf Länder-, regionaler und globaler Ebene sein, um die am stärksten verzerrenden, umwelt- und sozialschädlichen Subventionen, wie Preisanreize und gekoppelte Subventionen abzuschaffen und sie auf Investitionen in öffentliche Güter und Dienstleistungen für die Landwirtschaft, wie Forschung und Entwicklung und Infrastruktur, oder aber breiter angelegte Steuersubventionen umzulenken.
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